
Abschied von den Hohen Breiten
Stockdunkel ist es. Der Wind hat abgeflaut und etwas unbeholfen schlägt La Belle Epoque in der restlichen Dünung hin und her. Die Batterien meiner Stirnlampe sind schon wieder fast leer, aber das macht nichts. Die Decksbeleuchtung gibt mir genug Licht am Vordeck, um die Arbeitsfock zu bergen und die Genua vorzubereiten. Ich muss auch nicht wirklich viel sehen oder gut ausgeschlafen sein, längst habe ich gute Seebeine und die Handgriffe sitzen selbst im Schlaf.
Dann ist die Fock in ihrem Sack verschwunden. Wie immer ist das Boot beim Bergen des Vorsegels abgefallen. La Belle hat unter Großsegel beigedreht und treibt geduldig wartend und ohne Bugwelle auf der konfusen See. Ich stehe am Bugsprit, rolle die angeschlagene Genua aufs Vordeck, während Jürgen die Schoten im Cockpit vorbereitet.
Wir befinden uns mitten in der Einsamkeit. Zweitausend Seemeilen hinter uns liegt der letzte Hafen, um die tausendfünfhundert Seemeilen voraus sollte die weltentfernte Insel St. Helena am Horizont auftauchen. Mit Ausnahme von einigen Fliegenden Fischen und der einen oder andere segelnden Qualle scheint das Meer seit Tagen wie eine leblose Wüste. Oh, wie sehr kann Schein trügen!
Plötzlich ein lautes Hissen direkt neben mir. Mein Herz macht einen Sprung, bevor mein Verstand einen klaren Gedanken fassen kann. Einen Augenblick lang hüllt mich eine feuchte, nach salzigen Tang riechende dunstige Wolke ein, kaum hörbar plätschert es backbords direkt neben dem Bug. Fasziniert und etwas geschockt starre ich über das schwarze Wasser, wünsche mir innig, ich hätte die Batterie meiner Lampe ausgetauscht. Doch der anmutige schwarze Körper, der mir gerade seine Atemluft entgegengeblasen hat, bleibt ein Schatten. Ich kann nicht sehen, ob es sich um einen Minkewal, einen Pilotwal oder einem anderen Verwandten der beiden handelt, obwohl der Wal kaum einen Meter neben mir aufgetaucht ist. Zu den wirklich großen Walarten scheint er aber nicht zu gehören. Lange Augenblicke verharrt der Wal beinahe bewegungslos neben dem Bug, dann erzählt eine winzige Welle von seiner Bewegung.
Verängstigt kralle ich mich an der Reling fest, erwarte jeden Moment den Aufschlag. Doch nichts passiert. Nichts, außer, dass der Wal direkt unter dem Bugsprit, direkt unter meinen Füßen, durchgeschwommen ist, nur Zentimeter vom Bug entfernt. Nichts geschieht, außer, dass uns der Wal nun steuerbordseitig beäugt und ich erneut eine Wolke voll feuchter Atemluft abbekomme. Noch nie ist ein Wal so nahe an La Belle Epoque herangekommen, würde ich mich auf Deck legen und die Hand über Bord strecken, ich könnte den Wal fast berühren. Die Minuten vergehen, langsam verstehe ich, dass uns keine Kollision droht. Die Navigationskünste dieses Tieres sind eben unseren überlegen. Dann ist die Begegnung vorüber und wir sind wieder alleine.
Die zurückgelegten Seemeilen bis hierher waren nicht einfach. Seit wir die South Shetland Inseln der Antarktis verlassen haben, ist das Leben an Bord strapaziös geworden: stürmischer Gegenwind bei unglaublich konfuser und steiler See in der Drake Passage, gefolgt von einem ausgeprägten Sturmtief mit einem vollen Tag über siebzig Knoten in Stanley Hafen auf den Falkland Inseln. Kaum abgelegt, ein Sturmtief mit 9 Beaufort und 5 Meter See, das auf uns einhämmert. Seekrankheit, blaue Flecken und üble Laune an Bord. Essen aus Schüsseln, leben am Fußboden. Dann ein Fischkutter, der uns beinahe übersieht. Auf Jürgens Funkspruch und die Nachfrage, ob der Kutterkapitän unsere Position vor seinem Bug zur Kenntnis genommen hat, meint der Gute lakonisch: „Uh, ok, I will look“.
Endlich überqueren wir die imaginäre Linie, lassen die furiosen Fünfziger und die brüllenden Vierziger hinter uns. Atmen auf. Segeln zwei, drei Tage bei Hochdrucklage gemütlich in Richtung Osten. Dann müssen wir einsehen, dass wir noch lange keinen Frieden haben werden! Wir betreten ein Gebiet, in dem die feuchte, heiße Luft, die vom brasilianischen Regenwald kommend in Richtung Südosten zieht, auf die trockenen, kälteren Luftmassen der südlicheren Breiten stößt. Ein gutes Rezept für eine scharfe Wetterküche! Die Wetterberichte werden ungenau, ändern sich täglich und vertreiben bald jede Hoffnung auf Wetterbesserung. Gewitterböen, Regenwalzen, Winddrehungen. Flaute wechselt mit Starkwind. Die Tiefdrucksysteme sind nicht besonders ausgeprägt, aber dennoch hinterlistig und fies. Die Wetterberichte sind stets ungenau oder falsch, erzählen nichts davon, wie es hier draußen wirklich ist.
Wir reffen ein und aus, versuchen, La Belle so gut es geht in den Osten zu halten. Und der Wind scheint beinahe immer gegen uns zu sein! La Belle ist kein Schifferl, welches glücklich am Wind segelt! Die Etmale werden traurig. 90 Seemeilen, davon allerdings nur 60 Seemeilen in die richtige Richtung. Gefolgt von 80 Seemeilen. Ein Trauerspiel. Im Boot ist es heiß und stickig. Alles fühlt sich feucht und nass an. Seit Tagen bleiben die Luken geschlossen, um den vielen Regen draußen zu halten. Kein Wunder, dass die Strecke von den Falkland Inseln bis St. Helena kaum von Segelyachten bestritten wird!
Aber es gibt auch Gutes zu berichten: Frische Regenwasserduschen unterm Besansegel, so oft wir wollen. Der Besuch des Wals. Wärme, die die verfrorenen Glieder des langen Winters in Patagonien und des kalten Wetters der Antarktis vergessen lässt. Delfine, die uns begleiten. Eine E-Mail, die uns ein Treffen einer lange nicht gesehenen Segelfreundin in St. Helena verspricht. Erster Funkkontakt mit Europa, oder genauer gesagt mit Stationen in der Schweiz, Österreich und Belgien. Die täglichen Funkrunden mit einem Amateurfunker auf den Falkland Inseln. Beinahe täglich frischer Kuchen (wir haben zu viel Butter an Bord genommen und die Hitze droht, die Butter frühzeitig zu verderben). Eine spannende Insel voraus, die mitten im nirgendwo liegt und dennoch durch ihren kurzen Auftritt in der europäischen Geschichte weltberühmt geworden ist. St. Helena, das Exil des vermutlich weltgrößten Herrschers der Geschichte Europas, die letzte Heimat von Napoleon. Ungeduldig aber voller Vorfreude ziehen wir diesem winzigen Fleck in den weiten des Süd Atlantiks entgegen!
- Bevor wir die Antarktis verlassen, besuchen wir noch die Südshetland Inseln. Hier im Norden der antarktischen Halbinsel hat der Sommer einen großen Teil des Schnee geschmolzen und buntes Leben tumelt sich an den Stränden
- Die Robben lassen sich von uns nicht stören
- Auf Deseption Insel treffen wir Chinstrap Pinguine – Zügelpinguine
- Wir ankern in Thalers Bay auf Desception Insel
- Die Whalers Bay trägt ihren Namen nicht zu Unrecht: Noch heute stehen die Überreste der einst großen Walfangstation hier in der Antarktis
- Mit kleinen Booten wurden Wale gejagt
- Jürgen wandert über die Trümmer: Vom Lager der Walöl-Fässer ist nicht mehr viel übrig geblieben.
- Ich finde einen alten Wirbelknochen eines geschlachteten Wals
- Die Tankanlagen der Tranölfabrik lassen die Ausmaße des Walfangs erahnen
- Blick auf die Reste der alten Station
- Im Holzgebäude ist nicht mehr viel zu entdecken
- Und Tschüss…
- Yankee Harbour wird unser letzter Ankerplatz auf den Südlichen Shetlandinseln
- Yankee Harbour auf Greenwich Insel
- Mittlerweile sind die jungen Pinguine schon fast so groß wie ihre Eltern
- Eine Seeelefanten beobachtet uns
- Nach einen rauen Segelschlag über die Drake Passage erreichen wir die Falkland Inseln
- Port Stanley, Falkland Inseln
- Leben im Outpost
- Wir verabschieden uns von den Hohen Breiten und segeln der Wärme entgegen!