Irischer Dunst – August 2019

Bei herrlichstem Sonnenschein laufen wir in die Bucht von Audierne ein. Eine bretonische Bucht südöstlich von Brest, die einen großen und einfach erreichbaren Ankerplatz bietet. Auch wenn wir nur einen Kurzbesuch planen, freuen wir uns bereits seit Tagen auf Frankreich. Eine träge Biskaya liegt hinter uns. Ein Seegebiet, das einen schlechten Ruf hat, sich uns aber friedlich und harmlos zeigte. Die Biskaya war fast zu ruhig für LA BELLE EPOQUE, welche die halbe Strecke mit Hilfe des eisernen Segels zurücklegen musste. Aber nach tagelangem Studium der Wetterkarten war klar, dass wir nicht so schnell mit perfekten Segelbedingungen rechnen können.

Seit heute Morgen aber schiebt uns eine wundervolle Brise direkt nach Audierne, wo unzählige weiße Segel zwischen anderen Schiffen umherziehen. Draußen, vor der Küste, sind es Reiseyachten, Urlaubssegler, Fischkutter und Fähren, die unseren Kurs kreuzen. Im geschützten Gewässer der Bucht sind es offene Fischerboote, unzählige Kinder auf Jollen, Katamaransegler und Windsurfer, die über die kleinen Rippeln jagen. Wir lassen den Anker am Rand des Bojenfeldes fallen, packen unsere Segel unter die Persennige und klaren das Deck auf. Es tut gut, angekommen zu sein.

Audierne zeigt sich als ehemaliges Fischerdorf, das mit seinem ausgedehnten Sandstrand und der großen Bucht heute wohl hauptsächlich ein Ferienort geworden ist. Viele der kleinen, weißgekalkten Häuser machen den Eindruck, Zweitheime zu sein und am langen Sandstrand tummeln sich ein paar Sonnenhungrige. Im Stadtkern rund um den alten Fischerhafen säumen sich Restaurants und Cafés, ein Fischkutter verkauft seinen Fang direkt am Steg. Die Preislisten vor den Hotelrestaurants lassen uns wissen, dass das günstige Spanien achteraus liegt.

Wir packen die Fotoausrüstung und eine Flasche Wasser in den Rucksack und schlendern den Küstenwanderweg entlang. Bald liegt der Leuchtturm und das letzte Haus hinter uns und wir wandern zwischen brachen und verwilderten Weideflächen. Alte Steinmauern ziehen sich kreuz und quer durchs Land, sie werden von wilden Dornen, Stechginster und herrlich blühendem Heidekraut überwuchert. Obwohl ein paar alte Höfe auf den Hügeln zu sehen sind, scheint hier niemand mehr ernstzunehmende Landwirtschaft zu betreiben, vermutlich könnte man auf diesen salzverwehten Hügeln auch nur ein paar Schafe halten. Immer wieder finden wir mit Steinen gebaute „Tröge“ im Boden.

Zurück an Bord legen wir unseren Kurs für die Weiterfahrt. Wieder werden Wetterkarten studiert und Pläne geschmiedet. Die Vorhersagen geben grünes Licht, wir werden schon morgen Vormittag aufbrechen, um mit Wind und Strom die Westspitze von Frankreich hinter uns zu lassen.

Gerne wären wir länger in Frankreich geblieben, aber diese Jahr haben wir nicht genug Zeit, um alle Länder auf unserer Strecke genauer betrachten zu können. Immerhin liegen noch einige Seegebiete vor uns und die Saisonen in den gemäßigten Breiten sind nicht allzu lange. Und so verschieben wir eine ausgiebige Frankreich-Segelreise auf ein anderes mal. Ist ja nicht weit von der Ostsee hierher, wir werden bald mal einen Sommer in der Biskaya verbringen.

Mit frischem Halbwind laufen wir die Küsten entlang, ein leichter Strom schiebt uns bereitwillig voran und LA BELLE jagt mit neun Knoten durch die ruhige See. Doch lange sollte es nicht so bleiben. Am Eingang zum Englischen Kanal vor Pointe du Raz und den Inseln von Brest sind in den Seekarten Wasserwirbel und Grundseen eingezeichnet. Während der Wind vordreht und auffrischt stellt sich die See auf. Bald bolzen wir unter dicht geschoteter Fock und einem dreifach gerefftem Groß gegen drei Meter steile Wellen. Wer hätte das gedacht bei Wettervorhersagen von gemütlichen Nordost 3 bis 4. Das AIS zeigt unzählige Schiffe voraus, früh am Nachmittag teilen wir uns zum Wachrhythmus ein. Es ist besser, jetzt schon abwechselnd eine Mütze voll Schlaf zu holen, damit wir die Nacht aufmerksam durchhalten können.

Erst in den Morgenstunden flaut der Wind etwas ab. Mittlerweile sind die britischen Scilly Inseln in Sicht und wir sind zu faul, jetzt noch die Segel zu tauschen. LA BELLE läuft immer noch mit fünf Knoten Fahrt und wir wollen ohnehin nicht bei Gegenstrom ankommen. Zwischen den Inseln schläft der Wind ein, wir streichen die Segel und drehen eine Runde um Saint Agnes Insel. Der Ankerplatz ist winzig und von unwirtlich aussehenden Felsen umgeben, außerdem hoffnungslos überfüllt. Hier können wir keine ruhige Minute das Boot alleine lassen. Wir ziehen weiter. In der Ankerbucht der größten Insel – Saint Mary´s. Sobald der Anker gesetzt und eingefahren ist, kommt ein Zodiak längsseits. Entschuldigend werden wir gebeten, den Anker wieder an Deck zu heben. Wir liegen zu weit im Umkehr-Bereich der Fähre. Etwas ratlos ziehen wir ins dicht belegte Ankerfeld und finden schließlich einen kleinen Flecken, wo LA BELLE EPOQUE zwischen den unzähligen Yachten passt. Kaum neu verankert, schnappt sich die nächste angekommene Yacht unseren ersten Ankerplatz. Oh je, der Hafenmeister scheint hier laufend mit dem Vertreiben von Ankerern beschäftigt zu sein!

Die größte Insel der Scillys besticht mit ihrem Kleinwuchs. Hugh Town (das sich wie „huge“ – riesig – anhört) besteht aus ein paar Pubs und Wohnhäusern. Das Dorf drängt sich auf einem Ayres – einem Dünenstreifen, der keine 200 Meter breit ist. Außerdem liegt Hugh Town am Fuß des höchsten Hügels der gesamten Inselgruppe. Ein Hügel mit dem Namen Telegraph, der ganze 48 Meter hoch ist und eine kleine (leider abgeschlossene) Aussichtswarte beherbergt (Wer bitte schließt eine Aussichtswarte ab?). Eine Aussichtswarte, die schon vor Jahrhunderten dem Schloss und Fort auf Garrison Hill Meldung gab. Eine Fort, dass im Auftrag von Queen Elisabeth I gebaut wurde um die Inselgruppe gegen Spanier zu verteidigen und vor Privateers zu schützen. Auch nach der gefährlichen Zeit von verfeindeten Küsten und plündernder Handelsschiffe diente die Warte auf Telegraph zur Warnung der Menschen von Hugh Town. Permanent waren hier im letzten Jahrhundert Männer der Küstenwache stationiert, sie hissten einen schwarzen Ball auf dem Mast, sobald die Fähre laut Fahrplan die englische Küste verlassen hatte. Kam die Fähre in Sicht, wurde dieser Ball vom Mast gestrichen um die lokale Bevölkerung zu warnen: „Touristen in Sicht“! Schon wurde im Dorf alles für die Ankunft der Besucher vorbereitet: Taxis stellten sich zum Hafen, Geschäftstreiber stellten Souvenirs in ihre Auslagen und die Backöfen in den Restaurants wurden angeheizt. Vielleicht tauschte der eine oder andere Pub-Betreiber bei dieser Warnung auch seine Preiskarten aus, wer weiß das schon so genau? Immerhin können die Bewohner der Inselgruppe auf einen ganzen Stammbaum aus Opportunisten zurückblicken. Waren es doch ihre Vorfahren, die immer wieder mal ein Leuchtfeuer gelöscht haben, um ein reich beladenes Handelsschiff an ihre Küste zu locken. Lief das Schiff durch diese Täuschung auf Grund, brauchte man nur noch die wenigen überlebenden Seeleute zu erschlagen und das Kargo sicher an Land zu schaffen. Andererseits kamen die besten Piloten von den Scillys, die Bewohner der Inselgruppe waren also durchaus auch hilfreich für die Schifffahrt.

Einige Inseln der Scillys sind unbewohnt und laden zum Entdecken ein. Die Fahrt zum Ankerplatz von St. Helen´s muss geplant werden, der Ankerplatz führt über trockenfallende Küste und kann nur bei Flut unternommen werden. Vorsichtig tasten wir uns um sechs Uhr früh über Gebiete, dass laut Seekarte keine 30 Zentimeter Wassertiefe haben sollte. Vor uns öffnet sich die Bucht von St Helen´s und endlich fällt die Wassertiefe auf einige Meter unterm Kiel. Einige wenige Yachten liegen bereits vor Anker. Allerdings scheint die Kunst des Ankerns nicht jedermanns Sache. Seit wir in Europa sind, beobachten wir immer wieder Skipper, die mehrmals täglich ihren Anker neu setzen. Sie sind sich ihrer Sache nicht recht sicher. Auch in St Helen´s liegt eine britische Yacht vor uns, deren Eigner jedesmal ein neues Ankermanöver fährt, sobald das Boot ein wenig geschwoit ist. Ich bin verwundert, herrscht doch Windstille. Jürgen weiß eine Erklärung: Vermutlich ist der Ankeralarm mit sehr kleinem Radius aktiviert und täuscht dem Eigner wiederholt vor, das sich das Boot freigerissen hat. Ich gebe auch zu, dass der Ankergrund hier vielerorts durch viel Gras und Tag schlecht ist und etwas erhöhte Vorsicht garnicht schaden kann.

An Land finden wir die Überreste des alten Pesthauses. Ein kleines Steingebäude, das für den einen oder anderen Seefahrer zur letzten miserablen Heimat hier auf Erden geworden war. Schiffe mit kranken Seglern an Bord durften nicht nach England einreisen, sie mussten hier auf Scilly ihre Quarantäne abwarten. Doch gab es kaum Versorgung für die Quarantänestation und so kam zur Krankheit oft noch die Not des Hungers dazu und die Chance, diesen Ort lebend zu verlassen schwanden mit jedem Tag dahin.

West und Südwestwinde mit 4 Beaufort lassen uns bald weiter ziehen. Wieder segeln wir eine Nacht durch, um ein Stück in den Norden zu gelangen. Nach einem mehrtägigen Zwischenstopp im Milford Haven an der Nordküste des Bristol Channel segeln wir in die Irische See. Eine graue Wassermasse, die unruhig schwankt und brodelt. Eissturmvögel spielen sich im Wind über den Wellen, Papageitaucher und andere Alkenvögel flüchten under die Wasserlinie, sobald ihnen LA BELLE EPOQUE zu nahe kommt. Die Luft ist oft genug schwer mit Wasser, die Küstenwache meldet „mist“ – Dunst. So also sieht „irish mist“ aus, lache ich – unser erstes Segelboot trug stolz diesen Namen.

Dann erreichen wir Irland. Der ehemalige Fährhafen von Dun Laoghaire ist groß genug, dass wir innerhalb seiner schützenden Hafenmauern ankern können. Heute wird der Hafen ausschließlich von Yachtclubs genützt, neben Yachtstegen sind unzählige Bojen ausgebracht. Eine gepflegte Vorstadt streckt sich dahinter. Mit der Stadtbahn erreichen wir bequem das Zentrum von Dublin, eine Stadt, die in schönster Lage zu beiden Ufern ihres Flusses Liffey glänzt. Da wir LA BELLE EPOQUE im sicheren Hafen wissen, leihen wir uns für einen Tag einen Mietwagen um auch das Umland ein klein wenig kennenzulernen. Spontan entschließen wir uns, in den Norden zu fahren. Enge Gassen bringen uns bis ans Ufer von Stangford Loch, an dessen trockengefallenem Ufer wir Picknicken. Wir durchqueren Belfast und erreichen schließlich die Nordküste von Nordirland, wo der Giants Causeway, heute ein UNESCO Welterbe, seine Finger ins Meer streckt.
Die eigenwillige Steinformation dieser Küste hat schon immer die Fantasie der Menschen angeregt und so gibt es die Legende, dass diese Felsenformen von Menschenhand geschaffen wurden, im Versuch, eine Landbrücke zwischen Irland und Schottland zu bauen.

Zurück an Bord lichten wir den Anker. Obwohl es noch viel zu entdecken in Irland gegeben hätte, ist das Segelwetter einfach zu verlockend, um es nutzlos durchziehen zu lassen. Wir hissen die Segel. Kurs Isle of Man – die Insel im Herzen der Irischen See.

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