Transatlantik auf der Backe

Transatlantik auf der Backe

Mai 29, 2018 0 Von claudia und jürgen

11. April, Tag des Aufbruches.

Wir klarieren aus, verabschieden uns. Es ist Zeit, zurück in den Nordatlantik zu segeln. Zurück an Bord decken wir die Segel ab. Ich starte den Motor, während Jürgen an die Ankerwinde geht. Ein Meter Kette kommt an Deck, verschwindet im Ankerkasten. Dann spannt die Kette, knirschend beklagt sich die Bugrolle und rumpelnde Geräusche vom Meeresboden dröhnen durchs Boot. Mit schnellen Bewegungen belegt Jürgen die Kette am Poller. Die nächste Welle geht durch, hebt das Boot zwei Meter. LA BELLE ruckt hart ein.
„Wir hängen an einem Felsen fest, das kann die Winde kosten. Ohne Kettenstopper kann ich die Kette so nicht auf der Winde lassen.“ So ein Pech. Gerade hier, wo aufgrund von Hai-Attacken Tauchverbot herrscht, muss unsere Ankerkette unklar kommen. Jammern hilft nicht, die nächsten Stunden verbringen wir damit, die Kette Dezimeter für Dezimeter einzuholen, mit Einsatz des Motors, mit der Ankerwinde, von Hand. Und unter Verlust der Bugrolle. Erst am späten Nachmittag schaffen wir es, den Anker über seiner neuen Bugrolle gesichert zu haben und die Segel zu setzen. Kurs: Azoren Inseln.
Endlich heißt es Motor aus und Miss Aries an die Arbeit. Mit Eimern voll Salzwasser waschen wir uns den Schweiß von den Körpern. Es ist gut, endlich unterwegs zu sein.

16. April, 5. Tag auf See

Kaum noch Wind, Ost mit 2 Windstärken, oder so. Die See ist ruhig genug, dass die Segel trotzdem stehen. Besan, Groß und Genua. Das ist auch besser so, es ist zu heiß, um den Motor laufen zu lassen. Wir haben auch so schon 34°C tagsüber. Auch nachts kühlt es nicht mehr unter 28°C, denn das ist die Wassertemperatur hier. Es geht nur langsam voran, am Abend messen wir gerade mal 550 Seemeilen im Kielwasser. Aber so schlimm ist das nicht. Immerhin haben wir bisher kaum mal an den Segel arbeiten müssen. LA BELLE fährt wie von selbst.

18, April, 7. Tag auf See

Am Abend stirbt der Wind. Wir befinden uns auf 00°40S, haben die Kalmen endgültig erreicht. Rund um uns stehen Schauerböen. Dunkle Wolken, die sich mit ausgeprägten Ambossen in den Himmel türmen und Regen in Schleier nachziehen. Schwer zu sagen, ob da Wind drinn steckt. Wir bergen Genua und Besan, kuppeln Miss Aries aus, werfen den Motor an. 02:45 UTC – Position: 23°41W 00°00S – Ich schenke zwei Stamperl Tungi – Kaktusschnaps aus St. Helena – ein und schüttle Jürgen aus den Schlaf. Willkommen im Norden der Welt! Nur schade, dass der Himmel so bewölkt ist, zu gerne hätte ich Polaris zugeprostet!

19. April, 8. Tag auf See

Stellen den Motor um 7:00 Uhr morgens aus. Eine leichte Brise aus Nordost ist aufgekommen. Kann das sein? Haben wir die Intertropische Konvergenszone schon durchquert? So einfach? Der Himmel scheint unsere Freude zu bestätigen: Er ist tiefblau, beinahe wolkenlos. Nur ein paar hübsche Passatwölkchen zieren ihn. Ab nun liegen um die zweitausend Seemeilen hart am Wind vor uns!

22. April, 11 Tage auf See

Wir haben uns zu früh gefreut, die ITCZ liegt doch nicht ganz hinter uns. Heute haben wir den dritten Tag mit trüben Wetter, Schauerböen, Regengüsse, dazwischen beinahe Flaute. Aber gut, wenigstens haben wir den vielen Regen gut genützt: Die Trinkwassertanks sind gefüllt und wir sind frisch geduscht. Polaris hat sich immer noch nicht blicken lassen!

23. April, 12 Tage auf See

LA BELLE EPOQUE liegt auf der Backe, doch uns gehts gut: frische Tunfischsteaks mit Chilikruste, dazu Kartoffelsalat und Reis. Das Wasser ist wieder kühler geworden, macht zumindest nachts wieder Kleidung nötig. Beobachten nun mehr und mehr Saragossagras am Meer treibend. Auch ein paar Spanische Galeeren segeln auf der Wasseroberfläche.

 

28. April, 17 Tage auf See, 9 Tage hart am Wind

Irgendwie schon komisch. Habe mich so auf den Sternenhimmel des Nordens gefreut, dachte immer, er gefällt mir mit seinen phantastischen Figuren und Geschichten besser als der Südhimmel. Und nun bin ich doch enttäuscht. Das ist doch keine Milchstraße hier! Ach ja, heute gab´s nochmal frischen Fisch, diesmal eine Bernsteinmakrele.

 

1. Mai, 20 Tage auf See, 12 Tage hart am Wind

Wir befinden uns westlich von Kap Verden. Der Wiege der tropischen Stürme. Aber die Saison der Hurrikane hat noch nicht begonnen, Sturm haben wir keinen. Aber dafür einen starken Passat gegen uns. LA BELLE EPOQUE arbeitet unter gerefften Segeln, zieht ihr Backbord-Laufdeck unters Wasser, marschiert stur gegen die drei Meter See. Wir leben praktisch am Boden, essen aus Schüsseln, müssen aufpassen, nicht aus dem Gleichgewicht geschossen zu werden. Kann mich mal jemand erinnern: Ist Segeln wirklich entspannend und romantisch?
Nachts kracht es am Mast. Das Vorsegel hängt nicht mehr straff durchgezogen. Wir gehen an den Bug, versuchen mit Taschenlampen eventuellen Schaden zu erkennen. Das kurze Stahlseil, an dem der Fockfallblock befestigt war, ist gerissen. Der Block hängt nun am Sicherungsstrop aus Dyneema. Wir ziehen das Fall wieder durch und stellen mit Erstaunen fest, dass der neue, überdimensionierte Markenblock nicht mehr rund läuft.

 

4. Mai, 23 Tage auf See, 15 Tage hart am Wind

Das Meer schimmert eigenartig. Es scheint, als hätte sich eine Staubschicht auf seine Oberfläche gelegt. Kann das Wüstensand sein? Der Passat holt Atempause. LA BELLE richtet sich auf, zeigt uns die unzähligen Entenmuscheln an ihrer Backbord-Bordwand.
Wir nützen die kurze Ruhe: Ich ziehe Jürgen ins Rigg. Zwar haben wir ein Ersatzfall am Masttop, aber dennoch wollen wir sichergehen, dass unser Fockfall einsatzbereit bleibt. Jürgen fixiert einen weiteren Dyneemastrop um den Block und berichtet mir erstaunt: Ja, das Lager des Blocks ist beschädigt. Was für Kräfte muss die kleine Fock standhalten, wenn sogar ein relativ neuer Block mit über zwei Tonnen Arbeitslast in die Knie geht? Bald kommt der Wind zurück. Wir laufen unter Genua zwei, Groß und einmal gerefftem Besan.

 

9. Mai, 28 Tage auf See, eine gefühlte Ewigkeit hart am Wind

Mittlerweile steht der Luftdruck über 1026 Hektopascal. Wir kommen dem Azorenhoch näher. Dann stirbt der Wind, nach tagelangem Schönwetter ziehen nun wieder Wolken auf. Aber ich habe heute keinen rechten Blick fürs Wetter. Ich biege mich vor Zahnschmerzen. Die einzige verfluchte Plombe, die mir mein Freund und Helfer Ferdi während unseres letzten Österreichbesuches eben nicht ausgewechselt hat, ist vor einigen Tage zerbrochen. Hat ein Loch freigegeben, dass mich nun seit Tagen zwischen Kopf- und Zahnschmerzen wanken lässt. Ich tue Jürgen leid, er kramt in der Werkstätte herum und kommt mit einer Tube Epoxyd-Knetmasse und einer dicken Seglernadel zurück. „Kannst du das auch irgendwie wieder aus meinem Mund stemmen, falls es nicht klappt?“ Frage ich ihn etwas unsicher, bevor ich mich zum Zähneputzen verziehe.
Aber es klappt: Jürgen hat das Loch im Zahn mit einer Lage Bootsbau-Epoxyd verschlossen und die Schmerzen werden besser, wenn auch nicht ganz gut. Dankeschön! Mal sehen, vielleicht hält Jürgens Improvisation ja lange genug, dass ich keinen anderen Zahnarzt zwischendurch an meine Zähne lassen muss, bis wir zurück in Österreich sind. Vermutlich nur Wunschdenken…

 

13. Mai, 32. Tag auf See

Was für ein Lebensgefühl!! Segeln vor achterlichen Winden. LA BELLE zieht leichtfüßig übers Meer, die Sonne heizt das Deck auf, Licht reflektiert am Wasser und bringt die Welt zum Glitzern. Ein paar Delfine springen in der Bugwelle. Unsere Welt ist wieder aufrecht. Nach drei Wochen auf der Backe segeln wir wirklich wieder aufrecht, können uns im Boot freihändig bewegen. Beim Kochen springen nicht die Karotten vom Schneidbrett, in der Koje liegen wir nicht mehr länger halb auf der Bordwand. Ach wie traumhaft schön kann Segeln sein.
Wir sitzen am Vordeck und schrubben unsere „neuen“ Fender. Haben sie heute Morgen aus dem Meer gefischt. Einen riesigen und einen winzigen Ballfender. Die müssen wohl die Fischkutter verloren haben. Aber noch haben wir keinen Kutter hier auf See getroffen. Nur ein paar Frachtschiffe ziehen ihren Kurs zwischen Panama und Europa.
Lange wird uns der achterliche Wind vermutlich nicht treu bleiben. Schon morgen sollten wir in die Flaute gelangen. Schade. Aber was kann man machen. Wir werden wohl noch ein paar Liter Diesel benötigen, um in ein paar Tagen Landfall auf den Azoren machen zu können.