Es ist ruhig im Fischereihafen von Moskenes. Der halbe Hafen ist leer und nur auf einem einzigen Fischkutter wird gearbeitet. Urlauber und Segelyachten besuchen den Hafen selten, liegt doch der hübsche Gästehafen von Sørvagen nebenan.
„Ich bin schon mein ganzes Leben hier Fischer. Und kein Problem, mit meinem Kutter kann ich immer noch von der Fischerei leben.“ Elvar bleibt gerne auf einen Tratsch bei uns stehen, bevor er erneut im Inneren seines blauen Kutters verschwindet.
Zur Zeit nimmt er ein paar Wartungsarbeiten am Fischkutter vor. „An dem Kutter habe ich schon viel verändert. Vor ein paar Jahren habe ich das ganze Heck weggeschnitten und neu gemacht. Der Kutter hatte ein Spitzgattheck. Warte, ich zeige euch Fotos.“ Er zieht sein Handy aus der Hosentasche und wischt herum, bis er die Fotos vom Umbau gefunden hat. „Schade irgendwie, das alte Heck hat folgende See so schön geteilt. Aber mit dem neuen Heck hat mein Fischkutter einfach mehr Ladekapazität. Und das ist, was zählt.“
Mit dem Umbau auf ein moderneres Heck ist wohl auch der Wert des Kutters gestiegen. Mutmaße ich. Doch Elvar lacht über diesen Gedanken. Denn im Grunde genommen hat jeder alte Kutter nur einen Wert: den Wert seiner Quote. Egal, wie gepflegt ein alter Kutter ist, ohne Quote ist er wertlos. „Wenn ihr wollt, könnt ihr die beiden Holzkutter dort geschenkt bekommen“, meint der alte Fischer. „Ihre Fischquoten wurden auf den einen neuen Kutter dort drüben übertragen. Nun liegen sie wertlos im Hafen herum.“
Nein, mit den beiden Holzkuttern ist nichts verkehrt. Ihre Maschinen laufen und ihre Rümpfe sind soweit dicht. Aber Nostalgie ist hier maximal noch bei Touristen gefragt. Für den alten Fischer steht außer Frage: „Wenn du viele Winter auf einem dieser Holzkutter gearbeitet hast, in der rollenden See und ohne Schutz vor den Elementen, dann weißt du, dass du von dem neuen Stahlkutter dort drüben nie wieder runter möchtest!“

„Aber der Job am Arbeitsdeck von diesen Fischkuttern ist ohnehin was für junge Leute.“ Davon ist Elvar überzeugt. „Hart, aber auch eine Chance. In einer guten Wintersaison lassen sich für eine Deckshand auf diesen Kuttern gut und gerne Hunderttausend Euro verdienen. Das ist schon gutes Geld.“ Er selbst fährt seinen kleineren Kutter ohne Crew.
Zur Pension hat Elvar seine Markrelen-Quote verkauft und fährt heute nur noch für den Winterkabeljau raus.
Skrei, Winterkabeljau oder Barentssee Kabeljau, ist eine besondere Delikatesse Norwegens.
Jeden Winter wandert der geschlechtsreife Dorsch aus dem Barentsmeer an die Küste der Lofoten und Nordnorwegens, um zu laichen. Im Gegensatz zum Küstenkabeljau, der ganzjährig an der Küste Norwegens bleibt, soll der Skrei besonders saftiges und festes Fleisch haben, nachdem er hunderte Seemeilen unterwegs zu seinen Laichgründen ist.

Elvar erklärt, dass er ab Februar in der Regel ein bis zwei Monate auf seinem Kutter lebt und unterwegs ist. Wo genau er dann fischt, das hängt von den Zahlen ab: Jeden Abend veröffentlichen die Fischfabriken der Küste die bei ihnen angelandeten Tageszahlen. Elvar hat es sich zur Praxis gemacht, genau in jene Gebiete zu fahren, wo die höchsten Zahlen veröffentlicht werden. „Je mehr Fisch ich auf einmal fange, desto weniger Diesel verbrauche ich und umso mehr Gewinn bleibt übrig. Deshalb habe ich auch das Heck umgebaut. So kann ich mehr laden und damit mehr Fisch pro Fahrt anlanden.“
Gefischt wird übrigens mit Langleinen. Es ist die schonenste Art, Fisch zu fangen, da auf diese Weise niemals eine ganze Schule aus dem Wasser geholt wird. Auch gibt es keine schweren Geräte, die über den Meeresboden gezogen werden und dabei Zerstörung anrichten.
Alles vom Winterkabeljau wird verarbeitet. Leber, Roggen, Zugen und Wangen gelten als besondere Delikatesse. Der Fisch selbst wird verarbeitet oder gesalzen und auf Holzgestellen über Monate getrocknet. Der restliche Kopf wird ebenfalls getrocknet. Er geht als Exportware nach Nigeria, wo er zum Eiweißlieferanten für Suppen wird.

„Das Zungenschneiden war schon immer eine Arbeit für Kinder.“ Erzählt uns Elvar weiter. Er selbst hat Zungen aus den Fischköpfen geschnitten, als er sechs Jahre alt war. „Mein Vater hat einfach die Spitze vom Fischmesser abgebrochen, bevor er mir das Messer zum ersten Mal in die Hand drückte. Aus Sicherheit, damit wir Kinder uns mit den scharfen Fischmesser nicht verletzen würden. Dann konnten wir den ganzen Winter arbeiten.“
Auch heute noch schneiden die Kinder der Lofoten Dorschzungen. „Eine gute Tradition,“ werden wir aufgeklärt. Zum Anreiz gibt es eigene Wettbewerbe im Zungenschneiden, sogar eine „Weltmeisterschaft“, bei der nur Kinder und Teenager antreten dürfen. Der größte Anreiz aber ist das Einkommen: „Eine Saison Zungenschneiden bringt heute einem flinken Kind bis zu 50.000 Euro“, erklärt uns der alte Fischer. „Das ist Geld, das für die Zukunft viel bringt. Manche Kinder hier sparen auf ein eigenes erstes Haus, ein Studium oder ein neues Auto, sobald sie den Führerschein haben. Oder eben auf den eigenen ersten Kutter.“
Ich stelle mir vor, wie motiviert wir als Teenager gewesen wären, hätten wir für einen Sommer am Gurkerlflieger in Eferding fünfzigtausend Euro einstecken können. So gesehen ist der Vorwurf von Kinderarbeit, den Norwegen hin und wider erhält, doch ziemlich übertrieben. Den Kindern diese Arbeit zu verbieten würde ja fast einer Beraubung von Chancen gleichkommen. Aber die Nordnorweger nehmen es ohnehin lakonisch: „Das ist doch keine Kinderarbeit…“, heißt es aus ihrem Mund, „sondern Arbeit für Kinder!“
