Eine einsame Weddellrobbe liegt am schwarzen Sandstrand. Davor dreht sich SMA gemächlich vor Anker. Kreisrund liegt die Telefonbucht um uns.
Es ist still hier. Kein Geräusch ist zu hören, nicht einmal der Wind wagt es, diese Ruhe zu stören. Diese gefrorene Welt aus ihrem Schlaf zu pfeifen.
Wir sind alleine hier. Wir, damit meine ich neun Menschen, zusammengewürfelt aus zwei Kontinente und fünf Länder. Ein kleiner Haufen neugierige, die es geschafft haben, die Drake Passage im Kielwasser zu lassen und in dieser unberührten Bucht ihren Anker zu setzten.
Am schwarzen Strand rastet eine Weddellrobbe. Ein Eselspinguin steht etwas verloren herum. So ganz alleine sind wir also doch nicht.
Gemeinsam wandern wir den Vulkan hoch.
Staunen über diese eigenartige Welt, in der wir uns befinden. Deseption Insel. Eine Insel, die eigentlich ein aktiver Vulkan ist. Doch die Schneefelder vertuschen diese Realität. Verschleiern die Tatsache, dass die Wissenschaftler bereits auf einen neuen Ausbruch warten.
Am niedrigen Gipfel über unserer Ankerbucht drehen wir uns staunend im Kreis. Blicken in alle Himmelsrichtungen. Die Insel zu unseren Füßen ist ein Spiel der Formen. Strukturen in schwarz-weiß. Eine Welt der Farblosigkeit, die dennoch aufregend und dramatisch ist.
Draußen treiben gigantische Eisberge im antarktischen Ozean. Im großen Kratersee in der Mitte der Insel ist kein Eis zu sehen, dafür schippern zwei Kreuzfahrtschiffe langsam im Kreis, um ihren Gästen die auserkorenen Highlights der Insel zu zeigen. Die argentinische Station scheint verlassen. Aber auch am Gelände der spanischen Forschungsstation ist keine Bewegung zu erspähen. Zumindest von unserem Aussichtspunkt aus.
Hoch auf dem Grat eines alten Vulkankegels laufen wir um unsere Ankerbucht. Froh, uns nach anstrengenden Segeltagen wieder einmal die Füße vertreten zu können. Die enge der Kojen mit der Weite der Natur zu tauschen. Anstatt dem flauen Gefühl der Seekrankheit einen wachsenden Hunger am Ende eines aktiven Tages zu spüren.
Zurück an Bord stoßen wir mit Pisco-Sour an.
Feiern unsere Ankunft und bereiten ein Festessen. Merken, wie langsam die Gruppe zusammen findet. Fühlen, dass das gemeinsame Meistern der Drake Passage ein Gefühl der Zusammengehörigkeit wachsen lässt. Fallen irgendwann erschöpft in die Kojen.
Auch am folgenden Morgen besuchen Kreuzfahrtschiffe Deseption Insel. Mittlerweile ist es fast unmöglich geworden, die alte Walfangstation in Whalers Bay ruhig und verlassen zu bestaunen. Zu jeder Tageszeit schwirren Beiboote durch die Bucht. Permanent wummern die Motoren und Generatoren der Schiffe. Und an Land streifen einhundert Touristen mit ihren Fotoapparaten herum.
Ich bleibe lieber an Bord und kümmere mich ums Mittagessen. Ein Fehler, wie ich bald bemerken sollte. Die kleinen Wellen der vielen Zodiaks stupsen unsere schwere Yacht ungewöhnlich herum. Erstaunt und stelle ich fest, dass ich seekrank werde.
Das ärgert mich. Gleichzeitig muss ich über mich selbst lachen. Ohne Seekrankheit durch die Drake Passage, nur damit ich mich in der ruhigen Ankerbucht übel fühle! Wo gibt´s denn sowas? Ich verzichte auf meine Portion Mittagessen und klemme mich hinters Steuer. Halte ein kurzes „Zwiegespräch“ mit den Fischen am Ausgang von Deseptioin Insel. Erst als der Wind in die Segel greift, fühle ich mich endlich wieder fit.
Täglich ziehen wir weiter in den Süden. Suchen uns unseren Weg zwischen phantasievoll geformten Eisbergen, ziehen vorbei an den Inseln von Südshetland. Beobachten Buckelwale, besuchen Pinguinkolonien und sinken ein in meterhohen Schnee.
Wir segeln durch eine gefrorene Welt, die doch voller Leben steckt. Verbringen Tage unter stahlblauem Himmel, auf einem marineblauen Ozean, zwischen weißblauen Eis. Die Sonne brennt auf uns herunter, bis unsere Lippen aufgesprungen und unsere Nasen mit Brandblasen überzogen sind.
Dann ist unsere antarktische Schonzeit vorbei. Das Wetter schlägt um.
Eiskalte, steife Winde kämpfen gegen uns. Lassen gefrorene Gischt an unserem Bug hochfahren und uns in unseren Overalls frieren. Schnee reduziert unser Sichtfeld auf beinahe nichts. Zwingt uns dazu, das schützende Cockpit unterm Aufbau zu verlassen und im eisigen Wind zu stehen, bis Schnee und Hagel wie tausend Nadeln am Gesicht stechen, dass wir Ablöse brauchen. Was würde ich jetzt für die Schleuderscheibe an Bord unserer treuen La Belle Epoque geben! Wo wir im geschützten Steuerhaus dank der rotierende Scheibe in allen Situationen freie Sicht haben!
Wir erreichen unsere letzte Ankerbucht auf den Melcheor Inseln. Erneut drehen sich unsere Gespräche um die Wetterberichte. Mit Termin zu segeln ist eine zusätzliche Herausforderung.
25 Knoten totalen Gegenwind mit 4 Meter See direkt auf die Nase. Danach einen Tag leichte, drehende Winde. Später um die 30 Knoten Halbwind am Kap Horn.
Wir starten beide Motoren, holen die Landleinen ein und ziehen den Anker auf Deck.
Riesige Eisberge stauen sich vor Melcheor Insel auf, geben uns kaum Platz, um den offenen Ozean zu erreichen. Massiver Schneefall nehmen mir jede Sicht. Nun ist Teamwork gefragt.
Wolf steht im Schneegestöber am Bug und gibt Handzeichen. Cecile gibt mir die Kommandos weiter, während Barbara und Jürgen erfolglos versuchen, mir die Scheiben außen wie innen freizuhalten. Erst als riesige Eisberge zu beider Seiten neben mir aufragen, weiß ich, wie eng die Durchfahrt ins Meer eigentlich ist.
Endlich spüren wir den Atem des Ozeans.
Die Wellen lassen mich wissen, dass wir die gefährliche Eisbarriere hinter uns haben, draußen sind. Und bald wird es ruhig im Cockpit. Die Freiwache verzieht sich in die Koje, während die Wache die Yacht mithilfe beider Motoren zwingt, gegen See und Wind in den Norden zu ziehen. SMA verübelt es uns mit harten Schlägen. Kämpft krachend für jede Seemeile. Eine Tortur für Schiff und Crew hat begonnen.
Es dauert noch lange, bis das Eis endgültig verschwindet. Bis die Drake Passage uns eine kleine Pause genemigt. Bis der Wind dreht und bis die Sonne endlich wieder balue Farbe auf die grauen Wellen zeichnet.
Doch irgendwann können wir auch die gerefften Vorsegel setzten. Können die anrollende See bestaunen und die Freiheit der Albatrosse fühlen.
Dann geht es plötzlich schnell.
Dann sichten wir Kap Horn, lassen den offenen Ozean hinter uns, erreichen Feuerland. Staunen über die Schönheit der grünen Inseln, können uns nicht sattsehen an den südlichen Wäldern und den traumhaften Kanälen. Ein altes Wrack lässt uns wissen, dass wir zurück in der Zivilisation sind und die vielen Seelöwen und Kormorane auf den Felsen begrüßen uns mit ihren aufmerksamen Blicken.
In Puerto Williams machen wir an der alten Mikalvi fest. Beenden unsere erste Antarktisfahrt in dieser Saison. Ein letzter gemeinsamer Abend im Restaurant, dann sind wir plötzlich alleine an Bord. Wolf und Jeannete sind zurück in ihr Haus gezogen, die Mitsegler haben sich in alle Windrichtungen zerstreut.
Nur Jürgen und ich bleiben an Bord.
Verbringen unsere Tage mit Arbeiten und Reparaturen am Boot, bereiten alles für die nächste Fahrt vor und genießen ein paar ruhige Feiertage mit Jeannete und Wolf. Gemeinsam feiern wir Weihnachten, indem wir im Garten grillen und dabei der norddeutschen Rundfunksendung „Gruß an Bord“ lauschen, während unsere Blicke über den ruhig daliegenden Beaglekanal schweifen.
Nach einer ausgelassenen Seglerparty an Bord der Mikalvi – dem südlichsten Yachtclub der Welt – sind wir und Santa Maria Australis wieder bereit: Morgen schon werden unsere neuen Mitsegler einfliegen und wir werden erneut unseren Bug in den Süden drehen!