Eine Insel für einen selbst

Eine Insel für einen selbst

Gemächlich schlendern Jürgen und ich die wenigen Schritte über den weißen Sand zum Aussenriff von Anchorage Insel, dem größeren Motu von Suwarrow Atoll. Einen winzigen Flecken Land mitten in dem tiefen Blau des Pazifiks. Wobei die Bezeichnung „Land“ fast ein bisschen zu viel scheint. Immerhin handelt es sich blos um einen Sandhaufen aus klein gemahlenen Korallenkörnchen, auf dem sich einige Palmen und Stauden angesiedelt haben. Es gibt hier keine Erde, keine Steine, keine Hügeln. Nicht einmal der Geruch von Land steigt uns in die Nasen, der salzige Duft vom Meer liegt in der Luft. Außer Kokosnüsse und einem kleinen Brotfruchtbaum wächst hier nichts, was den Menschen ernähren könnte. Im salzigen Korallensand kann kein Gemüse gezügelt werden und Mangobäume schaffen es nicht, hier Wurzeln zu schlagen. Es gibt keine Quelle mit frischem Trinkwasser, will man hier nicht verdursten, muss Regenwasser aufgefangen werden.

Ja nicht einmal Jahreszeiten gibt es hier. Das ganze Jahr durch fegt der Passat über die Insel, lässt die Palmblätter rauschen und erfüllt die Luft mit dem salzigen Atem des Ozeans. Er treibt Regenwolken über das Motu, die so schnell wieder abziehen wie sie kommen. Und auch wenn es weder Frühling, Herbst noch Winter gibt und sich das Atoll im ewigen Sommer sonnt, so gibt es doch eine Saison, deren Namen alleine ein leichtes Unbehagen aufkommen lässt: die Zyklon-Saison. Nicht, dass Suwarrow jährlich von unzähligen tropischen Zyklonen heimgesucht wird, das passiert nur hin und wieder. Doch bieten die Motus nichts, was einem vor einem anziehenden Wirbelsturm schützen könnte. Es gibt keine Erhöhung, die einem vor der aufgepeitschten See und einer Flut rettet, oder stabile Bauten, die sicherstellen, dass einem keine entwurzelten Palmen auf den Kopf fallen. Ja, es gibt nicht einmal eine gut geschützte Lagune, die einem ankernden Boot auch nur ein wenig Sicherheit bieten könnte.

Das Motu – ja das ganze Atoll – scheint nicht für den Menschen geschaffen zu sein. Seine Bewohner sind andere: Hunderte von Seevögel, die ihre Eier einfach am warmen Sand brüten, Kokosnusskrabben, die Nachts über die Insel wandern und sich tagsüber vor der Sonne unter Palmblätter verstecken. Die unzähligen und bunten Bewohner der Lagune. Korallen, Fische in jeder Form und Größe, Muscheln, Schnecken, Langusten, Seeigel, Krebse. Und dann gibt es da noch die kleinsten Bewohner der Insel, die schon alleine wegen ihrer Anzahl nicht vergessen werden können: die Stechmücken und Sandflöhe.

Und dennoch wirken die Atolle der Südsee wie kleine Paradiese auf uns Menschen aus den kälteren Regionen der Welt. Die cremeweißen Strände der Motus betören mit ihrer Reinheit, das türkise Wasser der Lagunen verführt mit seiner Schönheit das tiefgrüne Dach aus Palmblätter verwöhnt mit seiner Pracht. Wie viele Menschen träumen wohl davon, Inseln wie Suwarrow für sich zu entdecken. Einzutauchen in die sonnige Leichtigkeit der Südsee und zumindest für eine kurze Weile zu treiben in der stressfreien Monotonie des ewigen Sommers. Und doch frage ich mich, während ich mich auf einen umgefallenen Stamm einer Palme setze und die kleinen Riffhaie im seichten Wasser vor meinen Füßen bei ihrer Patrouille beobachte, wie lange es wohl dauern würde bis der paradiesische Traum zum realen Alptraum werden würde.

Mich persönlich – und ich gehöre schon von Natur aus zu jenen Menschen, die erst garnicht von einem Paradies in der Südsee träumen – würde die weniger glückliche Realität hier wohl sehr schnell einhohlen. Immerhin staune ich über nichts mehr als über abwechslungsreiche Natur, ich liebe die Jahreszeiten mit all ihren Facetten und könnte mir ein Leben ohne Kultur und hin und wieder menschlichen Kontakt kaum vorstellen. Doch Menschen sind verschieden und des einen Alptraum ist des anderen Traum, wie mir das Atoll von Suwarrow wieder einmal sehr deutlich zeigt.

Denn hier war es, wo sich in den 50ger Jahren des letzten Jahrhunderts ein Neuseeländer freiwillig niedergelassen hat, um das Leben eines Einsiedlers zu leben und einen Sandhaufen im Pazifik zur Wahlheimat zu machen. Tom Neale packte 1952 seine Habe und wenige Kilo Ausrüstung und Proviant zusammen um auf das unbewohnte Atoll, das zu den Cook Inseln gehört, zu ziehen. Ich stelle mir vor, wie er täglich zu einem der Korallenköpfe im Riff tauchte, um sich einen frischen Fisch zu fangen. Wie er Trinknüsse erntete und seine Zeit damit verbrachte, das kleine Häuschen auf der Insel zu pflegen. Wie jeder Sonnenuntergang das Ende seines Tages beschloss und wie die wenigen Segler, die zu jener Zeit im Südpazifik unterwegs waren, die einzige Abwechslung in Form von etwas Gesellschaft brachten.

Sein selbstgewählter Rückzug in die Einsamkeit währte vorerst allerdings nicht lange. Schon zwei Jahre nach seiner Ankunft in Suwarrow fand ihn eine vorbeikommende Segelcrew niedergebrochen mit einem Bandscheibenvorfall und Tom Neale musste zurück in die Zivilisation. Allerdings blieb es für Neale nicht bei den wenigen Jahren auf Suwarrow. Er kehrte zurück und lebte, aufgeteilt auf zwei spätere Aufenthalte, weitere 13 Jahre alleine auf Anchorage Insel.

Unvorstellbar, denke ich mir. 15 Jahre auf einem Atoll. 15 Jahre ohne Familie, ohne Freunde. 15 Jahre ohne Erde, ohne Wiesen, ohne Wälder. Jahre der Einsamkeit und der Einfachheit. Wie muss man wohl „gestrickt“ sein, um so einen Lebensweg zu wählen?! Einen Einblick  gibt das Buch „An island to oneself“ von Tom Neale. Ich habe es mit Erstaunen gelesen!

 

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