„Land in Sicht“ – kaum auszumachen sind die schwachen Konturen, die sich aus den dunstigen Horizont erheben. Island – noch bevor wir es sehen, dürfen wir es spüren. Lange vor der isländischen Ostküste hat das Land bereits die Winde in sich zusammenbrechen lassen. Nach zwei schönen Segeltagen rollen wir das Vorsegel ein und starten den Motor, um die letzten Seemeilen durch die Flaute zu gelangen.
Wir fühlen uns nicht nach Trubel, wollen in keinen geschäftigen Hafen einlaufen. Und wir wollen nicht in einem Hafen feststecken, in dem täglich Hafengebühren von uns verlangt werden. Deshalb entscheiden wir uns, nicht in Sey∂isfjör∂ur einzulaufen. Dem Fährhafen, in dem nicht nur die Fähren, sondern auch die Yachten aus Europa in der Regel ankommen.
Kurs Neskaupsta∂ur also. Hier gibts neben dem großen Fischereihafen auch einen kleinen Anleger direkt vor dem Dorf und das Einklarieren sollte kein Problem sein. Am Eingang zum Fjord braust ein Fischer auf uns zu, grüßt, betrachtet uns kurz und zieht wieder ab. Wir bergen das Großsegel und bereiten die Festmacher vor.
Per Funk lasse ich die Küstenwache von unsere Ankunft wissen.
Der Hafenmeister hat uns bereits gesehen und wartet schon am Steg. Er bleibt an Bord, bis die Polizei am Steg steht.
Die Polizei? „Die Border-Patrol hat leider gerade keine Zeit, zu euch zu kommen. Deshalb springen wir ein“, lässt uns die freundliche Beamte wissen. Wir füllen Crewlisten, Zolldeklarierungen und Gesundheitsunterlagen aus. Pässe werden begutachtet, Papiere gestempelt und nach wenigen Minuten ist die Bürokratie erledigt. Willkommen auf Island.
Der Hafenmeister lässt uns wissen: 200m vom Steg ist der öffentliche Pool mit den Hot Tubes, da drüben der Supermarkt. Und das Museum ist ja nicht zu übersehen. Wasser und Diesel gibts im Fischereihafen und für den Fall, dass wir etwas benötigen, drückt er uns seine Telefonnummer in die Hand.
Und grinsend bekommen wir noch die beste Auskunft, nachdem der Hafenmeister unsere Trial-Motorräder in der Vorpiek gesehen hat: „Dort drüben, etwas südlich von uns, gibts ein Skigebiet. Das ist schon geschlossen, aber am Weg dort hin gibts eine 4×4 Piste, die euch Spaß machen wird: folgt einfach der Strasse bis zum Tunnel. Direkt vor dem Tunnel biegt links auf die Schotterstraße ab. Viel Spaß!“
Das lassen wir uns nicht zweimal sagen.
Nach einigen Kilometern auf Asphalt erreichen wir endlich die Schotterpiste. Ein Schild warnt uns, die Straße sei unpassierbar. Der Grund: Schneefelder.
Wir versuchen es trotzdem und erreichen den Gipfel. Die Aussicht ist eindrucksvoll. Tief unter uns breitet sich der Nordfjord aus. Umgeben von dunklen Hängen mit schneeverhangenen Gipfeln. Tiefe Wolken ziehen eilig dahin, verfangen sich immer wieder in den Bergen und verschleiern die Sicht. Nebel zieht von der See herein, kriecht die Hänge hoch und breitet sich aus. Plötzlich ist der Fjord verschwunden, unter uns breitet sich ein Meer aus Dunst und Nebel.
Zurück an Bord heizen wir den Dieselofen ein. Es ist kalt geworden und bald zieht Regen auf. Das hindert die Isländer nicht daran, draußen zu feiern.
Heute ist „Fisherman´s Day“.
Der Tag, der hier mehr als anderswo gefeiert wird. Überall im Dorf hängen Signalflaggen, der große Fischkutter BARDI zieht laut hupend Runden durch den Fjord.
Alles ist auf den Beinen, am Anleger der Kutter herrscht Party, bei uns am Steg sammeln sich Familien zum Fischen und Hotdog-Grillen. Die Küstenwache und unzählige keine Fischkutter fahren eine Parade rund um die Hafenanlagen. Die isländischen Dörfer leben vom Fisch und es ist selten genug, dass alle Väter und alle Brüder gleichzeitig zuhause sind. Der Tag der Fischer ist deshalb auch Tag der Familien.
Schon am nächsten Tag herrscht erneut geschäftiges Treiben auf der BARDI. Sie wird umgerüstet für den Makrelenfang. Bald schon geht´s wieder auf See.
Auch wir brechen auf.
Wollen ein Stück weiter segeln und langsam in den Norden ziehen. Wir blättern im Küstenhandbuch und finden einen interessanten kleinen Hafen. Der kleine Fischerhafen von Bakkager∂i soll zwar sehr eng und überfüllt sein, sodass nur „kleine Yachten“ Platz finden sollten, aber wer weiß schon genau, was der Autor des Küstenhandbuches unter „klein“ versteht. Wir versuchen unser Glück.
Und erreichen den für uns wohl schönsten Platz der isländischen Ostküste.
Der Hafen ist klein und voll, die Einfahrt verwirrend: Das Richtfeuer leitet uns beängstigend nahe an die Mole heran. Wir entdecken die felsige Untiefe mitten in der Hafeneinfahrt erst, als sie direkt neben uns liegt. Erst später werden wir erfahren, dass die Hafeneinfahrt gerade erst gebaut wird, weshalb jeden Tag bei Niedrigwasser ein Bagger auf die Untiefe hinaus fährt und an ihrer Beseitigung arbeitet.
Kaum im Hafenbecken selbst, zeigt uns ein Fischer, welcher Kutter für die nächsten Tage still liegt und hilft uns beim Festmachen längsseits. Der Hafenmeister hat keine Freude mit La Belle Epoque im Fischerhafen. Er lässt uns wissen, dass am Betonsteg vor dem Dorf Platz für besuchende Yachten ist. Doch da wir nun schon mal hier sind und die Fischer kein Problem mit uns sehen, dürfen wir bleiben.
Wir wundern uns über die vielen Touristen im kleinen Fischereihafen von Bakkager∂i. Am Parkplatz reihen sich Camper, Busse und Mietautos und Touristen aus aller Welt laufen zwischen dem Parkplatz und der kleinen Felsinsel am Ende des Hafens hin und her und wecken meine Neugierde. Hier muss es etwas besonders zu sehen geben.
Und tatsächlich: Die kleine Felsinsel vor dem Hafen ist ein Vogelfelsen!
Hunderte Papageientaucher nisten hier und es gibt wohl kaum eine bessere Gelegenheit, die kleinen Vögel zu beobachten und zu fotografieren. Und wir können sogar helfen: Wir entdecken einen beringten Vogel, schissen ein Foto und schicken es ans „South Iceland Nature Research Center“. Wir erfahren, dass „unser“ Papageientaucher vor etwas über zwei Jahren hier am Vogelfelsen von Bakkager∂i markiert und seither nicht mehr gesichtet wurde. Er war auf Hochsee und ist nun zum Brüten auf seinen Heimatfelsen zurückgekehrt.
Doch nicht nur der Vogelfelsen von Bakkager∂i beeindruckt: Im Hafen lernen wir Hallur kennen. Einen jungen Fischer, der uns kurzerhand in seinen Kutter packt um uns die schönsten Plätze vor der Küste zu zeigen.
Er entführt uns zu einer schwarzen Steilküste, fährt zwischen Untiefen und Felsen bis in eine Felsspalte zum Eingang einer Höhle. Wir sind umgeben von Seevögel – von Eissturmvögel, Alke und Papagientaucher. Das volle Leben an diesen Felswenden Islands lässt uns mit offenen Mündern staunen.
Schnell finden wir heraus, dass Hallur begeisterter Motocrosser ist und sein Interesse an unseren Trial-Motorrädern ist sofort geweckt. Nach dem gemeinsamen Bootsausflug übergebe ich ihm deshalb meine Beta.
Er wird Jürgen die schönste Tour im Bergland um Bakkager∂i zeigen.
Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel, der Tag ist viel zu schön, um im Fischerhafen herumzuhängen. Ich packe den Rucksack zusammen und wandere über die Berge vor dem Hafen. Eine unglaubliche Landschaft präsentiert sich mir. Die Berge von Bakkager∂i sind nicht mehr aktiv, aber sie können ihre vulkanische Herkunft nicht verbergen. Buntes Geröll soweit das Auge reicht, alte Krater und bizarr geformte Lavafelsen. Torf, bewachsen mit Moos, Gras und arktischen Blümchen bedecken die Hügel. Dazwischen kleine Teiche, die von unzähligen Bächen gespeist werden. Wasserfälle in jeder erdenklichen Größe suchen sich ihren Weg über die Felsen.
Zurück an Bord wartet Jürgen bereits auf mich. Er verspricht, mir die schönste Route unserer bisherigen Reise zeigen zu können. Das macht neugierig. Die Tage hier nehmen kein Ende und es ist nicht nötig, auf morgen zu warten, um noch eine Runde mit dem Motorrad zu drehen.
Gemeinsam ziehen wir los und ich tauche ein ins Offroad-Islands. Wo sich eine neue Welt für uns eröffnet!