Frei und unterwegs. Das klingt fast kitschig, und doch geht mir diese Wortkombination, gerade durch den Kopf.
Freiheit. Unterwegssein. Wörter, die doch mehr für mich ausdrücken als reine Reisefreiheit.
Aber was bedeuten diese Worte eigentlich für einen Mitteleuropäer? Was genau ist Freiheit für uns? Gerade die letzten Wochen habe ich wieder einmal deutlich gespürt, wie verschieden unser aller Lebensrealitäten sind. Selbst hier, im wohlbehaltenem Mitteleuropa, im scheinbaren Gleichklang.
Diese letzten zwei Wochen haben wir damit verbracht, durch die Länder zu tingeln und unsere Geschichte zu erzählen. Und dabei haben wir viele verschiedene Menschen getroffen. Manche nur für die Kürze eines Augenblicks, mit anderen konnten wir Zeit verbringen.
Wir haben viel Begeisterung gespürt. Es ist ein großes Kompliment, dass wir erneut die Vortragssäle gefüllt haben. Dass manche Gäste sogar ‚Wiederholungstäter‘ waren. Und vielleicht haben wir ja sogar ein oder zwei Menschen inspiriert, ihre eigenen kleinen oder großen Traum zu träumen.

Unsere Geschichte erzählen wir gerne, das Schönste am Vortragen sind die Gespräche und Begegnungen dazwischen. Beim Aufbau, am Eingang, am Büchertisch, vor Feierabend. Oder unerwartet irgendwo dazwischen. Dann erfahren wir ein klein wenig über andere Geschichten, über andere Lebensweisen.
Und dabei hören wir, wie wunderbar vielfältig unser aller Realität ist. Wie unterschiedlich und bunt unsere Gedanken zu ganz einfachen Schlagwörtern sind. Schlagwörter wie Mut. Freiheit. Verzicht. Reisen. Alltag. Oder Sicherheit.
Also, worin liegt nun unsere ganz persönliche Freiheit?
Einmal abgesehen von jenen Freiheiten, die in den Menschenrechten verankert sind. Die in einer perfekten Welt für alle Menschen selbstverständlich sein sollten und es dennoch nicht sind. Abgesehen davon lässt sich dieses Wort doch auf unglaublich viele weitere Arten denken.
Nachdem wir Ende September am Schweizer Vortragsfestival, den Discovery Days, als Highlight mit dabei sind, haben wir uns einen Monat lang auf den Weg gemacht, um genau diese Frage ein klein wenig zu ergründen.

Unsere Entscheidung, fürs Vortragsfestival früher als normal La Belle Epoque in Norwegen in einen Hafen zu legen, hat sich gelohnt. Die Discovery Days sind wieder einmal eine Wucht. Dann gehts los zu unserer ganz persönlichen, etwas anderen Reise.
Freiheit heißt, auch einmal etwas anderes zu versuchen!
Jürgen steuert unseren ‚Roten Blitz‘ über die Pässe nach Italien. Reisen am Segelboot ist zu unserem Leben geworden. Seit Jahrzehnten sind wir den Großteil der Zeit auf unserer Expeditionsyacht unterwegs. Doch Freiheit heißt für uns auch, uns zwischendurch anders herauszufordern.
So haben wir beschlossen, einen Monat lang nicht die Ozeane, sondern die Gebirge besser kennenzulernen, genauer gesagt die Alpen. Ohne Autobahnen und mit dem Campingvan. Mit im Gepäck: Die Wanderstöcke und die Motorräder!
Bereits der Splügenpass ist spektakulär: kahle Berghänge, schmale Kehren, geniale Aussichten und der erste Schnee unserer Herbstreise.

Noch extremer wird´s in Italien nach Pianazzo: Kehren so eng, dass Jürgen den Kastenwagen dreimal revidieren muss, um die Kurve zu packen. In Schrittgeschwindigkeit gehts talwärts.
Hinter uns ein Auto voll schimpfender Italiener. Wir dürften das Verbotsschild für Fahrzeuge über 5 Meter Länge übersehen haben. Mit Herzklopfen gehts durch niedrige Felstunneln, die laut Schilder eine Durchfahrtshöhe von 2,3 Meter garantiert – unser ‚Roter Blitz‘ ist 2,45 Meter hoch! Wir passen trotzdem durch.
Am nächsten Morgen geht´s wieder einen Pass zurück in die Schweiz. Arogno erreichen wir auf legalem Weg, auch wenn diese Passstraße nicht weniger eng ist. Zumindest gibts hier keine niedrigen Tunneln.
Zeit, die Motorräder auszupacken.
Wir starten zu unserem ersten kleinen Ausflug in die Bergwelt der Lombardei.

Über einen Schotterweg schrauben wir uns hoch auf Kammstraßen, erreichen mit breiten Grinsen im Gesicht irgendwann das Refugio Venini. Sitzen bei Edelsalami mit Bergkäse, Ciabatta zu einem Glas Quellwasser und lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen. Weit unter uns glitzert der Comosee.
Wir tratschen mit einem Motorradfahrer aus Mailand, der am Nebentisch seinen Kaffee genießt, während die beiden Hofhunde jeden Schritt der jungen Hüttenwirtin verfolgen.

Zurück am Comosee bestaunen wir den unglaublichen Prunk der Villen. Früher wurde hier mit feinster Seide gehandelt, der Comosee hat um seine Ufer immer schon Reichtum versammelt.
Langsam ziehen wir durch die enge Seestraße, vorbei an Restaurants, hinter deren Scheiben Kellner mit Frack und weißen Handschuhen den internationalen Geldadel bewirten.
Ob wohl diese Gäste heute genauso viel Spaß hatten wie ich?‘, wundere ich mich. Wäre es überhaupt denkbar, dass sich die Oberschicht billige Betas kauft, um damit die Schotterstraßen ihrer Heimat zu entdecken? Meine kleine Beta Alp ist wohl eher das Motorrad der italienischen Hirten und Bauern.

In der Einfachheit liegt nicht nur Spaß, sondern auch unsere ganz persönliche Freiheit.
Um nichts in der Welt möchte ich die einfache Bretteljause im Refugio gegen den Abend in einem dieser Haubenrestaurants eintauschen!
Mit dem Camper lassen wir die Berge kurze Zeit hinter uns. Rund um Mailand gehts durch die Ebenen bis Turin. Ausgedehnte Acker breiten sich um uns. Sumpfig und nass ist das Land.
Ich staune, erkenne die gelben Büscheln auf den Feldern nicht. Als Bauernkind sollte ich doch eigentlich erkennen, was hier geerntet wird. „Reis.“ Lässt mich Jürgen bald schon wissen.

Reis? Ehrlich. Gehört der nicht eher nach Asien? Aber nicht doch. Italien muss sich mit seiner Jahresproduktion von rund eineinhalb Millionen Tonnen Risottoreis nicht verstecken: Es ist der größte Reisproduzent Europas und im nächsten Supermarkt wandert eine Packung Carnaroli-Reis in den Einkaufswagen. Unsere Fahrt in den Süden wird mehr und mehr zur kulinarischen Reise!
In Piemont angekommen biegen wir in ein besonderes Tal: Das Susatal. Ein Tal, das Piemont mit Frankreich verbindet. Doch diese Verbindung war nicht immer gewünscht, oft sogar heiß umkämpft.
Wir wandern ums Fort Exilles, bestaunen die meterdicken, undurchdringlichen Mauern dieser militärischen Grenzanlage. Wenn auch nur von Außen, die Saison für Touristen ist längst vorüber.

Zweifellos. Unsere Freiheit basiert zum großen Teil auf Zusammengehörigkeit.
Wir können ohne Grenzen zwischen den Nationen hin und her wechseln und müssen uns keine Sorgen machen, dass es nicht weitergeht. Oder gar, dass jemand auf uns einfällt. Was es bedeutet, der Machtgier einzelner Herrscher ausgeliefert zu sein, lässt uns diese und alle weiteren Grenzanlagen nur schwer erahnen. Und Grenzanlagen werden wir hier noch viele sehen.
In Bardonecchia schlagen wir für die kommenden Tage unser Lager auf. Abgelegen auf einem Hügel über dem hübschen Skiresort machen wir uns keine großen Sorgen, wegen Wildcampen bestraft zu werden. Weshalb auch, die Menschen hier scheinen kein Problem in uns zu sehen und winken von Weitem.

Der einzigen herumfliegenden Verpackungsmüll – eine Plastikpackung eines Schokoriegels – muss wohl aus Versehen verweht worden sein. Er wandert in unseren Müllsack. Hier in Italien ist es denkbar einfach, seinen Müll passend zu entsorgen. Überall an den Straßen, auf Parkplätzen und in den Dörfern sind große Müllsammelstationen aufgebaut. Und offensichtlich kommt niemand auf die Idee, diese Sammelbehälter zu ignorieren. Selten reisen wir durch so sauberes Land!
Auf jedem Dorfplatz finden wir Trinkwasserbrunnen, bei denen wir regelmäßig unseren Tank auffüllen können und immer wieder stoßen wir auf kostenlose Plätze für Abwasserentsorgung. Gratis Stellplätze, auf denen wir willkommen sind, gehören ebenso zur italienisch-alpinen Sitte. Grazie mille! Österreich könnte sich da mal eine große Scheibe abschneiden!
Kostengünstig reisen, ohne dabei als Plage empfunden zu werden, gehört zu jenen Freiheiten, die wir uns in Österreich ganz unüberlegt selber nehmen lassen.
Wie dumm wir doch sind, wenn wir behaupten, nur wer viel Geld bringt, ist ein wünschenswerter Tourist. Übersehen wir dabei, dass wir uns bald selbst nicht mehr in den eigenen Alpen frei bewegen dürfen.
Und doch wäre es so einfach, mit etwas gegenseitigen Respekt und ein klein wenig Infrastruktur eine ganze Welt an Natur und Freiheit zu genießen, ohne uns gegenseitig auf die Zehen zu steigen.
Piemont geht diesbezüglich sogar ein Stückchen weiter. Offensichtlich wird hier nicht das subjektive Bild von „Gut“ (Spaziergänger) und „Böse“ (Camper, Mountainbiker, Reiter, Motorradfahrer und Offroader) hochgehalten. Viel mehr scheinen die Norditaliener darauf zu achten, dass jeder Platz hat. Die bekanntesten Bergpisten sind einfach durch Nutzungstage reguliert.

Freiheit heißt für mich auch, sich gegenseitig Platz zu lassen und die Welt nicht in Schwarz und Weiß zu teilen.
Die kommenden Tage erleben wir die schönsten Hochstraßen, die wir uns denken können. Auf ruppigen Schotterwegen gehts dreitausend Meter hoch am Colle del Sommeiller. An die französische Grenze und bis in den Schnee.

Auch hier darf ich wieder erleben, eine richtige Italienerin unter mir zu haben. Meine kleine Alp scheint mindestens genauso viel Spaß wie ich zu haben, sobald sie grobe Steine und Matsch unter ihren Reifen spürt.
Mit Leichtigkeit ziehe ich an den großen Adventurebikes vorüber, die mich zuvor auf Asphalt überholt haben. Es ist das Fliegengewicht meiner Kleinen, das hier oben zählt. Zumindest für mich.

Bald schon bekommt meine Beta Alp Gesellschaft. Bergwandern auf Betas scheint in Italien zum Volkssport zu gehören. Und jeder Italiener, der am Gipfel ankommt, beschreibt uns eine weitere Tour in den Bergen rund Bardonecchia.
‚Ob diese ganzen Strecken legal zu befahren sind?‘, will ich sicherheitshalber wissen. „Aa, thise ise Italy“, tönt ein netter Endurist sogleich. „We do not teke the law very siriosi. Do note worry. End if the Policia gete you, it is only e tiicket!“ Na ja, das gilt vielleicht für Italiener, aber wohl kaum für uns.
Unsere Touren führen uns durch einen kilometerlangen, unbeleuchteten und ausgewaschenen Felstunnel zum Fort Jafferau, hoch ins Skigebiet von Colomion, ins unglaublich hübsche Dorf Puys und über die berühmte Assietta Kammstraße. Auch ein paar unbekannte Pisten kommen dazu.

Am Colle del Finestre füllen wir unsere Hosentaschen mit von den Bäumen gefallenen Maroni, in Susa gibts das letzte Gelato der Saison. Abends gibts Pasta mit Gorgonzolasauce und ein Glas Wein beim Camper oder italienische Würste mit gebratenem Rucola und Käse mit Grappa zum Dessert. Anhaltender Sonnenschein wird fast zur Selbstverständlichkeit. Wir sind im Dolce Vita angekommen.
Es wird Zeit, zusammenzupacken, sonst schlagen wir hier noch Wurzeln! Vor uns liegen noch einige spannende Alpenpässe. Und außerdem müssen wir ja auch noch dem Meer unsere Aufwartung machen!


















