Leichter bis mäßiger Südwind ist gemeldet. Später Flaute, gefolgt von sich verstärkenden Nordwind.
Ein Wetterbericht, der uns überzeugt, lieber gleich bis zu den Lofoten durchzusegeln, auch wenn wir einen großen Teil der Fahrt unter Motor laufen müssen. Zu warten würde heißen, bei auffrischendem Nordwind die Inselkette im Nordmeer gar nicht mehr zu erreichen.
Anker auf.
Bereits um sechs Uhr morgens dampft LA BELLE aus der gut besuchten Ankerbucht von Hjartøya. Eine ungewöhnliche Zeit für uns, wir sind es mittlerweile gewöhnt, auszuschlafen.
Wir ziehen Groß und Besan hoch, rollen die Genua zu ihrer vollen Größe aus, stellen den Motor ab und …
… treiben.
Nein, so geht das nicht. So kommen wir niemals auf den Lofoten an.
Mr. Perkins bekommt bei dieser Fahrt nur hin und wider Pausen.
Nur zwischendurch gehen die Segel hoch. Dann zieht LA BELLE EPOQUE leichtfüßig durch spiegelglattes Wasser zwischen den Schäreninseln. Gut versteckt vor jeglicher Dünung.
Im Vestfjord – dem Gewässer zwischen Norwegens Festland und den Lofoten, wird´s doch noch rau.
Hackig stellt sich die kurze See auf. Sie ist nicht hoch, aber ungemütlich. Und – wie kann es auch anders sein – sie prescht uns genau entgegen. LA BELLE bockt, während Mr. Perkins sie immer weiter durch die Wellen zwingt.
Durch die Fenster des Steuerhauses beobachte ich in der Zwischenzeit ein wunderliches Spektakel.
In genussvoller Trägheit geht die Sonne unter. Stunden nimmt sie sich dafür Zeit, malt die wärmsten Farben auf den Himmel und tauch die Schaumkronen der See in satte Rosatöne. Orangerot flimmert die große Kugel, während sie langsam wie in Zeitlupe zwischen den schwarzen Schatten der Lofoten ins Meer taucht.

Es ist der erste Sonnenuntergang seit Wochen.
Wird sie wirklich vollständig untergehen? Ich kann die Antwort nicht abwarten. Übergebe Jürgen die Wache, noch bevor die Sonne verschwunden ist.
Um sieben Uhr morgens laufen wir in Moskenes ein. Im Fischereihafen dürfen wir kostenlos am breiten Steg anlegen. Perfekt, von hier aus wollen wir die Lofoten über Land besser kennenlernen.
Bald stehen unsere Motorräder am Steg. Bereit, die „schönsten Inseln der Welt“ zu erkunden.

Die Lofoten.
Eine Inselgruppe, die für viele Besonderheiten steht.
Für einzigartige, schroffe Gipfeln, die sich direkt aus dem Meer erheben.
Für Dorsch und Winterkabejlau.
Für malerische Fischereidörfer aus roten Holzhäusern, die sich auf ihren Stelzen direkt am Ufer aneinanderdrängen.

Für anspruchsvolles Segeln zwischen fauchenden Fallwinden und reißende Strömungen.
Für weiße Sandstrände, auf denen die Wellen des arktischen Ozeans brechen.
Für die Mitternachtssonne und ihre wundervollen Lichtstimmungen.

Und für Tourismus. So viel Tourismus, dass wir nur noch staunen können.
Seit unserem letzten Besuch vor knapp 15 Jahre erkennen wir die Inseln kaum wieder.
Dazumal verschlafene Dörfer, die still auf den Winter und die damit kommende Kabeljau-Saison zu warten schienen, explodieren heute vor Menschenmengen.
Über eine Million Besucher wurden 2023 auf den Lofoten begrüßt. Wobei diese Zahl wohl kaum alle zusätzlichen Campingtouristen beinhaltet. Und mein Gefühl sagt mir, dass es dieses Jahr nicht weniger geworden sind.
Mit unseren Motorrädern ziehen wir auf der Landschaftsroute – der ausgewiesenen Touristenstraße – fast schon in einer Kolonne aus Mietautos, Camper, Autos mit Dachzelter, Reisebusse und Tourenmotorräder dahin.
In den Dörfern reihen sich die Rorbuer-Hotels aneinander, sämtliche Parkplätze, die nicht mit einem „Camping forbut“ Schild ausgestattet sind, füllen sich bereits am Nachmittag.
Noch begrüßen uns die Einheimischen freundlich.
Noch erleben wir Fischer, die spontan mit uns tratschen. Noch werden wir in ihren Häfen willkommen geheißen. Doch wir sehen, dass die Lofoten unter Druck stehen.
Unter Druck, weil die schiere Menge an Touristen zu Problemen führt, die für den einzelnen Touristen schwer zu verstehen ist. Und das fängt bei verstopften Dorfstraßen an, und hört beim unüberlegten Wildcamping auf.
Ich selbst gehöre zu den Verfechtern für Wildcamping. Ich liebe es, an schönen Plätzen rast zu machen, in der Natur das eigene Lager aufschlagen zu dürfen. Und ich würde niemals jemanden grundlos verbieten, bei uns im Wald, am Feldweg, am Bachufer oder auf der Wiese das Zelt aufzuschlagen und zu übernachten.
Wir alle sollen die Natur genießen dürfen und können. Mit Hirn und Eigenverantwortung. Denn eigentlich sollte das Jedermannsrecht nicht etwas speziell Skandinavisches sein, sondern ein Menschenrecht.
Ich selbst bin der Meinung, dass draußen leben, unterwegssein, Länder und ihre Natur genießen niemals zu etwas verkommen darf, dass zahlenden Gästen vorbehalten wird. Die Welt darf auf keinen Fall zu einem einzigen Konsum-Disneyland verkommen.

Aber hier auf den Lofoten werden doch Probleme der anderen Art sichtbar:
Müllberge, die entlang eines Parkplatzes zurückgelassen wurden, sind und bleiben für mich unverständlich.
Nicht nur, dass die Gemeinden mit dem vielen Müll überfordert werden, zu aller Übel sorgen noch die Möwen dafür, dass Lebensmittelverpackungen übers Umland und Meer verstreut werden.
Und als ich mein Motorrad an einer kleinen Ausbuchtung entlang der Straße abstelle, um ein Foto vom hübschen Hinterland zu machen, kann ich es kaum glauben. Die Büsche entlang des Straßenrands werden für mich unüberwindbar.
Nicht, weil die Sträucher zu hoch sind, sondern weil der Boden rund um sie eine einzige, große Toilette geworden ist. Es scheint, als wäre kaum ein Campinggast auf die Idee gekommen, entweder ein Portapotti oder einen kleinen Spaten mit dabei zu haben. Wie traurig.
Zum Glück bewegen sich die meisten Touristen entlang der ausgetretenen Pfade. Auch hier auf den Lofoten genügt es, von den Hauptverkehrsrouten abzuweichen, und schon gehört uns die Straße fast alleine.

Wir beschließen, nicht weiter in den Norden zu segeln.
Das Wetter ist ruhig genug, um uns eine besondere Segeletappe zu erlauben: Wir wollen den berühmten Mahlstrom überqueren – den Moskenstraumen.
Es ist einer der stärksten Gezeitenströme auf dem offenen Meer weltweit. Bis zu sechs Knoten Strom wurden bisher zwischen den Inseln Moskenesøya und Mosen gemessen, wenn sich das Meerwasser inmitten der den Inseln durchzwängt.
Natürlich sind die Gezeiten nur eine – zugegebene eher langweilige – Erklärung für die Wasserwirbel, die Sturzseen und die kochenden Wellen, die bei stürmischen Westwind schon so manches Schiff bedroht oder versenkt haben.

Bereits die alten Wikinger hatten eine viel eindrucksvollere Erklärung:
Denn hier, zwischen den südlichen Lofoteninseln war es, wo einst das Schiff vom Kriegstreiber Mysing versank, nachdem dieser den dänischen König Frø∂i erschlagen und mit der Mühle Grotti und den beiden Walküren Fenja und Menja davongesegelt war.
Die Mühle Grotti war keine alltägliche Kornmühle. Auf ihr konnte alles Herbeigemahlen werden, was man sich wünschte.
Wie schon König Frø∂i wurde Mysing gierig und unersättlich, sobald die Mühle für ihn arbeitete. Doch er wollte weder Gold noch Glück, er wollte Salz.
Und so mahlten Fenja und Menja Salz, bis das Schiff von Mysing hoffnungslos überladen war. Und sie mahlten weiter, bis das Schiff seine Last nicht mehr tragen konnte und in einem riesigen Wirbel aus Salzwasser zum Meeresgrund sank.
Dort unten angekommen mahlen die beiden Walküren immer noch ihr Salz und sorgen so bis heute dafür, dass die See im Moskestraumen wirbelt und kocht, das Meer salzig geworden ist und das der Mahlstrom Schiffe bedroht und Fantasie anregt.

Aber keine Sorge, mit unserer eigenen Überquerung des Moskestraumen sind wir nicht völlig übermütig geworden.
Wir segeln bei gemütlicher Brise aus Ost und halten Abstand von den seichtesten – und damit strömungsreichsten – Gebieten im Mahlstrom.
Wir erleben weder Wasserwirbel noch Sturzseen, sondern einen herrlichen Tag unter Segel bei lauen 30 Grad in der Sonne, einem dunkelblau glitzernden arktischen Ozean und einer traumhaften Inselkulisse.
Im rosa Abendlicht fällt schließlich der Anker in der ausladenden Sørlandsbukta der Insel Værøy.

Wir sind bei einem ungeahnten Highlight der Lofoten angekommen: den spektakulären Wanderzielen von Værøy.
Tage verbringen wir auf den Gipfeln, den Graden und den Hängen dieser alten Felsen. Und wir können unser Glück kaum glauben: Immer noch werden die Lofoten vom Schönwetter eines Hochs umschmeichelt.

Seit Wochen haben wir nichts anderes als Sommer, Sonne und leichte Winde erlebt.
Immer noch können wir uns abends beim frischen Bad im akritschen Ozean den Schweiß der Wandertage abwaschen. Und immer noch brutzelt ein täglich frischer Dorsch in unserer abendlichen Pfanne.

Schließlich wird es Zeit, uns von den Lofoten zu verabschieden.
Wir haben für heuer unser nördlichstes Ziel erreicht. Nun gehts gemütlich zurück bis in den Trondheimfjord, wo bereits ein Stegplatz auf LA BELLE wartet.
Dort werden wir unsere Reise für kurze Zeit unterbrechen und ins Flugzeug nach Österreich steigen.
Auf uns wartet ein aufregender Herbst.
Mit Vorträgen in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland.
Und mit einer Neuerscheinung: Wie ich mich darauf freue, bald schon unser neues Buch „Hart am Wind“ von National Geographic in der Hand zu halten!