Abschied von der Arktis

10. August 2022. Die Sonne strahlt am wolkenlosen Himmel, beleuchtet einzelne Eisberge in Scoresby Sund. Über dem Meer verschleiern Nebelbänke den Horizont.

Es stimmt mich ein wenig traurig, die Schönheit dieser Szene hinter mir zu lassen, den Nebelbänken entgegenzufahren. Bis sich alle Formen und Farben im Grau der nassen Welt der arktischen Hochsee verlieren. Bis aus diesem friedlichen und warmen Morgen ein eisiger, anstrengender Tag auf See wächst.

Eisberg im Nebel
Eisberg im Nebel

Es ist ein wehmütiger Abschied. 

Viel zu kurz scheint die Zeit, die wir in Grönland verbracht haben. Viel zu viel gibt es noch zu entdecken. Viel zu sehr liebe ich dieses eisige Land, um ihm erneut den Rücken zu zeigen.

Zum zweiten Mal haben wir nun dieses Land besucht. Zweimal durfte ich bereits diese außergewöhnliche Natur erleben. Darf man eigentlich darauf hoffen, immer wieder an so einen schönen Ort zu gelangen? Könnte es das letzte Mal sein, dass ich diese großartige Kälte erlebe?

Oder kann ich mir selbst versichern, dass ich bald wieder an diese Küste gelangen werde? Darf ich mir selbst versprechen, noch einmal den Kurs nach Grönland einzuschlagen?

Doch, ich darf. Es gibt noch so viel hier zu entdecken. Und insgeheim weiß ich, dass ich es so oder so nicht schaffen werde, von dieser Küste zu lange fern zu bleiben. Dieser Abschied muss kein endgültiger sein!

Doch Abschied müssen wir nehmen. Denn die Wettervorhersagen zeigen die Möglichkeit, ohne den Einsatz der Sturmsegel in den Süden zu gelangen. Eine Möglichkeit, die wir nicht ungenützt verstreichen lassen wollen!

Vor allem, da wir gegen alle unsere Prinzipien mit Termin segeln. 

Einem Termin, zu dem wir zurück in Österreich sein müssen.

Es ist nicht das erste Mal, dass wir ein Meer überqueren mit festem Ankunftstermin. Ein einziges Mal haben wir das bereits gemacht. Und dabei unendlich schlechte Erfahrungen gesammelt.

Dazumal haben wir uns geschworen, nie mehr nach knappen Zeitplan zu segeln. Niemehr den Terminkalender die Segelpläne diktieren zu lassen.

Es ist viele Jahre her, dass wir knapp nach Ende der Hurrikan-Saison das Karibische Meer durchquerten. Getrieben von einem Termin, den wir uns selbst ein halbes Jahr vorher gelegt haben – dem Urlaub meiner Eltern an Bord.

Und damals ging alles schief, was nur schief gehen kann.

Die Hurrikan-Saison war gerade zu Ende, doch was heißt das schon? 

Kaum waren wir unterwegs, bildete sich der brutalste Hurrikan der Saison. Lenny tobte mit Windgeschwindigkeiten bis 135 Knoten – knappe 250 km/h – und flutartigen Niederschlägen durch das Karibische Meer. Die Amerikanischen Jungferninseln verzeichneten einen Anstieg des Meeresspiegels über 4 Meter, im geschützten Hafen von St. Barthélemy auf den Leeward-Inseln wurde eine unglaubliche Wellenhöhe von 5 Meter gemessen. 17 Menschen kostete Lenny das Leben, sechs davon gingen Offshore verloren. Zu den verlorenen Seeleuten zählte auch die Crew einer Segelyacht.

Hurrikan Lenny, Bildquelle: NOAA

Und auch wir hatten ordentlich zu kämpfen. Lenny jagte uns durch das Karibische Meer, brachte uns mit seinen Wellenbergen zum Kentern, zerriss unsere Sturmsegel und beschädigte unser Rigg. 

Hurrikan Lenny drehte knapp hinter uns ab. Wir kamen mit dem Leben davon.

Der außergewöhnliche Track von Hurrikan Lenny. Wir segelten zu dieser Zeit von Panama nach Florida. Bildquelle: NOAA

Wir erreichten Florida mit so knappen Zeitplan, dass wir durch die Riffpassagen im Süden des Landes beinahe alles auf einem Riff verloren. Im Versuch, die Etappe entlang der Riffe so weit als möglich abzukürzen und Zeit zu sparen, landeten wir prompt auf einem Riff.

Schließlich erreichten wir Miami, einen Tag bevor meine Eltern aus dem Flugzeug steigen sollten – mit zerrissenen Segeln, beschädigtem Rigg, kaputten Kiel und mit 10 Kilo weniger auf den Rippen. 

Und mit der Erfahrung, nie wieder eine Segeletappe mit festgesetztem Ankunftstermin zu planen.

Doch unsere ganz so freien Jahre sind vorerst vorbei.

Unsere Jahre, während der wir zeitlos durch die Welt gezogen sind. Für die nächsten Jahre wollen und müssen wir versuchen, mindestens zwei Lebensarten unter einen Hut zu bringen. Das Leben als Reisende, unterbrochen von einem verwurzelten Leben in einem festen Zuhause.

Und damit haben wir also zum ersten Mal Termine, die wir auch bei Reisestart schon kennen und die unsere Reisezeit definieren. Unser heuriger Endtermin? 

Unser Vortragstermin am Kalkalpen Diafestival wurde auf 30. Oktober vorgezogen. Wir werden also am Sonntag, den 30. Oktober um 18:00 Uhr in Steyr auf der Bühne stehen und von unserem Reiseleben erzählen. Und wir freuen uns darauf.

Und damit haben wir guten Grund, eine frühe Rückfahrt zu planen.

Klar, am 10 August in Grönland aufzubrechen, um am 30 Oktober in Oberösterreich zu sein, scheint überstürzt. Doch ist es das wirklich?

Wie immer am Nordatlantik ziehen die Tiefdrucksysteme der Reihe nach über Island durch. Und viele von ihnen bringen Sturm. Um nach Europa zu kommen, müssen wir die knappen Segeltage zwischen diesen Tiefs nützen.

Trotz des heufigen Schwerwetters in diesen Regionen ist dieser Segeltörn nicht besonders gefährlich, solange er richtig geplant wird. Denn der Nordatlantik bietet eine Reihe an „Pitstops“. Ziehen Sturmtiefs durch, können wir uns getrost in einen der sicheren Häfen von Island, den Färöer Inseln und der Shetland Inseln verkriechen und abwarten. Abwarten, bis erneut einige Tage ruhiges Segelwetter zwischen Tiefdrucksystemen liegt und eine sichere Weiterreise ermöglichen.

Doch Obacht!

Desto später wir aufbrechen, desto kürzer werden die Perioden an sicherem Segelwetter. Im September zieht der Herbst ein – und das bedeutet Sturmzeit im Nordatlantik. Die Wartezeiten für segelbares Wetter werden dann länger.

Auch können Tiedfruchsysteme im Nordatlantik gerne mal über längere Zeit trödeln. Zieht ein Sturm durch, vergeht manchmal eine ganze Woche, bis weitergesegelt werden kann. Sind für die Reise Stopps auf allen drei Insel und Inselketten nötig, kann auch schon mal ein Monat für die Segelreise bis Norwegen durch sein!

Und dann liegt ja immer noch die Ostsee vor uns.

Auch wollen wir La Belle Epoque zurück in Barth nicht fluchtartig verlassen. Und wir brauchen Zeit, im österreichischen Alltag anzukommen und uns für den Termin in Steyr in aller Ruhe vorzubereiten.

Schon ist der 10. August als Aufbruchszeitpunkt nicht überstürzt, sondern sensibel geplant. Und dieses Wissen, nicht in zeitlichen Stress bei der Heimfahrt zu kommen, macht den Aufbruch etwas leichter.

So heben wir zum letzten Mal auf dieser Abenteuerreise unseren Anker aus dem Grund von Grönland. Langsam laufen wir zwischen den Untiefen am Eingang von Fox Bay aus. Während La Belle Epoque unter Marschfahrt an einem Eisberg vor der sicheren Ankerbucht vorbeizieht, setzten wir die Segel.

Dann verstummt Mr. Perkins, Wind füllt die Segel und die ersten Wellen klatschen gegen den Rumpf.

Grönland verschwindet in der formlosen Welt des Nebels. Nur noch die Bilder am Radar und die gefrorenen Veteranen der Gletscherwelt erinnern an das Land hinter uns. Das Boot hebt und senkt sich, zieht unermüdlich vorwärts und wird hin und wieder herumgestoßen. Die Bewegung des Ozeans bestimmt erneut unser Dasein. Wir sind am Heimweg.

Schönwetter-Segeln im Arktischen Ozean

Flaschenpost - bleib informiert mit unserem Newsletter:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert