Der König der Fjorde

Seit wir unseren Bug vor vielen Jahren zum ersten Mal in einen norwegischen Fjord gedreht haben, fasziniert uns diese Welt von Meer und Berge. Eine Faszination, aus der der Wunsch wuchs, im Laufe unserer Segeljahre alle bedeutenden Fjorde dieser Welt aus eigener Kraft zu besuchen. 

Doch um alle großen Fjorde zu erleben, benötigt das eine oder andere Land mitunter mehrere Anläufe. In Grönland zum Beispiel ist die segelbare Saison viel zu kurz, um die großen Fjorde der West- und der Ostküste, im Süden und in der Arktis der Reihe nach zu besuchen. Oder Patagonien. Während unserer acht Monate an dieser Küste haben wir viele Fjorde und Sunde gesegelt, doch wäre es gelogen zu sagen, wir hätten alle gesehen.

Fjorde in Norwegen

Und dann ist da natürlich noch Norwegen.

Norwegen, in das wir immer wieder zurückkommen können, um herausragende Fjorde zu erkunden.

Bereits vor Wochen haben wir entschieden, unsere Reiseroute an Irlands Westküste ein Jahr lang zu verschieben. Ungemütliches Wetter, die Sehnsucht nach einem gemächlichen Reisetempo, ein dringend nötiges „Runterkommen“ waren Gründe genug, Pläne in den Wind zu schießen. Warum also nicht hier an der spektakulären Küste Norwegens bleiben?

Klar, hier zu bleiben heißt, im Winter das Segeln für mehr als die geplanten zwei Monate zu unterbrechen. Zwar frieren die Küsten von Norwegen nicht zu, aber der Nordatlantik erlaubt keine frühe Weiterfahrt zur neuen Weltreise. Aber ist das wirklich ein Nachteil?

Wohl kaum. Eine Pause vom Weiterziehen ermöglicht uns immerhin, dieses wunderbare Land auf andere Wege noch besser kennenzulernen. Manchmal kommt es eben nur auf den Blickwinkel und den Ideenreichtum an. Und Ideen für den Winter in Norwegen haben wir genug. 

Aber halt. Noch ist Frühsommer, noch ziehen uns unsere Segel weiter. Noch ermöglicht uns unsere LA BELLE EPOQUE, das immer tiefere Fjordwasser zu pflügen.

Segeln im Sognefjord
LA BELLE EPOQUE pflügt den Sognefjord

Der „König der Fjorde“ liegt Bug voraus. Der Sognefjord.

Er ist der längste Fjord Europas. Ein Herzstück Norwegens, das gleich mit einer Vielzahl an Superlativen aufwarten kann. Bis zu 1300 Meter tief ist sein dunkelblaues, eiskaltes Wasser. Genauso tief, wie sich die Berge an seiner Küste in den Himmel hoch strecken. 

Berge, die nicht nur Hochalpin anmuten, sondern auch den größten Festlandgletscher Europas beheimaten, den Jostedalsbreen.

Vom großen Gletschern aus dem Stein geschliffen, durchquert der Sognefjord regelrecht eine Gebirgskette und kann dadurch sogar mit unterschiedlichen Klimabedingungen entlang seiner Ufer aufwarten. 

Vor allem für sein mildes Klima im Landesinneren wird er gepriesen. Ein Klima, das nicht zuletzt dem warmen Oberflächenwasser des Golfstromes zu verdanken ist, mit dem dieser Fjord gespeist wird.

Sognefjord
Auch im Sommer hängt der Schnee auf den Berggipfeln rund um den Sognefjord.

Aber halt. Golfstrom hin oder her. Gletscherwasser und Schneeschmelze der umliegenden Berge sorgen für die passende nördliche Frische. Das Wasser des Sognefjords als „warm“ zu sehen, liegt klar im Auge des Betrachters. Wir zumindest wissen jetzt schon, dass wir uns der Fjord-Badefreude der Norweger im 13° Celsius warmen Wasser eher nicht anschließen werden.

Bei aufbrausenden Winden lassen wir Bergen rechts liegen. 

Mit viel Wind segeln wir an Bergen vorbei.
Mit viel Wind segeln wir an Bergen vorbei.

Wir ziehen im geschützten Wasser des Hjeltefjords mit Rumpfgeschwindigkeit hoch. LA BELLE schüttelt sich vor Freude, zieht vor dem Wind dahin, als gäbe es kein Morgen.

Wir rollen ein Reff nach dem anderen in die Genua. Rollen sie schließlich weg und setzen die Fock. Zum ersten Mal bediene ich die neue Reffanlage im Großsegel und freue mich, mit wie wenigen Handgriffen sich das Segel selbst vor dem Wind verkleinern lässt. Entdecke aber gleich auch ein paar Verbesserungsmöglichkeiten, um die sich Jürgen prompt am nächsten Ankerplatz kümmern wird.

Ankerplatz Sognefjord
Vor Anker warten wir auf sonniges Wetter für die Weiterfahrt.

Zwei Tage verbringen wir vor Anker. Nicht, weil der Platz so außergewöhnlich schön ist. Sondern, weil uns der Wetterbericht ab übermorgen tagelangen Sonnenschein verspricht. 

Dann biegen wir ein. In den skandinavischen König der Fjorde.

Dunkelblau glitzert das bodenlose Salzwasser unter uns, umrahmt von sattgrünen Berghängen, an die sich da und dort norwegische Bauernhöfe klammern. Dahinter leuchten weiße, schneebedeckte Berggipfel.

Wir haben Glück – oder besser gesagt Wind. Eine frische Brise schiebt uns immer tiefer in den Fjord. Bleibt achterlich, egal, welchen Kurs die nächste Biegung im Fjord bringt. Der Wind dreht fröhlich mit und LA BELLE EPOQUE breitet ihre Segel zum Schmetterling aus.

Fähren kreuzen unseren Kurs, kleine Frachter überholen uns und ein Segelboot kreuzt mühsam aus dem Fjord. Nur jene, mit denen wir hier massenweise gerechnet haben, fehlen. Sonderbarerweise treffen wir auf kein einziges Kreuzfahrtschiff. Aber wer weiß, vielleicht fahren sie nur Nachts hier rein, um ihren Gästen einen außergewöhnlichen Tag am Ende des Fjordes zu ermöglichen.

Indrefjorden
Indrefjorden

Über 50 Seemeilen weiter erreichen wir Indrefjorden, eine kleine Ortschaft am Ende eines Seitenarms und einziger Platz weit und breit, an dem 15 Meter „seichtes“ Wasser ein Ankern erlaubt.

Zeit, von den Gummistiefeln auf die Wanderstiefel zu wechseln. Der Wanderweg hoch zum Wasserfall verspricht spektakuläre Aussichten!

Wasserfall Indrefjorden
Am Wasserfall in Indrefjorden

Zufrieden, wenn auch mit Muskelkater, ziehen wir Tage später weiter. Unser Ziel liegt noch weiter im Landesinneren: der Nærøyfjorden, einer der bekanntesten Fjordarme Norwegens und seit Jahrzehnten UNESCO-Weltnaturerbe.

Ein Fjordarm, der sowohl seinen Namen als auch seine Berühmtheit zu recht trägt. Stolz und erhaben heben sich die Bergklippen zu beiden Ufern, spiegeln sich im stillliegenden, dunklen Wasser und hinterlassen einen Eindruck von unendlicher Ewigkeit.

Neroyfjorden
Wir biegen in den Neroyfjorden, er ist heute als UNESCO Weltnaturerbe hoch geschätzt.

Eng und beeindruckend schlängelt sich der Fjord ins Land.

Gewürdigt nicht nur von uns, nimmt der Andrang dem Fjord nichts von seiner Großartigkeit. Tourboote, Schnellfähren und Zodiaks ziehen durchs Wasser, Kajakgruppen paddeln langsam die Ufer dahin. Eine einzige Straße führt ein Stück weit in den Fjord, an ihrem Ende ein paar Häuser und zwei Bauernhöfe. Und ein großer Parkplatz für all die Wohnmobile, Camper und Mietautos, die ihren Weg bis hierher gefunden haben.

Auch hier im Nærøyfjorden können wir – eine Untiefe sei Dank – ankern und staunen. Nachts, wenn die Touristen in ihre Hotels heimgekehrt sind und die Tourboote still liegen, verlieren wir uns regelrecht in einem Spiegel aus Nass.

Nearoyfjorden Spiegelung
Kein Oben und kein Unten mehr. Wir verlieren uns im unendlichen Spiegel des Fjords.

Der krönende Abschluss unseres Fjordbesuches steht noch bevor: Auerlandsvangen.

Nur ein paar Seemeilen vom Nærøyfjorden entfernt, bekommt der kleine norwegische Ferienort nur teilweise internationale Aufmerksamkeit. 

Uns bietet Auerlandsvangen allerdings mehr, als wir erhoffen können: einen breiten Schwimmpontoon, der nicht nur günstig ist, sondern auch stabil genug, um unsere „Ausladeaktion“ zu tragen. Und eine alte Serpentinenstraße, die uns in die hochalpine Bergwelt Norwegens und weiter in verwunschene Täler bringen kann.

Ausladen der Motorräder
Wir laden aus.

Noch am selben Abend laden wir unsere „Mopeds“ aus ihrer Garage. Eine Aktion, die in den nördlichen Teilen der Welt stets Lächeln ins Gesicht einiger Einheimischer zaubert.

Am folgenden Vormittag winden wir uns die Serpentinen hoch. Mit jedem Höhenmeter ändert sich die Landschaft. Lieblich schöne Küste, gefolgt von hübsch bewaldeten Hängen, unterbrochen von kleinen Wasserfällen und spektakulären Aussichtspunkten. Weiter geht’s in kahles Hochland in Braun- und Grautönen, gefolgt von ausladender Weite unter glitzernden Schneemassen.

Bergüberquerung
Wir überqueren das Hochland von Aurlandsfjellet

Obwohl ich vom Staunen nicht mehr herauskomme, muss ich dennoch die Zähne zusammenbeißen.

Trialwandern zwischen meterhohen Schneewänden bei 3° Celsius lässt das Blut in den Fingern fast gefrieren. Eine kurze Hagelfront macht das Leben am Moped auch nicht gerade leichter. Woher um alles in der Welt ist diese einzelne Hagelwolke bloß gekommen?

Aurlandsfjellet
Motorradfahren mitten durch Schneewände

Egal, so schnell sie hier war, ist sie auch wieder weg. Tagelanger Sonnenschein mit unzähligen Motorradtouren folgt. Ziele gibt es in Norwegen ohnehin genug.

Wir besuchen eines der ältesten Holzgebäude Europas: die Stabkirche von Borgund. Beeindruckend alt, beeindruckend schön gebaut, beeindruckend gut erhalten, beeindruckend verziert und beeindruckend klein.

Weniger beeindruckend, dass Museumspersonal am Eingang zur Kirche die Menschen darum bitten muss, nicht auf den Gräbern herumzustapfen und das Gebäude nicht zu betatschen. Sollte das nicht selbstverständlich sein?

Stabkirche Borgund
Stabkirche Borgund

Wir lassen die Tunnels der norwegischen Europastraße links liegen und biegen ab auf die „Gammel vegen“ – die alten Straßen Norwegens. Cruisen durch hübsche Täler, vorbei an kleinen Dörfern, durch Hinterland und zu den Ferienhütten. Nach zwei Tagen puren Sonnenschein beginnen die Bauern an den Straßenseiten, ihre Bewässerungsanlagen auf den Feldern aufzubauen. Ab sofort bekommen wir also immer wieder mal eine Dusche ab.

Eine Schotterstraße führt uns erneut ins hinterste Hochland.

Ungläubig, noch immer auf einer öffentlichen Straße zu sein, folgen wir den rutschigen Serpentinen und rechnen jederzeit mit einem Schranken oder Fahrverbot. Aber es kommt nicht. Vierzig Kilometer weiter endet der anspruchsvolle Schotterweg an einem Staudsee, dessen Ausmaße wir nur erahnen können. Der See liegt noch unter einer Eis- und Schneeschicht und die Hütte des norwegischen Berg- und Wandervereins ist noch verweist.

Bergfahrt Trialmotorräder
Schotterstraßen im Hochland

Wir könnten uns dennoch keinen schöneren Platz für unser Mittagspicknick wünschen und vergessen ganz darauf, welche Kraft die Sonne in höheren Lagen hat. Nach Hause geht’s mit Sonnenbrand im Gesicht und die kommenden Tage werden meine Lippen wieder mal zur doppelten Fülle aufspringen.

Die letzten Kilometer zum Boot geht’s nur noch langsam. An meinem Hinterrad ist eine Mutter gebrochen und ich bin froh, es ohne gröbere Folgeschäden bis nach Aurlandsvannen zu schaffen, wo sich Jürgen sofort um mein kleines, geschundenes Trialbike kümmert. 

Eine Ersatzmutter ist bald gefunden.

Einer weiteren, gemütlicheren Abschlusstour steht nichts mehr im Weg. Denn wenn wir schon mal im Aurlandsfjordarm sind, müssen wir uns ja auch noch die Attraktion am Ende des Fjordarmes ansehen:

Die Flåmbahn

Diese „schönste Zugstrecke Norwegens“ führt vom Fjord in den Süden und ist durch ihre Fahrt entlang von Gebirgsschluchten, Flussufern und zwischen Wasserfällen berühmt. Bereits vor Jahren wollten wir einen Teil dieser Strecke mitfahren. Warum genau daraus nichts geworden ist, weiß ich heute ehrlich gesagt nicht mehr so genau.

Auch heute werden wir nicht mit dem Zug mitfahren. Denn ehrlich gesagt reizt uns etwas anderes mehr, als mit dem Zug mitzufahren. Wir wollen die einspurige Schotterstraße ins Hinterland nehmen, die immer wieder mal die Schienen kreuzt und versuchen, einen besonderen Fotospot zu finden. Trainspotting auf Norwegisch, sozusagen. 

Trainspotting
Mit den Motorrädern erkunden wir die „schönste Zugstrecke Norwegens“.

Leider führen diese Straßen nicht so weit wie gedacht ins Hinterland, zumindest nicht für uns. Denn dieses Mal stoppt uns schon nach einigen Kilometern ein Fahrverbot. Aber macht nichts. Unseren Fotohotspot finden wir auch so, und einen herrlichen Platz am Fluss fürs Mittagspicknick gibt’s noch gleich mit dazu. 

Flaambahn

Irgendwann kennen wir die wenigen Straßen rund um unseren Hafenplatz und es wird Zeit, die Mopeds erneut in ihre Buggarage zu packen. Über achtzig Seemeilen trennen uns von der Küste und es wird Zeit, sie in Angriff zu nehmen.

 

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