Leben ohne großen Plan – und jetzt erst recht!

Weltkarten, Atlanen, Globen. Was gibt es schöneres zum Träumen! Bücher voll Karten und Fotos, Küstenhandbücher und Revierbücher, Reiseführer und Reiseberichte. Fast eine alte Tradition ist es für uns schon, eine kleine Weltkarte an der Schotwand hängen zu haben und seit unserer ersten Reise sind wir es nicht satt geworden, diese Karte zu betrachten und zu studieren. Vor allem aber betrachten wir diese Karte um unsere Träume fliegen zu lassen!

Träume – über ferne und nahe Reiseziele, über fremde Natur, unbegreifliche Kulturen, herrliche Vegetation und beindruckende Tierwelt; Träume über quirlige Städte und verschlafene Dörfer, einsame Strände und unberührte Wälder. Träume, von den Erlebnissen und Eindrücken, die wir in diesen fremden Regionen sammeln können.

Doch Träumen alleine ist nur ein Anfang, nur eine Inspiration. Sie alleine führen noch zu nichts, kommen und gehen und fliegen manchmal auch weiter zu immer ferneren Zielen. Und bald schon werden aus den Träumen Visionen, Ziele werden abgesteckt und Pläne folgen. Denn was wäre das Leben schon ohne dem Ziel, die eigenen Träume umzusetzen und ohne Pläne, um dieses Ziel zu erreichen. Und schon fängt die Krux an! Woher wollen wir wissen, wie es uns ergeht, ob geplante Ziele auch wirklich unsere Träume erfüllen? Ob wir die großen Pläne überhaupt durchstehen, oder ob sich vielleicht in der Zwischenzeit etwas in uns ändert. Vielleicht bringt die zusätzliche Erfahrung, die wir unterwegs sammeln ganz neue Ideen, ganz andere Sichtweisen. Mag sein dass es uns unterwegs doch irgendwo besser gefällt, als wir es uns erwartet haben, oder vielleicht schlechter?

Schritt für Schritt sind wir nun unseren Träumen gefolgt, haben uns Ziele gesetzt und fleißig daran gearbeitet, unsere Pläne einzuhalten. Bis wir schließlich die Leinen losschmeißen konnten um erneut auf große Fahrt zu gehen. Eins jedoch wurde nie Teil unseres Traumes: nach großen Plänen zu leben, alle unsere Ziele schon vorab festzulegen und weder Zeit noch Luft zu finden, neue Ideen zu hegen. Denn unser Traum handelt nicht nur von einer Reise, sondern viel mehr von einem Lebensstiel. Ein Lebensstiel, der uns erlaubt, mit den Erfahrungen zu wachsen, den Blick für die Welt zu erweitern und die Neugierde auf das Fremde zu befriedigen. Einen Schritt nach den anderen zu setzen und dabei laufend zu sehen, wo uns diese Schritte eigentlich hinführen.

Natürlich wird der eine oder andere Segler oder Reisende nun sagen, dass Segelreisen wie auch alle anderen Reisen ganz einfach einen Plan bedürfen, da die Natur uns mit ihren Saisonen, ihren Systemen und ihren Jahreszeiten dazu zwingt, nach ihrer Uhr zu planen. Ohne Frage! Und auch wir müssen uns an diese Vorgaben halten – oder, besser gesagt, auch wir sind froh, diese Vorgaben zu haben. Doch ist das noch lange kein Grund, unsere Reisen über Jahre hinweg durch zu planen. Es genügt uns, in Saisonen zu denken, mit den Jahreszeiten zu gehen oder maximal für ein Jahr zu planen. Es genügt, die einzelnen Reiseziele als große Pläne zu sehen und so genügend Freiraum zu lassen, um mit den Erfahrungen zu wachsen und einen Schritt nach dem anderen zu setzen.

So waren unsere Pläne zum Start dieser Reise auf die Flüsse Mitteleuropas und die Nord- und Ostsee beschränkt, ohne dabei eine genaue Route vorzugeben. Denn unterwegs entschieden wir, anstelle des Mittellandkanals in die Emskanäle abzubiegen. Unterwegs entschieden wir, die Nordsee bis in den Limfjord zu nehmen und nicht über den Kielkanal in die Ostsee zu gelangen. In den Stockholmer Schären gefiel es uns so gut, dass wir uns entschieden, den Sommer dort zu bleiben und nicht weitere Strecken in der Ostsee zu segeln und unser erster Besuch in Flensburg hinterließ einen so guten Eindruck von der Stadt und ihrem Umfeld, dass wir uns spontan entschieden, dort den ersten Winter unterwegs zu verbringen. Mit der Zeit kam auch die Sehnsucht, den Norden Europas noch besser kennen zu lernen und so setzten wir uns Norwegens Küste als neues Ziel. Bis ans Nordkap oder vielleicht sogar bis Spitzbergen wollten wir segeln und unterwegs kam auch die Idee, bis zur russischen Grenze zu reisen. In den weißen Nächten Norwegens wurde uns klar, dass wir auch die schwarzen Tage dieser hohen Breiten und das Nordlicht erleben wollen und so werden wir auch den kommenden Winter hier oben im Norden verbringen.

Langsam aber unaufhaltsam haben wir Erfahrungen gesammelt, sind ins Segeln an nördlichen Küsten „hineingewachsen“. Langsam sind wir über uns „hinausgewachsen“ und haben die extremsten Seengebiete dieser Erde besucht. Wir haben die Faszination gespürt, die von diesen Seegebieten ausgeht. Und so ging die Reise weiter. Weiter als wir zu träumen hofften. Niemals hätten wir erwartet, dass wir die erste österreichische Yachtcrew werden, die einen Winter eingefroren im Eis von Grönland verbringt. Dass wir auf eigenen Kiel den „Mount Everest der Hochseesegler“ – das größte Abenteuer der Seefahrtsgeschichte bezwingen: die Nordwest Passage. Aus einer kleinen Idee, dem erreichbaren Wunsch, den Norden etwas besser kennenzulernen, ist ein großes Abenteuer gewachsen. Ein Abenteuer, das massive Spuren in uns hinterlassen hat und uns für immer verändert hat. Denn das Erlebnis der Nordwest Passage hat uns über unsere eigenen Grenzen gehoben und uns gezeigt, wer wir wirklich sind. Es hat uns gezeigt, dass die Flamme der Abenteuerlust nicht nur in uns brennt, sondern das diese Flamme in uns lodert.

Niemals hätten wir diese Reise und ihre Ziele vor unsrem Start in Österreich planen können. Wie auch hätten wir wissen können, ob wir die wildesten Ozeanpassagen durchhalten, ob wir Spaß an diesen Revieren haben und ob uns die wilde Natur derart in den Herzen berühren könnte? Ob wir es überhaupt schaffen, in dieser wilden Natur über lange Saisonen autark zu leben? Und wie hätten wir vor unserer Segelexedition in die Anktis planen können, dass wir auch das andere kalte Ende der Welt sehen wollen?

Unsere Erlebnisse in den hohen nördlichen Breiten haben uns zu neuen Plänen getrieben. In Alaska wurde uns bewusst, dass wir auch Patagonien und die Antarktis intensiv erleben sollen. Und dies kann man eben nur, wenn man auch dort auf eigenem Kiel segelt. Aber um dieses südliche kalte Ende der Welt zu erreichen bedarf es einer langen Anreise. Vor allem, wenn man sich noch nahe der Arktis aufhält. Und so Steckten wir unsere neuen Saisonpläne, die uns erstmal durch die Tropen führten. Auf einen Umweg in die Weiten des Pazifiks. In die tropische Südsee.

Schon bei der Planung unserer Südseereise wussten wir, dass wir mit dieser Reise ein Commitment eingehen würden. Denn die Südsee ist weit entfernt von unserem geträumten Ziel: Dem Süden Chiles und der antarktischen Halbinsel. Wir wussten, dass es drei mögliche Routen für uns geben würde, um von der Südsee nach Chile zu gelangen:

  • Die direkte und härteste Route: von Neuseeland in den Osten durch die „Brüllenden Vierziger“ nach Chile, oder
  • die „Schönwetterroute“ mittels eines großen Bogens in den Norden zurück in Richtung Zentralamerika und westlich der Küste Südamerikas in den Süden. Und schließlich
  • die längste aller Routen: weiter in den Westen und um die Welt, um von Südafrika aus die Ostküste von Südamerika zu erreichen und von dort aus in den Süden zu ziehen.

Alle drei Möglichkeiten hatten ihre Vor- und Nachteile. Doch wussten wir auch, dass wir hier in Alaska noch keine Wahl treffen würden. Wie auch. Wollen wir doch unseren Grundsatz treu bleiben, nicht alles schon vorab zu planen. Die Entscheidung fiel erst zwei Jahre später, in Neuseeland. Es wurde eine Reise über die „Brüllenden Vierziger“ – die aufregendste und schönste Ozeanpassage unseres Lebens.

Ein Winter in Patagonien und der dreimonatige Besuch der Antarktis folgten. Und schließlich stellte sich heraus, dass wir uns zurück an die europäische Küste wünschten. Gut, ehrlich gesagt unterlag der Plan „Transatlantik bis nach Europa“ nicht nur den Wünschen, sondern auch den finanziellen Bedürfnissen.

segeln

Nun sind wir zurück in Europa und haben hart daran gearbeitet, den Bug unseres Lebens wieder in die Himmelsrichtung zu drehen, in die unsere Träume fliegen. Wir haben unsere „homebase“ – unser daheim und unsere finanzielle Grundlage saniert, haben unsere Freundschaften und Familienbeziehungen zuhause erneuert, wir haben viele Menschen kennengelernt und noch mehr Menschen von unseren Reisen erzählt. Wir haben gesehen, dass es uns Spaß und Freude macht, Vorträge zu zeigen und Menschen mit unserem Lebensweg zu begeistern und zu inspirieren.

Nebenbei haben wir viele Abende am Lagerfeuer im Garten  oder bei einem Glas Wein im Wintergarten damit verbracht, unsere Ideen und Träume einzufangen, um erneut herauszufiltern, was sich derzeit planen lässt und was als Idee später irgendwann erreichbar wird. Und ganz profan haben wir erneut  gelernt, dass sich unser Leben eben nicht einfach über längere Phasen planen lässt. Denn fast hätten wir den selben Fehler gemacht, den fast jeder Langstreckensegler zum Start seiner ersten Reise begeht: wir haben zu wenig Zeit für zu viele Dinge eingeplant. Wir haben uns beinahe in Arbeit erstickt, haben gehofft, schneller fertig zu sein als denkbar und früher aufzubrechen als möglich. Doch dann kam die Bremse von außen. Eine weltweite Notbremse. Denn das Reiseverbot im Zuge des Corona-Virus hat uns plötzlich allen Stress von den Schultern genommen. Mit einem Schlag ist der Druck verschwunden, zu Beginn des Frühjahres alle ländlichen Arbeiten abzuschließen und zurück zum Boot zu gelangen. Plötzlich machen die Holzschlägerarbeiten in unserem kleinen Wald wieder Spaß. Endlich füllen wir jeden einzelnen Tag wieder mit der Arbeit eines einzelnen Tages, ohne zu versuchen, noch ein paar Stunden extra zu leisten und doch bis Mitternacht auf der einen oder anderen Baustelle zu stehen. Oder bis zwei Uhr morgens am Computer zu arbeiten, um doch noch die Steuererklärung nebenbei zu schaffen, ein paar Seiten am neuen Buch fertig zu formatieren oder genau hier, die neuen Homepage endlich fertig zu stellen.

Und so hat dieses Virus, dass nicht schnell genug um die ganze Welt fliegen konnte, uns zum Einbremsen genötigt. Es hat uns auf den Boden des möglichen zurückgeholt und uns unsere alte Gelassenheit zurückgegeben. Es hat uns geholfen, unsere Ideen und Träume wieder auf eine realisierbare Ebene zu stellen und uns dazu gezwungen, nicht allzeit voraus zu planen.

Corona
Zukunftspläne? Auch wenn Corona uns auf Schrittgeschwindigkeit gebremst hat, so fliegen unsere Gedanken zu unserer Weiterreise.

So bleibt unsere La Belle Epoque vorerst im Hafen von Flensburg und wir freuen uns, wenn wir diesen Sommer die wundervolle Ostsee bereisen dürfen. Die Ziele und Erlebnisse in diesem Traumrevier sind beinahe endlos vielfältig: Skandinavien, die Oststaaten. Immer neue Ziele, egal, wie oft wir noch in diese herrliche Ostsee zurückkommen werden. Vielleicht werden wir heuer auch wieder einmal unsere kleine Jolle auswintern, mit unserem Camper-Kastenwagen und der Jolle am Anhänger einige Seen ansteuern, nebenbei und ungeplant. Wunschziele gibt es auch in der näheren Umgebung genug – sowohl mit dem Boot wie auch mit dem Camper. Und vielleicht schaffe ich es ja endlich, mir den Wunsch einer Motorcross oder leichten Enduro zu ermöglichen und das Geländefahren zu lernen. Sofern Jürgen die Geduld hat, mir eine „alte Reibe“ am Laufen zu halten, immer wieder mal auf mich zu warten und eventuell meine anfänglichen Wehwehchen zu verarzten.

Vermutlich wird es noch bis nächstes Frühjahr dauern, bis wir unsere anfälligen Wartungs- und Umbauarbeiten an Bord in einer Werft angehen werden. Und vermutlich wird es erst dann soweit sein, bis La Belle Epoque ihren Bug erneut in die rauen Gewässer außerhalb der Ostsee drehen wird. Aber auch diese Zeit wird wieder kommen, vermutlich sogar schneller, als ich im Moment denke.

Und langfristig? Ideen und Träume gibt es noch genug. Reviere und Traumziele auch. Herausforderungen sowieso. Und wohin die Träume fliegen? Mit dem Boot — Arktis, Spitzbergen, Russland. Kanada und immer wieder Grönland. Weniger gefährlich aber dennoch unglaublich spannend: Europas Wasserwege. Vielleicht mal „Westeuropa rund“? Mit dem Boot durch die Flüsse bis ins Schwarze Meer und übers Mittelmeer zurück in den Atlantik? Warum nicht, diese Reise verspricht mehr Eindrücke, als ich mir im Moment ausmalen kann. Und schließlich brodelt Immer noch die Abenteuerlust in unserem Blut: Der brüllende Ozean weit im Süden hat tiefe Eindrücke hinterlassen. Eine Fahrt von Europa in den Südosten bis nach Tasmanien wird irgendwann hoffentlich direkt vor dem Bug liegen. Eine Reise durch den Süden des einzigen große Weltmeeres, welches wir noch nie gesegelt haben. Aber um diese Reiseideen auch wirklich in Pläne umzuwandeln, werden wir wieder einen Schritt vor den anderen stellen. Und einen kleinen Plan nach dem anderen schmieden.

Hafentage

Flaschenpost - bleib informiert mit unserem Newsletter:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert