Es ist erst sechs Uhr abends, wir sitzen in der Kajüte von ANGELA K und strecken die Beine aus. Leise bläst die Dieselheizung ihre Wärme durch Boot und lässt uns das kalte Regenwetter draußen vergessen. Wir sind bereit für eine langsame Flussreise mit dem Motorboot.
Die letzten Monate waren anstrengend. Mehr als anstrengend. Drei Monate waren wir als Segelcrew in der Antarktis unterwegs. Haben uns um die 20 Meter lange Aluyacht SANTA MARIA AUSTRALIS gekümmert und ihre Gäste rund um die Uhr versorgt. In einem der anspruchsvollsten Reviere der Welt. Und ja, es braucht viel Kraft und Nerven, sechsmal hintereinander und nach Zeitplan die Drake-Passage zu überqueren und dazwischen wochenlang gegen das Eis der Antarktis zu kämpfen.
Eigentlich hätten wir nach den drei Monaten Antarktis-Charter eine Pause nötig.
Aber anstatt in aller Ruhe in Europa anzukommen und erst einmal Luft zu holen, sind wir vom Flughafen direkt in den Vortragssaal aufgebrochen. Wir haben über 4.000 Kilometer quer durch Deutschland und Österreich zurückgelegt und eine unglaublich positive Resonanz von vielen begeisterten Zuschauern erhalten. Das gibt Wind unter den Flügeln und hält auf Trapp.
Zwischen den Vorträgen schaffen wir es, sowohl LA BELLE EPOQUE als auch ANGELA K kurz zu besuchen.
Völlig ausgebrannt sind wir schließlich in Österreich angekommen. Aber auch hier haben wir keine Zeit für eine Pause.
Nur eine Woche haben wir in Österreich eingeplant, bevor wir zu unserem neuen, überholungsbedürftigen Motorboot nach Wiesbaden aufbrechen müssen. Denn ANGELA K hatte ab ersten April keinen bezahlten Liegeplatz mehr.
Eine Woche, die wir nützen, um endgültig aus dem Haus meiner Mutter auszuziehen. Wir räumen aus, weißen, putzen und übergeben. Nachdem wir diese Entscheidung bereits im Herbst letztes Jahr getroffen haben:
Move on
Wie wollen wir leben, was brauchen wir wirklich? Konsequenzen nach ein paar Jahren an Land, ein neuer Plan und zurück ins Abenteuer Freiheit!
Gleichzeitig veranstalten wir Besichtigungen unseres eigenen Hauses, um auch hier neue Mieter zu finden. Manchmal kommt eben alles auf einmal zusammen.
Abends dann die erfreuliche Zeit in Österreich: Wir besuchen Freunde, planen gemeinsame Zeit beim Flusswandern und bekommen von mehreren Seiten spontan Hilfe beim Transport des Bootes von der Donau zu unserem Haus angeboten. Auch freuen wir uns darüber, dass Tom uns mit seinem Trailerboot begleiten will.
Mental halten uns dann auch noch die deutschen Behörden auf Trapp. Nachdem der Vorbesitzer unseres Motorbootes knappe drei Wochen nach unserem Neuerwerb verstorben war, sind die Papiere des Bootes dummerweise in eine Erbschaftsangelegenheit gerutscht. Oder genauer gesagt: Sowohl unser bezahlter Kaufpreis wie das Boot selbst waren plötzlich Erbschaftsangelegenheit. Und damit nicht für uns freigegeben! Ein Missverständnis, das allerdings Zeit zur Aufklärung benötigt. Viel Zeit. Wir erfahren, dass das Thema seit Anfang November „bearbeitet“ wird.
Und plötzlich stehen alle guten Pläne auf dem Kopf.
Das Boot muss im April aus dem Hafen, wollen wir nicht täglich 30 Euro für den Gästeliegeplatz bezahlen. Auch haben wir nur April und Anfang Mai Zeit für die anstehende Flussreise nach Österreich. Immerhin ist für Mitte Mai ein Vortrag, der noch fertig zusammengestellt und einstudiert werden muss, in Salzburg geplant. Und danach gehts mit Freunden aufs Meer. Wir haben ihnen versprochen, beim Start ihrer Weltreise mitzuhelfen.
Und zwischendurch sollten wir noch irgendwann Zeit finden, um das Dach unseres Hauses neu zu decken.
Wir telefonieren herum, machen Druck. Um die geplante Fahrt im April machen zu können, benötigen wir österreichische Papiere. Oder zumindest Probekennzeichen. Doch natürlich geht nichts, solange das Boot nicht aus dem deutschen Schifffahrtsregister gelöscht ist. Die Erben des Vorbesitzers sind auf unserer Seite, machen Druck und wollen die Sache abschießen. Fast kommt es zum Sitzstreik am Amt, doch das Ergebnis kann sich sehen lassen: Mitte der Woche erhalten wir endlich die Löschungsurkunde.
Dann muss alles schnell gehen. Für den österreichischen Messbrief fehlen allerdings die Motornummern.
Ohne Motornummern keine Registrierung. Pasta.
Jürgen spring ins Auto und zieht nach Wiesbaden. Wir haben keine Zeit zum Trödeln. Am Abend des Karmittwochs haben wir endlich alle Infos zusammen, auf die das technische Büro in Wien bereits wartet. Alle arbeiten Hand in Hand: Donnerstag morgen ist der Messbrief geschrieben und geht aufs Amt in Linz. Dort wird bereits darauf gewartet und am Karfreitag morgen erhalten wir die Nachricht: Die Schiffsregistrierung ist abgeschlossen, wir können uns die Papiere in Linz sofort abholen!
Halleluja! Ich könnte der hilfsbereiten Beamtin regelrecht um den Hals fallen!
Nach Ostern sitzen wir endlich im Zug. Selbst die Deutsche Bahn scheint die Dringlichkeit unserer Reise einzusehen und wir kommen nur mit minimaler Verspätung in Wiesbaden an. Mitten in der Nacht beziehen wir unser neues, schwimmendes Eigenheim, fallen bald schon in die Koje.
Am nächsten Tag mahlen wir unsere neuen Nummern aufs Boot, wechseln das Öl der Motoren und reinigen den Wassertank. Dann noch ein paar Handgriffe hier und dort, und schon können wir loslegen. Wir bezahlen die restlichen Liegegebühren für eine Aprilwoche in Wiesbaden und lösen die Leinen!
Endlich wieder unterwegs. Aufbruch zur Flussreise mit dem Motorboot.
Und ab sofort können wir es langsam angehen. Die erste Ausfahrt nach Oppenheim zur Tanke ist gemütlich. Aber gegen den Rhein kann es ja auch nicht schnell gehen.
Die erste Dieselrechnung hat es auf jeden Fall in sich. Und auch das eine oder andere Problem zeigt sich noch. Eine undichte Wasserpumpe, ein fehlender Keilriemen, ein paar Handgriffe da und dort. Wir ankern in einem hübschen Seitenarm vom Rhein und kümmern uns erst einmal um ANGELA K. Einen Tag nehmen wir uns Zeit, dann werden wir in den Main einbiegen und in Richtung Binnenland schippern.
So zumindest denken wir.
Bis uns die Realität der Flussreise mit dem Motorboot einholt.
Denn der Flussschiffer ist von den Schleusen abhängig. Und die melden bis Ende April eine Vollsperre im Main und im Main-Donau-Kanal aufgrund von Wartungsarbeiten.
Wir dürfen uns damit unseren Plan, mit Anfang Mai in Österreich zu sein, abschminken! Und schon fühle ich mich wie ein Anfänger. Als wüsste ich nicht längst, dass eine Reise übers Wasser ganz einfach nie planmäßig startet? Egal, ob es sich um eine große Reise in die Welt der Ozeane, oder um eine längere Flussfahrt handelt! Die erste Regel vom Boatlife heißt wohl immer: Lerne Geduld, du kannst den Aufbruch nicht erzwingen!