Move on

Die letzten Jahre haben wir daran gearbeitet, aus unserem Reiseleben einen Lebensweg zu gestallten, der uns auch eine Art Landleben ermöglicht. Und dabei ist einiges aus dem Ruder gelaufen.

Seit wir von unserer zehnjährigen Reise zurückgekommen sind, haben wir mit vollem Einsatz aufgebaut: Haben unser kleines Unternehmen vorwärtsgebracht. Haben geschaffen, umstrukturiert, weitergedacht, weitergemacht. Um die Mehrkosten vom zusätzlichen Landleben auch tragen zu können.

Und wir haben den Vorschlag meiner Mutter, ihr Haus zu beziehen, dankend angenommen. Haben eingerichtet, sind eingezogen. Doch die Idee, ins Elternhaus einzuziehen, aus dem ich bereits als Teenager auszog, war wohl nicht ganz durchgedacht. Und so ist uns letzten Sommer endgültig bewusst geworden, dass es so nicht weitergeht. 

Uns ist klar geworden, dass wir als erste Konsequenz aus dem Haus wieder ausziehen werden. Zu verschieden ist unser Denken, zu verschieden unsere Prioritäten. Zu wenig können wir noch miteinander umgehen.

Und während mein Onkel mir den gutgemeinten Rat gegeben hat, das Weglaufen keine Lösung sei, komme ich mehr und mehr zu der Überzeugung, das Hierbleiben schon lange keine Antwort mehr ist. Uns ist klar geworden, dass es wichtiger ist, selbstbestimmt nach unseren eigenen Maßstäben zu leben, als einem Gespenst hinterherzulaufen.

Also, wie soll es weitergehen?

Noch einmal werden wir unser Leben umkrempeln.

Wir haben entschieden, dass bald unsere kleine, unkomplizierte und doch viel größere Welt an Bord von LA BELLE EPOQUE erneut unser „Hauptwohnsitz“ sein wird. Dass sich bald mein Zuhause wieder um Kurse und Wetterdaten drehen wird, um Sauerteig ansetzen und Welt entdecken. Und nicht um Staubsaugen und Heckenschneiden. Und nicht darum, einen Anspruch hinterherzulaufen, den ich nicht erfüllen kann oder will. Einen Luxus zu nutzniesen, den ich nicht benötige und der mich nicht glücklich macht.

Auszug
Wir bereiten das Elternhaus für unseren Auszug im Frühling vor.

Aber wäre es nicht trotzdem schön auch weiterhin ein Zuhause an Land, oder zumindest in Europa, zu haben?

Es wäre nicht nur schön, sondern wir sehen auf Dauer auch die Notwendigkeit dazu. Zumindest für uns. 

Wir sind durch unsere Einkommensquellen an Österreich gebunden. Außerdem wollen wir uns nach wie vor die Möglichkeit offen halten, irgendwann mal etwas anderes zu tun. Irgendwohin „zurückzukommen“. Oder – falls jemals nötig – eine Pause einlegen zu können.

Allerdings will ich mich derzeit nicht noch einmal darauf einlassen, Wurzeln zu schlagen. Mich zu sehr zu verankern. Auch ist uns beiden klar, dass wir Minimieren wollen.

An Land wollen wir deshalb ein kleines Zuhause, das wir jederzeit Abschließen können. Das uns nicht bindet oder finanziell belastet.

Tiny House
Wir überdenken, ob wir uns ein Tinyhouse bauen wollen.

Wie wäre es also mit einem mobilen Tinyhouse hinter unserem vermieteten Haus?

Jürgen ist sofort begeistert von der Idee. Er rechnet und plant. Weiß, dass wir ein kleines Tinyhouse auf Rädern und aus Holz mit nur wenig Geld realisieren könnten. Mittlerweile haben wir genug Erfahrung im Bau und beim Hausrenovieren gesammelt. Und mit etwas Arbeitseinsatz könnten wir den Bau eines Tinyhouses in wenigen Wochen realisieren.

Ich zögere. Auch wenn die Idee gut ist, hab ich einfach keine Lust auf eine neuerliche Hausbaustelle. Selbst wenn es sich dabei um ein Tiny handelt. 

Insgeheim hege ich eine andere Idee…

Tiny? Ja.

Vollausgestattet? Durchaus.

Baustelle? Möglich.

Haus? Nicht wirklich.

Mobil? Unbedingt.

In unserem Element? Interessant!

Am Fluss
Auch im Binnenland sind wir am Wasser in unserem Element.

Wie wäre es mit einem Flussboot?

Ein Motorboot, das groß genug ist, um darauf zu leben. Stark genug, um irgendwann mal die Flüsse Europas bereisen zu können.

Aber reden wir hier nicht wieder von zusätzliche Kosten und Sorgen? Immerhin benötigt ein Boot einen Liegeplatz. Und, unterwegs mit LA BELLE EPOUQE, würden wir nicht in jedem Hafen mit zittrigen Knien nachforschen, ob zuhause im Fluss eh kein Hochwasser droht unser schwimmendes Zweitheim loszureißen oder zu versenken?

Es braucht nicht lange, sind wir uns einig. 

Ja, die Idee „Motorboot als Zweitwohnsitz“ gefällt uns beiden. 

Allerdings wird das Motorboot vorerst nicht im Wasser bleiben. Wir werden das Boot nach Österreich bringen und hinter unser Haus stellen. Dorthin, wo einst LA BELLE EPOQUE während ihrer Restauration stand. 

Ein Platz also, der genau passt, sollte das Boot einiges an Arbeit benötigen. Der Platz ist neben Jürgens Werkstätte.

Denn so viel ist uns klar: Wir werden in einer Preisklasse den Bootsmarkt absuchen, der kein Motorboot in einwandfreien Zustand hergibt. Aber ich bin überzeugt: Lieber Bootsprojekt als Hausbaustelle!

Noch am Werftgelände von Barth erliegen wir unserem neuentdeckten Interesse „Boot ohne Masten“: Eine alte DDR-Motorbarkasse steht am Trockenen. Wir schleichen rund ums Boot, bekommen vom Werft-Chef die Schlüssel in die Hand gedrückt: „Seht sie euch doch einfach mal genauer an, die steht zum Verkauf“.

Das Boot gefällt uns: 15 Meter lang, selbstverständlich aus Stahl gebaut, interessanterweise mit einem Decksaufbau aus Aluminium. Schöne Linie, immenser Lebensraum. – zumindest, wenn man ein traditionelles Segelboot gewöhnt ist.

Und wie steht es mit dem Arbeitsaufwand: Die Inneneinrichtung ist zwar in gutem Pflegezustand, aber leider zum großen Teil unbrauchbar für uns. Klar, ist sie doch ein Arbeitsboot und noch nicht zum Wohnboot umgebaut. Im Heck steht Wasser. Wir finden einige Durchrostungen im Heck und Kielbereich. Und über den Motor müssten wir noch einige Erkundungen machen. Immerhin haben wir keinen blassen Schimmer von ostdeutschen Dieselmotoren. Fraglich auch, ob man dafür noch irgendwelche Ersatzteile bekommt. 

Auf der positiven Seite: Die Barkasse liegt schon am Werftgelände, sie muss nicht für Reparaturen überstellt werden und wir könnten sofort mit den Restaurationsarbeiten beginnen. Allerdings ist der Startpreis für uns zu hoch, selbst wenn die Barkasse vielleicht ihren Preis wert ist. Wir überschlagen alle nötigen Aufwände, bis die Barkasse unseren Bedürfnissen entspricht und merken schnell, dass die Kosten über unsere Grenzen schießen würden. 

Zurück in Österreich geht die Suche weiter.

Immer wieder surfen wir zwischendurch auf Kleinanzeigen, betrachten Gebrauchtbootseiten oder tratschen darüber, was wir uns eigentlich vorstellen. Immer wieder grasen wir deutsche Flüsse ab zur Bootsbesichtigung.

Mit dem Kastenwagen unterwegs.
Mit dem Kastenwagen gehts immer wieder nach Deutschland. Wo wir in verschiedenen Häfen und auf Flüssen Boote ansehen.

Die Idee, ein altes Arbeitsschiff zu suchen, geben wir bald auf: Entweder sie sind massive Projekte und weit über unserem Budget, oder sie sind viel zu stark motorisiert und damit in ihren laufenden Kosten später einmal nicht tragbar für uns. Auch besonders schöne Oldtimer schlag ich mir bald aus dem Kopf: Die meisten sind so schmal, dass sie kaum Lebensraum bieten.

Mittlerweile stehen unsere Kriterien fest:

Eine schöne Stahlmotoryacht, 13 bis 15 Meter lang. Isoliert und beheizbar. Und da wir nicht gewöhnt sind, uns auf einen Antrieb alleine zu verlassen – immerhin verfügen wir in der Regel über Segel und einen Motor – wollen wir eine zweimotorige Yacht.

Ich stolpere über eine Anzeige: „Zum Verkauf steht die schöne 13m Yacht eines ehemaligen Kapitäns der Handelsmarine… Werftbau D.Drettmann, Bremen, 1983. Gebaut nach Lloyd´s Richtlinien aus 5mm Schiffsbaustahl, seegängig, 2 x Volvo Penta a 150PS, kaputtes Teakdeck, einige Reparatur- und Wartungsarbeiten nötig.“

Bingo! Drei Tage später sitzen wir im Yachtclub in Wiesbaden und unterschreiben den Kaufvertrag.

schwimmendes Tinyhouse
Unser neuer Zweitwohnsitz!

Wir haben Glück: Die sympathischen Voreigner haben keinen Stress, die Motoryacht aus den Händen zu bekommen. Sie werden uns auf das Boot aufpassen, bis wir aus der Antarktis zurück sind. Im Frühling kommen wir mit Schlafsack und ein paar Töpfe im Gepäck: Wir werden unser neues Eigenheim am Wasserweg nachhause bringen – und darauf freuen wir uns schon jetzt!

Und sobald unser neues Motorboot sicher hinterm Haus steht, geht´s für uns zurück zu LA BELLE EPOQUE, um die Segel zu setzten!

Segeln
LA BELLE ist starklar und wartet auf neue Abenteuer

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5 Kommentare

  1. Dankeschön für einen weiteren offen und ehrlichen Bericht. Wir können gut nachvollziehen, was euch bewegt hat diesen neuen Schritt zu machen. Gratulation zu eurem neuen Boot.
    Wir haben seit langem schon die gleiche Idee, sind jedoch noch lange nicht bei der Umsetzung. Wir grasen noch etwas auf dem Landweg den amerikanischen Kontinent ab. Liebe Grüße aus Arizona, Claudia und Thomy https://dubu-and-more.ch

  2. Hallo ihr beiden, hab schon gelesen, dass ihr Meerwasser geleckt habt. Bin schon gespannt, wann ihr aufs Fahrtensegeln umsteigt und ob wir mal einen Ankerplatz teilen! Und ganz nebenbei, Ensenada und die Häfen der Baha sind durchaus ein interessanter Jagdgrund für gute Yachten von den Amis und Kanadiern – und die haben sehr tolle Blauwasseryachten… Und was unseren neuen Umstieg betrifft: um es in euren Worten zu sagen: „Ganz sicher haben wir uns verändert. Unsere Wahrnehmung und unsere Blicke auf Gegebenheiten sind anders – nicht besser oder schlechter – eben anders.“

  3. Christoph Weber

    Ihr Lieben
    Seit bald Jahrzehnten verfolge ich Euern Lebensweg, Gelegentlich neidvoll, habe ich mich/ wir uns doch für das von Euch gerade verworfene Gegenkonzept „ unnötiger Luxus in Bürgerlichkeit“ entschieden.
    Betrachtet diese kleine Lebenserfahrung deshalb bitte nicht als respektloses Klugscheissen:
    Die Gesundheit wird auch ohne lebensbedrohliche Grunderkrankungen nicht besser, sodass unserer Erfahrung nach ab 60 aufwärts ein Landstützpunkt, in den ersten Ansätzen auch barrierefrei, unverzichtbar ist.
    Auch wird das Leben zusehends teurer, vieles lässt sich nicht mehr selbst erledigen.
    viel Glück und Lebensfreude auf Euerm Weg.
    C.W.

  4. Christoph Weber

    Ihr Lieben
    Seit bald Jahrzehnten verfolge ich Euern Lebensweg, gelegentlich neidvoll, stets voller Bewunderung, habe ich mich/ wir uns doch für das von Euch gerade verworfene Gegenkonzept „ unnötiger Luxus in Bürgerlichkeit“ entschieden.
    Betrachtet diese kleine Lebenserfahrung deshalb bitte nicht als respektloses Klugscheissen:
    Die Gesundheit wird auch ohne lebensbedrohliche Grunderkrankungen nicht besser, sodass unserer Erfahrung nach ab 60 aufwärts ein Landstützpunkt, in den ersten Ansätzen auch barrierefrei, unverzichtbar ist.
    Auch wird das Leben zusehends teurer, vieles lässt sich nicht mehr selbst erledigen.
    Die Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen häuft sich, was auch ein Kostenfaktor ist.
    viel Glück und Lebensfreude auf Euerm Weg.
    C.W.

    • Hallo Christoph,
      keine Sorge, dein nettes Kommentar betrachten wir auf keine Fall als respektlos und auch nicht als Klugscheisserei. Wir haben auf unserem Weg auch den einen oder anderen Segler kennengelernt, der auf seinem Boot gestrandet ist und sich sein Altwerden sicher irgendwann mal anders vorgestellt hat. Und deshalb haben wir das Grundkonzept „Landleben“ auch nicht gänzlich verworfen. Wir haben ein Haus, das vermiete ist und für unser Grundeinkommen sorgt. Und wir besitzen ein Grundstück, das bis zu einem gewissen Grad unser Zuhause an Land sein kann. Und wir bezahlen als Selbständige Pensionsvorsorge und Krankenversicherung in Österreich. Aber wir sind die letzten Jahre einfach ein bisschen zuviel ins bürgerliche Leben eingestiegen. Und so müssen wir ganz einfach auch sagen, das Freiheit eben auch etwas kostet. In unserem Fall eben, wieder zu Minimieren und uns darauf zu fokussieren, was genau wir uns eigentlich von unserem Leben vorstelle. Denn glücklich kann man (unserer Meinung) eben nur sein, wenn man mit seinem eigenen Lebensweg auch zufrieden ist. Egal, ob es sich dabei um Bürgerlichkeit oder Abetuerleben handelt.
      Auch dir/euch weiterhin alles Gute und wir freuen uns, weiterhin unsere Geschichte erzählen zu können.

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