Ohne Eile schiebt sich La Belle Epoque über das ruhige Boddengewässer. Ich sitze im Steuerhaus und halte konzentriert das weiße Nichts voraus im Auge. Denn sehen kann ich nichts. Wir sind im dichten Morgennebel aufgebrochen.
Die weiße Nässe steigt vom Bodden auf und verschleiert den Horizont, verschluckt jede Kontur.
Doch verloren sind wir deshalb nicht. Der Weg voraus öffnet sich Stück für Stück. Wie selbstverständlich taucht eine Boje nach der anderen aus dem Nebel. Zeigt mir den Weg und leitet uns langsam auf Umwegen aus dem geschützten Küstengewässer bis in die offene Ostsee. Wir müssen nichts weiter tun, als dem schmalen Fahrwasser voraus zu folgen.
Da und dort tauchen Uferstreifen aus dem Nebel, da ein Streifen Schilf, dort die Umrisse eines Baumes.
Ein blinder Aufbruch, ein leerer Horizont. Und doch gehen wir sicher unseren Weg.
Eigentlich ganz passend, finde ich.
Es ist ein Aufbruch zu neuen Abenteuer. Noch kann ich diese Abenteuer nicht greifen. Nicht erahnen. Noch liegt es außer meiner Vorstellungskraft, zu wissen, was auf uns zukommt. Eine Zukunft, die wie eine weiße Nebelwand vor uns liegt.
Die Welt um uns ist nicht leer, nur weil wir sie nicht sehen. Und genauso sicher ist, dass die kommenden Monate gefüllt mit neuen Eindrücken werden. Mit Abenteuern, vielleicht mit Grenzsituationen. Mit Freunde und Leichtigkeit, aber auch mit Angst und harter Arbeit.
Die Nebelwand ist weiß wie die Seiten unseres Logbuchs. Und wir werden diese Seiten die kommenden Monate füllen.
Ein Gefühl von Zufriedenheit stellt sich ein.
Es fühlt sich gut an, den Alltag erneut hinter uns zu lassen. Dem Wahrscheinlichen zu entkommen und dem Wesentlichen wieder mehr Platz zu geben.
Bald schon gibt es keine Ablenkung vom Leben mehr. Keine Medien, die uneingeschränkt auf uns einwirken, keine Terminkalender, die abgearbeitet werden wollen. Keine Dringlichkeiten, die sich nicht aus dem puren Er- und Überleben ableiten.
Und bereits am Tag der Ankunft an Bord hat sich dieses Gefühl eingestellt. Mit diesem Tag ist der Stress der letzten Wochen von uns gefallen und das Leben hat sich wieder aufs Fahrtensegeln konzentriert.
An Bord verschieben sich die Wichtigkeiten: Aufriggen, Vorbereiten, Fertigstellen. Proviantieren, Verstauen. Dazwischen gemütliche Abende mit Stegnachbarn.
Beim Proviantieren stoße ich leider nicht nur auf Freundlichkeit. Mit vollen Einkaufswägen erlebe ich eine aggressive Unhöflichkeit, von der mich das deutsche Volk bisher verschont hatte. Ich werde angerempelt, ein Wagen versperrt mir provokant den Weg, dumme Sprüche werden hinter meinen Rücken gemacht.
Kleinlaut entschuldige ich mich an der Kassa: Ich bin nicht verrückt geworden mit Hamsterkäufen, aber wir werde für Monate an einsame Küsten segeln, in denen es keine oder nur teure Supermärkte gibt.
In einigen Geschäften erhalte ich beschwichtigtes Lächeln oder Achselzucken vom Personal, nicht so bei Rewe. Der Geschäftsführer wird geholt und ich werde ohne Mehl aus dem Supermarkt geworfen. Ihm ist es egal, dass ich am Atlantik keinen Bäcker finden werde. Und er beschließt die Regeln neu: Aus 2 Packungen Mehl pro Einkauf wird zwei Packungen Mehl für mich generell. Aus und basta.
Im schwersten österreichischen Dialekt lasse ich ihn wissen, was für ein Arschloch er eigentlich ist, bevor ich mich verziehe.
Hilflos bin ich aber nicht. Unser Stegnachbar lacht über den Vorfall und bringt ab sofort täglich zwei Kilo Mehl für uns mit. Dankeschön!
Dann die Konzentration auf das Wesentliche: Wetterbeobachtungen, Routenplanungen. Die letzten Teile einbauen. Und plötzlich geht es los.
Als wir den Barther Bodden verlassen, lassen wir Deutschland und den Nebel hinter uns. Unter Segel, wenn auch langsam, erreichen wir Dänemark. Ankern für die Nacht und brechen wieder auf. Quer durch die dänische Südsee, bei Gegenwind, keinem Wind und wenig Wind.
Die neue Rollreff-Genua macht uns das Leben leicht und im Steuerhaus stellt sich bald die alte Routine ein.
Rechtzeitig vorm Kreuzen der Schifffahrtsstraße nimmt der Wind etwas zu. Gut so, wir wollen nicht mit drei Knoten Fahrt vor dem Bug der Dicken durchkriechen. Trotzdem erreichen wir Dänemark erst bei Sonnenuntergang und es dauert noch bis Mitternacht, bis unser Anker vor Stubbebköbing fällt.
Kein besonders guter Ankerplatz, aber für den Rest der windlosen Nacht wird er reichen.
Wir frühstücken im Steuerhaus. Wie schön doch Dänemark ist. Flache, sandige Küsten leuchten in der Morgensonne, dahinter kleine Wälder, rollende Wiesen, gelbe Rabsblüten. Hübsche, reedsgedeckte Häuser.
Schnatternd ziehen Gänse über uns durch. Wie schön, sie wieder im Norden zu treffen. Für mich sind sie nicht nur ewige Reisende, sondern das Sinnbild von Fernweh. Still schicke ich ihnen meine besten Wünsche hinterher.
Dann heben auch wir wieder unseren Anker aus dem Grund. Wir werden versuchen, möglichst schnell durch Dänemark zu ziehen und die Ostsee hinter uns zu lassen. Und bald schon werden die nächsten Logbuchseiten dieser ersten, gefüllten Seite folgen!
Haha, ich musste 3 mal lesen was im Supermarkt los war. Hat der 3. Weltkrieg schon angefangen? Wir liegen vor einer depperten Marina / Club Cruzeros in La Paz Mexiko vor Anker. Rauch- und Alkoholverbot! Endlich mal wieder Zivilisationen, aber wie langweilig! Spassbremsen!
Wünsche euch viel Spass, und dass sich irgendwo unsere Wege doch mal noch kreuzen😃
?? Rauch- und Alkoholverbot in der Marina? Warum das denn? Und ja, eigentlich wär es wirklich mal an der Zeit, dass wir uns über den Weg laufen! Euch noch viel Spaß in México!
Mojn Claudia und Jürgen,
hab Eure Position verfolgt aber gerade erst kapiert/gelesen was Ihr vor habt – whow! verspüre gerade intensives Fernweh! Muss endlich los mit Sarai – noch 3 Monate bis zur Rente 🙂
Am Montag hab ich Afu-Prüfung, dann gibt es keine Ausrede mehr, an der Küste zu bleiben 😉
Hoffe das Ersatzteil passt und Euer Autopilot funzt wieder!
Ich wünsche Euch eine tolle Reise
Tom
Hallo Tom, wir halten dir die Daumen für die AFU-Prüfung! Ja, unser Autopilot funktioniert wieder, der Motor war kaput, aber Martin von der dänischen Firma, die du uns weitergeleitet hast, hat uns helfen können. Danke nochmal. Lass uns wissen, wann du mal mit bestandener Auf-Prüfung an Bord bist, dann könnten wir mal über Funk klönen! Liebe Grüße an Ulla
Claudia und Jürgen
Afu bestanden (die Noviceprüfung ohne 20m), die große Prüfung vielleicht im Juli; Funkgerät hab ich bestellt, bald geht es los mit HAMen 🙂
Bauen gerade Ankerwinde ein, dann im Juni 2 Wochen Ostsee.
Eine gute Reise Euch beiden, auch von Ulla!
Tom
Hallo Claudia & Jürgen,
ich beneide euch dafür der Zivilisation wieder zu entkommen.
Wünsche euch alles Gute !
LG Thomas