Seit Tagen stimmt die Windrichtung, aber wir beschließen dennoch, mit unseren Aufbruch zu den Shetland Inseln zu warten. Zu Recht: Über den schottischen Hebriden steht ein Sturmtief, dass langsam in den Norden zieht. Zwar sollte es die Shetlandinseln nicht direkt treffen, doch welche Seemannschaft wäre es schon, einen Sturm entgegen zu segeln. Außerdem gefällt uns der vorhergesagte Wind über der Nordsee nicht: Die gemeldeten 6-7 Beaufort wären schon in Ordnung, aber Böen bis über 40 Knoten? Darauf können wir vor allem in der unruhigen und engen Nordsee gerne verzichten.
Dann doch lieber die leichten Winde nach dem Sturmtief, auch wenn wir so um einige Motorstunden nicht herumkommen!
Um 6:00 Uhr morgens werfen wir die Trossen in Hellvik los. Noch liegt die Bucht spiegelglatt im Morgenlicht. Nichts rührt sich. Aber bereits eine Stunde später können wir den Motor abstellen. Leichter Südostwind hat eingesetzt und zieht LA BELLE EPOQUE über die ruhige Nordsee. Die gemeldeten letzten Böen bleiben aus.
Die Nordsee bleibt farblos: Ein bedeckter Himmel spiegelt sein freudloses Grau auf der Wasseroberfläche. Einzelne Eissturmvögel spielen in den kleinen Wellen rund um die langsam dahinziehende Yacht. Hin und wieder können wir einen Öltanker oder einen Fischkutter am Horizont ausmachen. Hubschrauber ziehen von Norwegen zu den Ölplattformen und zurück.
Alles in allem also ein schöner Tag auf der Nordsee!
Abends bricht der Wind in sich zusammen. Wieder muss Mr. Perkins den Segeln etwas nachhelfen. Aber das hat auch seine schönen Seiten: Die Abwärme des Motors vertreibt langsam die beißende Kälte in der Kajüte.
Erst gegen Mitternacht zieht LA BELLE ihr leuchtendes Kielwasser wieder unter Segeln durch die Nordsee, doch ein Geräusch im Schiff lässt mir keine Ruhe: Alle paar Minuten fährt ein unbekanntes Brummen und Vibrieren durch das Boot.
Ich werde bald verrückt, finde ich doch die Ursache für dieses eigenartige Geräusch nicht. Irgendwann gebe ich mich geschlagen: Vielleicht kommt das Brummen ja von den zwei Schiffen in unserer Nähe. „Messgeräte in Schlepp, 1 Seemeile Abstand halten“ lässt uns das AIS von einem dieser Schiffe wissen. Das zweite Schiff nennt sich „Floatel“ und kann eigentlich kein Schiff sein. Denn in der Dunkelheit der Nacht ist es längst mit freiem Auge zu sehen: Es ist riesig wie eine ganze Bohrinsel.
Auch am zweiten Segeltag geht es langsam voran. Aber immer noch können wir uns nicht beklagen, kommt doch die Sonne abends raus und taucht die Welt in ihren Farbtopf.
Mittlerweile werden die Nächte nicht mehr ganz dunkel, auch lange nach Sonnenuntergang bleibt ein leichter Lichtschein im Norden von uns bestehen.
In den frühen Morgenstunden erreichen wir Lerwick. Die Hauptstadt der Shetlandinseln. Wir waren schon einmal hier. Wissen, dass wir uns direkt vor der hübschen Altstadt an den Steg legen können. Doch hat sich seit unserem letzten Besuch hier etwas verändert: Wir sind neugierig, wie kompliziert das Einklarieren nach Brexit geworden ist.
Aber kein Problem: Unkompliziert und äußerst freundlich heißt uns die zuständige Beamte hier willkommen, nachdem sie einen kurzen Blick in unsere Pässe geworfen hat. Herzlich willkommen auf den Shetlandinseln, schön, dass ihr hier seid!
Und die Freundlichkeit dieser kleinen Inselnation sollten wir die kommenden Tage noch öfter erleben: Von allen Seiten werden wir angesprochen und willkommen geheißen.
Und wir treffen nicht nur Shetlander:
Das letzte Wetterfenster wurde auch von norwegische, holländische und dänische Yachten genützt.
Zwei junge Franzosen betrachten LA BELLE EPOQUE und wir kommen ins Gespräch. Sie liegen mit ihrem Traditionsschiff ein Stück weiter im Museumshafen und laden uns ein, bei ihnen vorbeizusehen.
An Bord des alten Haikutters bleiben uns die Münder offen stehen. Wir stehen auf einem Schiff voller Handwerker und Künstler, einem Schiff voller Herzblut und Lebensgeist.
Die junge Bretonin erzählt uns, dass sie gemeinsam mit ihren Freund diesen Kutter neues Leben eingehaucht hat. Mehr als vier alte Spanten sind wohl nicht mehr origninal, alles andere wurde in liebevoller Handarbeit ausgetauscht und restauriert. Auch der Motor ist neu überholt, allerdings ging das Geld aus, bevor eine neue Antriebswelle und ein neuer Propeller gekauft werden konnte.
Deshalb meistert die alte Gaffelketsch eben alles unter Segel. Gesegelt und gesteuert von einer Gruppe Freunde, die sich über die Jahre rund im Schiff gesammelt hat. Und gesegelt wird laufend: Die Reisen führten bisher wiederholt über die Nordsee oder durch die gezeitengeplagte Biskaya, aber auch in die Ostsee zu den Arland Inseln und bis nach Finnland. Mit Jahrhunderte alter Technik, feinster Seemannschaft und harter Arbeit.
Wieder einmal sind wir überzeugt: In den Adern der Bretonen muss Seewasser anstelle von Blut fließen!
Wir wollen in Lerwick keine Wurzeln schlagen und segeln ein kleines Stück weit in den Norden.
Ziel: die Westküste, um das nächste Wetterfenster zur Weiterfahrt in Richtung Færøer Inseln zu nützen.
So schnell wird nicht geschossen: Gleich mehrere Tiefdrucksysteme jagen nacheinander über den Nordatlantik, an eine Weiterfahrt ist nicht zu denken. Aber wir haben einen Plan B: Wir haben ja unsere Motorräder mit an Bord.
Um die Motorräder auszulanden, benötigen wir aber einen passenden Steg. In Colla Firth werden wir fündig: Die Fischer stellen klar, dass wir an ihrem Steg herzlich willkommen sind. Und beschenken uns sicherheitshalber noch mit einer Riesenportion Jakobsmuscheln und drei frischen Fischen.
An Bord eines Fischkutters wird gerade geschweißt und gearbeitet: Jährliche Wartungsarbeiten und ein paar Änderungen. Der junge Schweißer grinst, während er uns beim Auslanden unserer Wandertrials beobachtet. Und als er nach getaner Arbeit mit uns tratscht, grinsen wir: Der Schweißer ist selbst Trial-Fahrer und beschreibt uns sogleich einige spannende Schottertouren.
Ronas Hill – den höchsten „Berg“ Shetlands mit seinen 480 Metern – erklimmen wir nicht gänzlich mit unseren Motorrädern.
Wollen wir doch die geschützten Brutvögel auf seinen runden Giebel nicht stören. Auf halber Höhe biegen wir rechts ab. Auf eine Schotterpiste, die uns in die Freuden des Offroad-Fahrens einführt.
Über Stock und Stein gehts in den Westen, mit Bachdurchqurungen und über Steinkuppen. Wir werden entführt in eine Welt, die wir außerhalb der Arktis nicht vermutet hätten. Wassergetränkte, aufgerissene Torfböden, Wollgras, Moosteppiche und niedriges Gestrüpp. Dazwischen unzählige Teiche und Seen. „Lochs“, die mit den größten und besten Forellen gefüllt sind, wie uns ein einheimischer Wanderer versichert.
Wir bleiben über Tage. Nützen die Motorräder, um die Insel Mainland besser kennenzulernen und zu Wanderwegen zu gelangen. Bestaunen die Leuchttürme der berühmten Architekturfamilie Stevenson und wandern über die Klippen entlang der Westküste.
Und wenn wir Abends nass und halb erfroren zurück an Bord sind, gibts eine warme Dusche im Fischereigebäude, heißen schottischen Tee und ein frische, überbackene Jakobsmuscheln!