Die Stadt der Seeleute

Irgendwann hat uns der starke und anhaltende Westwind lange genug in Collafirth auf den Shetland Inseln gehalten. Mittlerweile kennen wir alle Wanderwege und alle Schotterstraßen und es ist höchste Zeit weiterzuziehen. Wir laufen bei erster Gelegenheit aus.

Kurs Färöer Inseln – die Færøs

Angenehm wird die Segelreise nicht. Noch steht die alte, aufgepeitschte See mit gemeldeten drei Metern, während der Ostwind sehr leicht bleiben soll. Stampfende Schiffsbewegungen, schlagende Segel und bockiges „Aus-dem-Ruder-laufen“ ist also vorprogrammiert.

Aber da bald die nächsten West-Winde folgen, bleibt uns keine Wahl. Wir laufen unter Motor aus.

Auslaufen
Wir laufen unter Motor aus der Bucht von Collafirth

Kaum aus der Bucht packt uns die Strömung im Yellsund, schiebt uns mit zwei Knoten zusätzlich voran. Es ist das Wasser der Nordsee, dass sich hier mit enormer Kraft alle sechs Stunden seinen Weg hinaus in den Nordatlantik sucht. Und uns einen gratis Ritt gibt.

Gratis, aber nicht ohne Preis. 

Was es heißt, mit der Strömung aus einem Sund zu ziehen, gegen die Dünung des Nordatlantiks zu fahren, ist uns bewusst, noch bevor wir den Bug aus den Yellsund recken.

Shetland Inseln Klippen
Die Westküste der Shetlandinseln ist rau und eingewilligt.

Böswillig stellt sich die See auf, noch bevor wir offenes Wasser erreichen. Meterhoch, steil und kraftvoll schlagen die Wellen auf unser kleines rotes Segelboot ein. Heben uns, um uns sogleich ins nächste Wellental zu werfen. La Belle Epoque torkelt, schlingert, springt und bockt.

Konzentriert sitze ich am Steuer. Um das Boot gut durch die hochschlagende See zu bringen. Und, um meinen Mageninhalt nicht der See übergeben zu müssen. Jürgen will bald nichts mehr von diesen Wellen wissen – und verzieht sich in die Koje.

Dann lassen wir die letzten Felsen hinter uns, erreichen den offenen Atlantik und mit ihr den „normalen“ Seegang. Immer noch um die 3 Meter hoch, immer noch eine Kreuzsee mit einer langen Dünung aus Süd, überlagert von einer hohen Restsee aus Nordwest und dazu einer unerklärlichen See aus Ost. Und das, obwohl die letzte Woche stürmischer Nordwest stand und die Shetland Inseln hinter uns jegliche Dünung aus dem Osten abhalten sollten.

Wie gewohnt wechseln wir uns im „sechs-oder mehr“ Stundentakt ab. 

Tun unser bestes, zumindest einen Teil der Etappe unter Segel zu schaffen. Die leichte, achterliche Brise in Kombination mit der üblen Kreuzsee des Nordatlantiks macht dieses Vorhaben nicht unbedingt einfach und bald gewöhnen wir uns an das leise Brummen unseres Motors.

Am zweiten Tag entdecke ich um elf Uhr abends die schroffen Felsen der Färöer Inseln. Doch sollte ich sie schnell wieder aus den Augen verlieren. Nach Sonnenuntergang gegen Mitternacht deckt das Meer die Welt mit dichtem Nebel zu. Nebel, der beinahe den Bug verschluckt. Der sich am Deck und den Scheiben fängt und nass von den Masten tropft.

Färöer Inseln in Sicht
Färöer Inseln in Sicht. Doch bildet sich eine dichte Nebelwand zwischen uns und ihnen!

So habe ich mir das Ankommen nicht vorgestellt. Nur unter Radar in einen fremden, geschäftigen Hafen einzulaufen passt mir überhaupt nicht. Mit leichter Sorge studiere ich die Seekarte, präge mir das Hafenbild im Küstenhandbuch ein, drehe am Radar herum, bis das Bild so klar als möglich erscheint und beobachte die vielen Fischkutter am AIS.

Ich sorge mich unnötig.

Direkt vor der Küste hebt sich der Nebel, bleibt als graue Wand im Kielwasser stehen. Und lässt uns mit dem Gefühl zurück, durch ein magisches Tor in eine neue Welt geschlüpft zu sein. 

Färöer Inseln im Nebel
Der Nebel hebt sich und kurz vor Sonnenaufgang kommen die Inseln wieder in Sicht.

Die aufgehende Sonne färbt den klaren Himmel in dezentes Rosa, sattgrün leuchten die Weiden über den schwarzen Vulkanklippen. Die Lichter der Stadt verblassen im neuen Morgen und die auslaufenden Kutter bilden eine kleine Parade. Die Strömung schiebt uns unweigerlich bis zur Hafeneinfahrt und wir laufen langsam zwischen den großen Kuttern, den Kreuzfahrern und Fähren bis in den überfüllten Bootshafen.

Wir finden einen letzten leeren Platz am Gästesteg und halten beim Einlaufen den Atem an. 

Eng ist kein Ausdruck 

Am Gästesteg wird gebaggert und da, wo tiefes Wasser zum Wenden des Bootes sein sollte, steht ein Bagger auf einem Haufen Felsbruch.

Es ist drei Uhr morgens, windstill, und die Promenaden und Stege sind leer. Besser, den Bug unserer schweren Langkielyacht noch gleich nach draußen zu drehen. Mit Feingefühl und viel Geschick an der Gangschaltung dreht Jürgen das Boot am Teller. Einen Meter zurück, zwei nach vorne. Quer im Hafenbecken bleibt uns nicht mehr Platz  zwischen Bagger am Heck und Motorboot am Bug.

Noch am Vormittag heißt uns die freundliche Zollbeamtin willkommen auf den Færø Inseln und wir können die kleine Hauptstadt der robusten Faeroers erkunden. 

Torshavn
Das Parlament der Färöer

Tórshavn – der Hafen von Thor –, vielleicht die kleinste Hauptstadt der Welt.

Klein, fein und freundlich, aber vor allem eine Hauptstadt, welche zeigt, worum es auf den Færø Inseln wirklich geht. Um das Meer und um den Fisch. Es ist eine Hauptstadt der Kutter, der Schiffe und der Boote. Eine Hauptstadt der Seeleute. 

Mit Häfen zu beiden Seiten des Parlaments, einer großen Werft mitten im Stadtzentrum. Mit Hafenbecken, die ineinander übergreifen und große Hochseekutter, die quer über die Hafenbecken im Päckchen liegen. Mit Bootshäfen, die zum Bersten gefüllt sind, Fähranlegern, an denen niemals Ruhe einkehrt und Schlepper, die nie stillliegen.

Torshaven Parlament
Zu beider Seiten des Parlaments liegen Häfen

Tórhavn scheint mir eine Stadt zu sein, die vielleicht sogar mehr Boote als Häuser aufweisen kann.

Für uns ein Ort, an dem wir die Gemeinschaft der Fahrtensegler genießen.

Hier treffen wir Soni, an dessen herrlicher Yacht niemand gleichgültig vorübergehen kann. 

Fahrtensegler Gemeinschaft
Ein Tratsch mit Soni

Gebaut im vorletzten Jahrhundert in Norwegen träumt die hölzerne Colin Archer von ihrer Zeit als Lotsenboot und von ihren Rettungseinsätzen in der sturmgepeitschten Nordsee. Bis ihre langen Jahre der Arbeit gezählt waren und sie als wohlgepflegte Yacht entlassen wurde. Gemeinsam mit der schottischen Nachbarcrew verbringen wir den Abend in der gemütlichen Kajüte der alten Holzyacht und tratschen über das Reisen, das Meer und seine Geschichten.

Und wie es sich gehört, darf in einem Hafen nahe des Polarkreises auch ein junger Bretone mit einem Stahlschiff nicht fehlen. Florent ist mit seiner Ketsch in Richtung Grönland unterwegs, um einen neuen Film für sein Projekt TheWorldFace zu produzieren. Schade, das uns nicht mehr Zeit mit ihm bleibt.

TheWorldFace
Florent mit seinem Projekt TheWorldFace

Aber wir wollen nicht vom Wetter in einem Hafen gefangen werden, der täglich ein paar Euro kostet, auch wenn es hier nicht viele sind. So nützen wir schon am folgenden Tag die leichte Brise, um ein Stück weiter zu gelangen.

Nächstes Ziel: Vestmanna, wo wir vor genau zehn Jahren mit Olavs Hilfe unsere La Belle Epoque am alten Werftschlitten aus dem Wasser gezogen haben.

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Ein Kommentar

  1. Thomas mayer

    Hallo Claudia & Jürgen,
    hab den Roten Blitz geparkt bei Rammin gesehen….da musste ich gleich mal schauen wo Ihr unterwegs seid…….sehr gut geschrieben…..
    Ein gute Reise und weiter viele schöne Erlebnisse, sendet Euch Thomas Mayer vom Lynaes Kutter Mor Danmark – Werft Rammin – Barth

    hier ein link zu einem Alternativprojekt welches uns auch zu neuen Ufern bringen soll „Der WeißeRiese“, neben der Restaurierung von Lemsterak Kaat Mossel – YC- Dessau a.d. Elbe und Sommersegeln mit Lynaes Kutter Mor Danmark.

    https://youtu.be/DiPTnOc8C7U

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