Ein Fuß an Land

Lange ist es her, seit ich mich zum letzten Mal in aller Ruhe ins Steuerhaus sitzen konnte, um meine Gedanken und Eindrücke auf dieser Homepage erzählen zu können. Genau genommen ist ein Jahr seither vergangen. Ein Jahr, in dem unglaublich viel passiert ist. Ein Jahr, von dem unglaublich wenig zu berichten lohnt. Ein Jahr, das zwar mit jeden Handgriff unserem weiteren Seglerleben gewidmet war, aber das nichts mit Segeln zu tun hatte.

Nach all den Jahren an Bord mussten wir uns endlich wieder um unser Zuhause kümmern. Wir haben daran gearbeitet, auch in Zukunft unser kleines Einkommen aufrechterhalten zu können. Wir haben darauf wert gelegt, unser Heim an Land wieder mit Menschen zu teilen, die sich dort wohl fühlen. Die sich freuen, uns hin und wieder mal rund ums Haus anzutreffen. Auch wenn wir noch nicht bereit sind, unsere Seestiefel gegen Hausschuhe zu tauschen, planen wir, die kommenden Jahre zwischendurch an Land zu gehen: Wir wollen unsere Wurzeln nicht verlieren.

Unser Leben an Bord war von Anfang an keine Flucht vom Landleben, kein Abschied mit einstürzenden Brücken hinter uns. Schon an Bord unseres ersten Segelbootes haben wir erlebt, dass wir uns unglaublich wohl am Wasser fühlen und eine Freiheit entdeckt haben, die uns das Landleben kaum bieten kann. Doch wir haben auch bemerkt, dass wir diese große Freiheit nur beschneiden, wenn wir daraus eine Einbahn aufs Wasser machen. Frei sein heißt auch, Veränderungen versuchen zu können.
Wir wollen nicht eines Tages bemerken, dass wir zu starrköpfig und zu eigenwillig geworden sind, um einen neuen Lebensweg einschlagen zu können. Wir wollen nicht alt werden und irgendwann bemerken, dass wir nur noch segeln, weil wir daran gewöhnt sind und uns nichts Besseres einfällt. Oder weil wir uns keine andere Lebensart mehr leisten können.

Für uns liegt nun die große Kunst darin, unsere beiden Welten – das Leben unter Segel und unser Zuhause an Land – zu vereinen. Und so haben wir das letzte Jahr einige Entscheidungen getroffen. Wir haben uns entschieden, uns an Land erneut so einzurichten, dass wir uns gerne dort aufhalten. Wir haben entschieden, das Angebot meiner Mutter dankend anzunehmen und das kleine Gästezimmer, das bisher für uns zur Verfügung stand, erneut zum Gästezimmer zu erklären. Wir haben unsere paar Bücher aus den Aufbewahrungsschachteln geräumt und ein gebrauchtes Regal für sie gekauft. Und damit haben wir das Elternhaus bezogen. Das Haus, nicht das Gästezimmer.

Wir haben uns entschieden, die kommenden Winter in Österreich zu leben.

Dieser Entschluss ist nicht unüberlegt oder übereilt gefasst. Aber ich kann auch nicht behaupten, dass uns diese neue Planung besonders schwergefallen wäre. Denn wir haben die letzten Jahre bemerkt, dass uns vor allem zwei Ozeane zurückrufen: der Nordatlantik und der Arktische Ozean. Zwei Ozeane, die eines gemeinsam haben: Sie fordern selbst von erfahrenen Seglern Winterpausen ein. Und da wir schon genügend Winter an Bord verbracht haben, können wir uns genausogut auch ein klein wenig Luxus gönnen und die Winter in großen und beheizten Räumen, einer Badewanne und mit so vielen warmen Duschen wie nur denkbar, einer kleinen Sauna im Garten (die müssen wir zwar erst aufbauen, aber dennoch…) Und Strom aus der Steckdose verbringen. Winter ohne weiß gefrorene Zehen, Eiszapfen an der Innenseite der Fenster, oder Wärmeflaschen unter der vor Kälte steifen Bettdecke.

Obwohl, was ist schon Luxus? War es nicht mehr als prächtig, das „Blue Light“ zu erleben? Oder hoch auf einem Berg von Finnmark die Rückkehr der Sonne zu feiern? Täglich von einem kleinen grönländischen Polarfuchs am Eis direkt an der Bordwand besucht zu werden? Welcher Überfluss war es, die tiefe Stille des gefrorenen Fjords so deutlich zu hören, dass sie selbst die Seele in Schwingungen versetzt hat? Nach langen Insel-Spaziergängen mit isolierten Gummistiefel an den Füßen zu einem alten Haudegen in Alaska auf eingelegten Lachs und einem Schluck Williamsbrand einzukehren?

Ich weiß ja bereits, dass ich genau diese einfache Winterwelt entlang irgendeiner wilden Küste jetzt schon vermisse! Ich weiß aber auch, dass sich Jürgen mitunter schwerer getan hat als ich, die langen dunklen Wintertage bei grauenhaften Wetter auf wenigen Quadratmetern geheizte Kajüte bewegungshungrig abzuwarten.

Vor allem aber weiß ich, dass unser Leben weiter geht und wir nicht mitten drin umdrehen wollen. Wir wollen nicht wiederholen, was wir schon so großartig erlebt haben. Und wir wollen ganz sicher nicht erneut ein ganzes Jahr in Österreich festhängen, um die Versäumnisse der letzten Jahre aufzuholen und unseren kleinen Besitz zuhause aus dem Sumpf zu ziehen. Wir wollen nicht alle paar Jahre mit Motorsäge und Minibagger bewaffnet über die angefallene Gartenarbeit richten müssen oder monatelang vom Morgen bis nach Mitternacht auf einer Baustelle hängen, die einst ein Mietobjekt war und erneut eines sein sollte.

Wir wollen den Nordatlantik besegeln, Spitzbergen, Jan Mayen, Ostgrönland und Nordisland erkunden. Wir wollen endlich mal Europas Küsten näher kennenlernen. Die Ostsee genauer unter die Lupe nehmen. Und die Flüsse bis ins Schwarze Meer entdecken. Wer weiß, vielleicht werden wir ja sogar mal vom Norden so weichgeklopft werden, dass wir einen Sommer lang die Lust verspüren, die Wogen des Mittelmeers unterm Bug zu teilen?

Vorerst aber heißt es endlich wieder zurück auf Nordkurs. Wir haben das herzerwärmende Galizien hinter uns gelassen und die Biskaya in die einzig wahre Richtung überquert: Nordwerts gegen den Strom! La Belle hat ihr rotes Kleid einen kurzen Augenblick im Baskenland gezeigt: Auf Kurzbesuch in der Bretagne, wo die großen Segelabenteurer und Ozeanromantiker der Welt zuhause sind und die verwegen Metallschifferl zwischen den aalglatten Küstenkreuzern hervorleuchten.

Wir haben unter gerefften Segeln den ruppigen Eingang zum Englischen Kanal überquert und den Anker im Sand des idyllischen Helen Pools auf den winzigen Scilly Inseln vergraben. Und erst hier sind wir erneut in der Welt des Fahrtensegelns angekommen. Erst hier, am türkis schimmernden Atlantikwasser zwischen unbewohnten Inselchens ist die letzte Anspannung des vergangenen Jahres von uns abgefallen. Endlich sind unsere Seelen zurück an Bord geklettert. Und endlich sitze ich wieder in aller Ruhe im Steuerhaus, um meine Gedanken und Endrücke auf diese Homepage zu erzählen!

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