Die Tage explodieren förmlich. 17 Stunden Helligkeit am Tag. Sonne, Wärme, Licht und Schatten. Und ein Meer, das im Schein der Sonne glitzert und glänzt. Wir haben die „Rivera Norwegens“ erreicht, die warme und liebliche Südküste dieses Land des Nordens.
Im Kielwasser liegen Seegebiete mit klingendem Namen: Skagerrak, Kattegat, die dänische Südsee und auch die Deutsche Bucht. Die Segeletappen durch diese Seereviere weniger berauschen: Nachtstunden mit Flaute, dann wieder Gegenwind mit sehr ruppiger See. Wir sind etwas eingerostet, haben flaue Mägen und brauchen für übliche Arbeiten an Bord länger als gewöhnt.
Nach nur wenigen Stopps liegen Deutschland und Dänemark hinter uns und an Norwegens Südküste verändert sich unser Reisetempo.
Während die Sonnenstunden länger werden, werden unsere Segeletappen kürzer.
Vorsichtig führt unser Kurs zwischen den unzähligen Schären hindurch. Tausende Steininseln, die das zerklüftete Land wie ein Schutzschild umgeben und die steile See des Nordatlantiks brechen. Keine noch so kleine Welle schafft es, bis zu uns zu gelangen und unser Boot zum Tanzen zu bringen.
Fast auf jeder einzelnen Schäre entdecken wir ein Holzhäuschen. Eine „hytte“, wie die Norweger ihre Ferienhäuser liebevoll nennen. Wobei bei den meisten hytter hier im Süden des Landes das Wort Hütte wohl ziemlich untertrieben ist. Ehemalige Fischerhäuschen sind zu kleinen Villen aus Holz umgebaut, mit privaten Anlegestegen, Bootshäusern und großzügigen Sonnenterrassen. Im traditionellen Schwedenrot oder vornehmen Weiß leuchten die Holzvillen von den grauen Granithängen, umgeben von niedrigen, dunkelgrünen Kiefern und Wachholderbüschen. Nur hier und dort weht vor einer hytte die norwegische Nationalflagge – das sichere Zeichen, das jemand zuhause ist.
Nicht immer hält der Wind durch.
Wir sind unterwegs um Norwegens Südspitze, wollen rund um den südlichsten Festlandleuchtturm Lindesnes segeln und müssen doch irgendwann den Motor starten.
Voraus entdecken wir eine rote Segelyacht, die ihre Segel ebenfalls bereits gestrichen hat, das kann eigentlich nur GERMANE sein, Simone und Dirk haben wir bei einem unserer Vorträge in Österreich kennengelernt, nachdem sie extra dafür angereist waren.
Wir wollen die beiden wieder treffen, doch so einfach ist das nicht: Unser Funkgerät gibt keinen Ton von sich und eine Telefonnummer haben wir nicht. Erst durch Umwege über Deutschland – oder besser gesagt über Bert und Marlene von der HEIMKEHR – erfahren wir den nächsten geplanten Hafen von GERMANE und drehen hinterher.
Nach der Umrundung von Lindesnes wird das Fahrwasser wieder eng. Sehr eng. Wir haben Korshavn erreicht, ein ehemaliges Fischerdorf, zwischen dessen Steganlagen und Kuttern wir gerade eben durchschlüpfen können.
Am Ende des Dorfes entdecken wir GERMANE in einem großzügig angelegten Hafen gefüllt mit offenen Fischerbooten. Wieder sind wir erstaunt über die Großzügigkeit der Norweger: Wir dürfen die Nacht kostenlos am Steg verbringen und werden eingeladen, so lange wir wollen hier zu verweilen.
Gemeinsam mit Simone und Dirk gehts auf Wanderung. Schmale Gehwege verbinden die Häuser. Immer wieder müssen wir raten, ob wir noch am öffentlichen Weg sind, oder schon in einem Garten stehen. Hier sind die hübschen Gärten nicht von hohen, blickdichten Zäunen umgeben. Sie sind nicht abgeschottet von der Natur außerhalb der Grundgrenzen. Übergangslos verbinden sich die Gärten mit den Heidelbeersträuchern und Wildblumen auf den Granitbuckeln.
Dann führt der Weg den Hügel rauf, durch einen niedrigen Wald bis zu m Aussichtspunkt mitten auf der Insel. Wir setzten uns auf einen sonnengewärmten Stein und lassen die Blicke in die Ferne schweifen. Selbst wenn man auf dem Meer zuhause ist, wird man seinen Anblick wohl nie überdrüssig!
Mit der Ostsee lassen wir die Sonne vorerst hinter uns.
Nach einem Monat durchgehenden Sonnenschein nehmen wir die erste Regenfront gelassen hin. Für die gemeldeten Sturmböen müssen wir uns allerdings gewissenhaft verholen. Wir wollen die Nordsee nicht hier, am südwestlichen Rand Norwegens, toben sehen.
Im Berefjord werden wir fündig: Der kurze Fjord ist an seinem Eingang durch eine hohe Felseninsel geschützt vor der aufgebrachten See. Bei drei Meter hohen Wellengang schlüpfen wir gerade noch rechtzeitig durch die schmale Einfahrt. Doch dann geht das Abenteuer erst los: Am Ende des Fjords liegt eine kleine Bucht hinter einer weiteren Insel. Und obwohl die Seekarten keine genauen Angaben zu dieser Bucht machen, wollen wir versuchen, unsere zwei Meter tiefe Segelyacht genau dort zu verankern.
Während Jürgen am Bug steht und das Wasser vorm Bug auf Untiefen absucht, lege ich den Vorwärtsgang ein und dampfe ganz langsam zwischen die Felsen durch. Um die sieben Meter schmal ist die Einfahrt, doch das Wasser bleibt auch direkt neben den Felsen mindestens dreieinhalb Meter tief.
Dann öffnet sich die Bucht vor uns.
Und wir staunen über die unbändige Natur. Quellwasser tropft über dunkle, glattgewaschene Felswände, die sich fünfzig Meter hoch aus dem dunklen Fjordwasser heben. Dazwischen Spalten, an denen sich kleine Kiefern und Gestrüpp festhält. Zwei kleine Wasserfälle erfüllen die Luft mit ihrem Rauschen.
Wir loten vorsichtig die Bucht aus und lassen den Anker fallen. Die Bucht ist zu klein, dass sich unser Boot frei vor Anker drehen kann. Deshalb spannen wir eine stabile Trosse von unserem Bootsheck zur kräftigsten Birke am Ufer. Nun darf der Sturm übers Land fegen, wir liegen sicher wie in Abrahams Schoß.
Tage später packen wir unseren Wanderrucksack.
Vom Fuß des Wasserfalls führt ein Track bis hoch über die Klippen Südnorwegens. Der Weg schlängelt sich entlang zweier Seen ins Landesinnere. Dann ändert er seine Richtung, führt steil bergauf. Nach dem Regen der letzten Tage ist der Weg matschig, wir müssen uns an Ästen und Wurzeln festhalten, um nicht über die mit Moos bewachsenen Steine zu rutschen.
Dann lichten sich die Birken und Kiefern. Norwegen braucht keine schwindelerregenden Höhen, um baumlose, hochalpine Landschaft zu zeigen. Ein paar hundert Höhenmeter in Kombination mit den steifen Winden des Nordens genügen, um uns in eine schroffe und baumlose Landschaft zu zaubern. Wild und unbändig türmt sich eine Felswand vor der anderen. Dazwischen durchtränkt Moospolster, kniehohes Gestrüpp und ein stiller See. Nasse Wolkenschleier ziehen durch, senken sich immer wieder wie ein Vorhang vor die Weite der Nordsee.
Ich stehe hoch über den Klippen und warte, bis mein Atem wieder in den ruhigen Zügen geht, mein Herz in seinen gewohnten Takt zurückgefunden hat. Umgeben von Jahrtausenden alten Felsen spüre ich die Gewalt dieser ungezügelten Natur.
Irgendwann müssen wir aber weiterziehen. Das Wetter lässt uns noch nicht über die Nordsee und so setzten wir Kurs zu einem weiteren Stop entlang der Norwegischen Küste: nach Hellvik.
Die Bucht von Hellvik ist nicht unbedingt betörend schön, dennoch wird sie etwas Besonderes für uns:
Hier packen wir zum ersten Mal auf dieser Reise unsere Motorräder aus.
Mit dem Genua-Fall heben wir ein teilzerlegtes Motorrad nach dem anderen von der Vorkoje heraus, bauen sie an Deck zusammen. Noch einmal dient das Fall als Kran – und schon stehen die Motorräder am öffentlichen Steg.
Wir suchen die Straßenkarten nach möglichst kleinen und vielversprechenden Schotterstraßen ab.
Wir schlüpfen in die Endurojacken und ziehen Inland. Entdecken erneut Norwegens Schönheit: Ziehen von einem See zum nächsten, lassen beeindruckende Täler hinter uns und enden immer wieder in Schaf- und Rinderkoppeln. An unserer Straßennavigation müssen wir wohl noch etwas feilen!
Zurück an Bord folgt der nächste gesellige Abend. Julia und Jens machen mit ihrer Motoryacht SENJA hinter uns fest.
Dann ist es Zeit für den Abschied. Hellvik soll unser letzter Stop in Norwegen sein. Vor uns liegt die Nordsee. Die Route der Wikinger. Wir werden den Bug in Richtung Nordsee hinaus drehen. Nächster Stop: Shetlandinseln.
Wir haben uns riesig gefreut, euch wieder zu sehen. Gute Reise weiterhin und bis zum nächsten Mal.
Herzliche Grüße
Simone & Dirk, SY Germane