Helden der Meere

„Ich betrachte den Sonnenuntergang, ich atme den Hauch der Weite, ich fühle meine Seele aufblühen, und meine Freude schwingt so hoch empor, dass nichts sie mehr einzudämmen vermag. Und die übrigen Probleme, die mich mitunter quälten – sie wiegen nicht ein Gramm angesichts der unendlichen Ferne, in der sich das Kielwasser mit dem Himmel vereint, angesichts des Windes über der See, die sich von keinen kleinlichen Alltagssorgen beunruhigen lässt.“

Wie viele Menschen mag sich Bernard Moitessier mit diesen Worten ins Herz geschrieben haben, sie inspiriert und ihnen gezeigt haben, dass es nicht immer endlos viel Vorbereitung und Sicherheit braucht, um seinen Weg zu finden und zu gehen. Wie viel Zeit ist seit dieser Aussage vergangen und wie viele Menschen sind den Ruf der Weite seither gefolgt, habe die „letzte große Freiheit“ der Weltumsegelung war gemacht und einen Ausstieg auf Zeit erlebt.

Ja, seit der Zeit der ersten Nonstop und Einhand Weltumsegelung hat sich viel am Meer getan und ein Ausstieg auf Zeit ist beinahe schon eine trendige Angelegenheit geworden. Ein moderner Traum – so salonfähig, dass es selbst schon „Who is who“-Listen für erfolgreiche Weltumsegler gibt, ein Ausstieg auf Zeit gesellschaftsfähig ist und alles nötige dazu angenehm vorab organisiert werden kann. In Büchern und Seminaren kann alles erlernt werden, spezielle Schwerwetter-Segeltörns geben Vertrauen zur eigenen Segelfertigkeit und beim Bootskauf steht ja ohnehin bereits fest, dass ein Maximum an Lebensraum und Technik die Grundlage für fähige Weltumsegelyachten stellt.

Bei Bootsbauern und zukünftigen Blauwasserseglern erntet man manchmal schon einen schiefen Blick, wagt man die Frage nach dem Reiseziel zu stellen: Einmal rundum, natürlich! Oder zumindest der Atlantische Zirkel, wenn die Zeit oder das Geld nicht mehr erlaubt. Auch weiß doch schon jedes Kind, welche Ausrüstung für so eine Weltumsegelung gebraucht wird: über Rettungsinsel, Wassermacher, Wind- und Solaranlagen neben Dieselkraftwerk, Funk und Kühlschrank, Innenborder, Außenborder, Parasail und Passatbesegelung, Rollanlagen und Ankerwinde, LED-Lampen und Homepage. Und auf den Mikrowellenherd und die Waschmaschine will man doch auch nicht verzichten. Ja, und wer sich dass alles noch nicht leisten kann, der sollte halt noch ein paar Jährchen in die Firma laufen, auf einen Lottosechser warten oder spekulieren – was auch immer. Denn eins ist doch schon klar: ohne dem nötigen Kleingeld und der versicherten Zukunft wird man nur zum Obdachlosen unter Segel mutieren und nicht die „letzte große Freiheit“ genießen können. In der Zwischenzeit kann man sich ja an seine Vorbilder halten: berühmte Weltumsegler, Weltrekordhalter und Segelgrößen, welche die Seiten bunter Segelmagazine füllen.

Und dann: endlich unterwegs! Die Zwänge des Alltags hinter sich gelassen, mit dem fixen Reiseplan vor sich, begibt man sich auf die ausgetretenen Pfade der Weltumsegelung und segelt wie ein Weltmeister gegen die Uhr: im Herbst auf den Kanaren, im Winter eine kurze Verschnaufpause in der Karibik. Noch schnell ein paar Ersatzteile für die ersten Gebrechen nach Panama senden lassen und schnell, schnell, in die Südsee. Runter vom Schiff in Australien, Auszeit an Land. Augen zu und durch in dem Indischen und Roten Meer und Schiffsverkauf im Mittelmeer. Einen Kopf voller Erinnerungen und ein Herz voller Sehnsüchte bleiben zurück. Und hat man fleißig sein Onlinelogbuch geschrieben, hat man sich vielleicht sogar in das „Who is who“ der Weltumsegler geschrieben. Vielleicht.

Doch da gibt es noch etwas, dass einem im Gedächtnis bleibt: Lukas, Ricki, Jack, Louis und Ines. Und wie sie noch alle so heißen. Sie, die Begegnungen der anderen Art. Denn da gab es Luka, den junge Italiener, der mit seinem selbstgebauten Holzboot ohne Strom und ohne Motor nach Argentinien segelte, obwohl er sich in Panama gerade noch einen Sack Orangen leisten konnte. Da gab es Hans und Eva, die mit ihrem winzigen Bodenseebötchen nach Neu Zeeland aufbrachen (und auch ankamen), um dort ihrer ungeborenen Tochter ein neues Zuhause schaffen zu können. Die Begegnung mit Fritz, der alleine in seinem kleinem Sperrholzboot über das Schwarze Meer kam und nach Australien segelte, immer fröhlich seine Gitarre zuckend, wenn jemand Lust auf Musik hatte. Und da gab es Louis, die Begegnung mit dem jungen Franzosen, der auf seinem über 60 Jahre altem, kleinem Holzboot und mit seinem Schlittenhund für den Winter in den Norden segelt, damit sich dieser an die Kälte gewöhnt. Louis, der bei uns an Bord verfrühtes Weihnachten feiert, weil er schon ewig keinen Käse mit frischem Weißwein serviert bekam, nachdem sich von seinem Ersparten nur noch Reis und Knäckebrot bezahlen lässt.

Wie herrlich ist es doch, diese unbekannten Freigeister kennen zu lernen, wie beflügelnd sind ihre Geschichten und ihre Energie, die sie versprühen. Anziehend und wunderbar ist ihre Unvernunft, mit der sie ihre Wege gehen. Die Freude, die in diesen Begegnungen liegt, wirkt lange nach und bald schon merkt man, wie viel einfacher man das Leben doch leben kann, wenn man nur die Worte Moitessier ernst nimmt: „ Und die übrigen Probleme, die mich mitunter quälten – sie wiegen nicht ein Gramm angesichts der unendlichen Ferne..“.

Wenn man ihre Geschichten weiter verfolgt, merkt man doch schnell, wie voreingenommen und dumm es doch ist, ihnen keine schöne Zukunft voraus zu ahnen. Zu vermuten, dass sie alle samt bald von große finanzielle Probleme geplagt werden und ihre Zukunft als Penner der Meere erleben. Denn alle Getroffenen haben ihren Weg geschafft und leben auch Jahre nach dieser Begegnung noch ein herrliches und selbstbestimmtes Leben.

Und so kann ich sagen: Sie sind es, meine wahren Helden der Meere! Sie, die keine Weltrekorde, keine Ersten oder Jüngsten in irgendeiner Disziplin sind, sie, die nicht voll ausgestattet und gut durchkalkuliert den Ausstieg auf Zeit verwirklichen. Sie, die einfach ihr Leben packen, ihre Seele empor schwingen lassen und ihre Träume leben. Ohne Wenn und Aber, ohne hätt´ ich doch und könnt´ ich nicht! Sie, die vielleicht von bösen Zungen als abgebrannte Träumer erklärt werden, doch in Wahrheit die wirkliche „letzte große Freiheit“ erleben: die Freiheit, ihr Dasein selbst zu gestallten!

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