Mut zum freien Leben

Nach all den Jahren Fahrtensegeln und einigen ungewöhnlichen und schwierigen Gewässern in unserem Kielwasser, stelle ich manchmal mit Erstaunen fest, welchen Eindruck wir heute auf den einen oder anderen Segler, den einen oder anderen Menschen, den wir begegnen, oder den einen oder anderen Leser dieser Homepage hinterlassen. Den Eindruck, waghalsige Abenteurer zu sein, die schon immer vor Mut gestrotzt habe und keine Gefahr kennen.

„Ich bin ja nicht so mutig wie ihr, aber…“ ist ein Satz, den ich mittlerweile wiederholt gehört habe und der mich immer wieder ins nachdenken bringt. Nachdenken, wie es denn dazu gekommen ist, dass ich plötzlich als mutig gelte, dass ich zur abenteuerlustigen Seglerin geworden bin und dass mir mehr zugetraut wird, als sich manche Menschen selber zutrauen. Nie zuvor habe ich mich selbst als mutig empfunden, nie habe ich meinen Lebensweg als halsbrecherisch gesehen und bis heute bin ich überzeugt, dass ich genau so normale Grenzen und Ängste habe wie andere Menschen auch. Dennoch kann ich nicht bestreiten, dass ich Lust dazu habe, mich in neue Abenteuer zu stürzen, mich wiederholt selbst heraus zu fordern und mir in vielen Dingen selber mehr zutraue als so manche Bürger einer westlichen Zivilisationsgesellschaft das so macht.

So frage ich mich manchmal, wo liegt wirklich der Unterschied, welche Fähigkeiten habe ich, die für unsere Reisen so bedeutend sind und was hat mich so mutig gemacht, ohne dass ich mich selbst als besonders mutigen Menschen betrachte. Weshalb plagen mich die kleinen Sorgen, die jeder so hat, weniger stark, weshalb kann ich Ängste ignorieren und fühle eine Vorfreude in mir, wenn ich mich selbst herausfordere? Und vor allem, wie ist es dazu gekommen, dass ich mir selbst so viel zutraue? Ist es wirklich nur eine Überdosis Mut, mit der ich ausgestattet wurde, oder gibt es da noch eine andere Erklärung, weshalb ich mein Leben auch in den rauen Gewässern und den unwirtlichen Ecken dieser Erde erleben kann?

Und desto mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass ich nicht überdurchschnittlich mutig bin, dass einige andere Fähigkeiten und Begebenheiten nachhelfen, weshalb ich Spaß daran habe, durch die Arktis zu streichen, oder es wage, auf einem Meer zu segeln, das seit jeher berüchtigt und gefürchtet ist. Und diese Fähigkeiten sind eine Unerschrockenheit gegenüber Neuem, der Wille, durchbeissen zu können, die Lust am Lernen, die Selbstsicherheit, mich in schwierigen Situationen auf mein Gefühl verlassen zu können und meine grundlegend positive Einstellung.

Kaledonienkanal

Eine Eigenschaft, über die ich froh bin sie zu verfügen, ist die Unerschrockenheit, mit der ich mich nicht durch übertriebene Erzählungen anderer davor abschrecken lasse, etwas selbst zu versuchen. Zum Glück, denn meine ersten Segelversuche während einer Schulsport-Woche an einem österreichischen See hätten mir für immer die Lust am Segeln nehmen können. Schon dazumal habe ich begriffen, dass so mancher Segler selbst unsicher in seinem Können ist und Angst davor hat, sich blos zu stellen. Und obwohl ich dem Segellehrer ohne weiteres seine übertriebenen Erzählungen von möglichen Kenterungen, schweren Hafenmanövern und gefährlichen Überbordgehen glaubte, konnte ich nicht abgeschreckt werden.

Jahre später, als Jürgen und ich das Segeln als Lebens- und Reiseform für uns entdeckten, dachte ich zwar noch hin und wieder an die Übertreibungen meines ersten Segellehrers, doch konnte ich maximal darüber lachen. Wir brachen auf, segelten in den Süden und genossen in vollen Zügen, langsam nötiges zu lernen. Natürlich bin ich heute überzeugt, dass es mir gut getan hat, langsam in ein Revier vorgedrungen zu sein, das eigentlich als sehr einfach und genussvoll beschrieben werden kann. Doch auch unsere ersten Erfahrungen mit Schlechtwetter, unsere ersten Grundberührungen oder unsere ersten Probleme mit dem Boot konnten mich nicht abschrecken.

Mit den zurückgelegten Seemeilen und den gesammelten Erfahrungen kamen neue Träume und die Gedanken flogen weiter. Bis heute bin ich froh, niemals den (für mich) Fehler gemacht zu haben, zu viel auf einmal zu planen und uns selbst so in konstante Stressbelastung gebracht zu haben. Damit konnten wir uns praktisch nicht selbst überschätzen und uns das Leben unter Segel so selber sauer machen.

Desto länger man aus dem herkömmlichen Leben der ersten Welt entfernt lebt, desto mehr verliert und vergisst man auch die „Verweichlichung“, die man im Welt des Luxus automatisch erfährt. Ich begann, Anstrengungen als normal zu empfinden, Dinge anders zu sehen. Manche Freunde von mir schaudern heute noch, wenn ich davon erzähle, dass ich mir meinen gebrochenen Fuß selbst eingerichtet habe und Jürgen mir einen Gibsverband baute. Doch für mich schien das dazumal weder besonders hart noch mutig, sondern einfach als das logische Verhalten in einer dummen Situation. Nicht mehr, nicht weniger.

Dann kam der Tag, an dem wir in richtige Schwierigkeiten gerieten. Unser großer Sturm, in dem wir schließlich auch unser wassernehmendes Boot aufgeben mussten und von der Küstenwache mit einem Hubschrauber gerettet wurden. Bis heute werde ich hin und wieder gefragt, ob ich nicht unglaubliche Ängste ausgestanden habe. Doch war dafür weder Zeit noch Anlass. Meine einzige Angst lag in der Möglichkeit, Jürgen auf schreckliche Weise zu verlieren. Doch sobald er im Hubschrauber saß und ich den Funkspruch bekam, dass nun meine Rettung ansteht und ich in den tobenden Nordatlantik springen sollte, gab es für mich keinen Anlass zur Sorge. In meiner Gedankenwelt war die Möglichkeit, diese Nacht zu sterben, einfach nicht vorhanden. Und wenn doch, hätte ich keinen Grund gefunden, weshalb ich davor Angst haben sollte.

Dann kam unsere Zeit zurück im bürgerlichen Leben. Eine Zeit, die anfänglich sehr anstrengend für mich wurde. Denn ich versuchte, nicht mehr auf mein Gefühl zu achten und viel mehr zumindest vorübergehend in die Gesellschaft zu passen. Doch ich war schon viel zu viele Schritte in eine andere Richtung gegangen, ich fand den Weg nicht zurück, konnte Denkensmuster nicht verstehen, die weiche Watte aus Langeweile und Ignoranz um mich nicht ertragen. Wenn ich morgens mit dem Auto in die Arbeit pendelte, wunderte ich mich, dass niemand in den Dosen um mich die Schönheit des Sonnenaufgang zu sehen schien.

Sonnenuntergang am Fluss

Es kam der Tag, an dem ich bemerkte, dass ich im Sturm mehr Lebenslust verspürte als in meiner momentanen Situation. Plötzlich wusste ich, dass es nicht viel Mut von mir braucht, wieder aufzubrechen, sondern dass es eine große Portion Selbstaufgabe braucht, wenn ich versuche, mein Leben in geregelten Bahnen zu bestreiten. Ich lernte, dass eine meiner grundlegenden Fähigkeiten darin bestand, Spaß zu verspüren, sobald ich mich selbst herausfordere. Es gibt Menschen, die Angst haben, aus ihrer Routine gerissen zu werden, neues erleben zu müssen. Ich allerdings hatte plötzlich Angst, vor keiner neuen Herausforderung zu stehen und in Routine zu versinken. Vor dem Versagen, die neue Herausforderung nicht stand zu halten, hatte ich allerdings noch nie Angst.

Und so schaffte ich es, mein bürgerliches Leben in Österreich nach meiner Persönlichkeit einzurichten und nicht umgekehrt.

Dann kam der neue Aufbruch. Nervosität weckte die Lebensgeister und die Reiseroute wuchs mit der Erfahrung. Als wir in Österreich aufbrachen, schien der Norden von Norwegen noch eine richtig große Herausforderung. Doch wieder wuchsen wir beide mit unseren Erfahrungen und nach einem Winter in dem Hohen Norden kamen schwerere Reiserouten dazu. Die Entscheidung, über den Nordatlantik zu segeln, Grönland zu bereisen und dort einen Winter zu verbringen kamen nach und nach und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht hin und wieder Bauchweh bei der Entscheidung hatte, vor einem Sturmtief auszulaufen. Doch bin ich mit jeder Seemeile, mit jeder Erfahrung weiter gewachsen, habe neues gelernt und meinen Willen, durch zu beissen gestärkt. Und wurde dafür mit unglaublichen Eindrücken belohnt.

Gegenseitig trieben sich Jürgen und ich immer weiter, bremsten, wenn sich einer von uns nicht recht wohl mit der getroffenen Entscheidung oder Route fühlte oder trieben, wenn mehr zu erreichen war. Nun liegt auch die Nordwest Passage in unserem Kielwasser und hat uns gezeigt, wie viel wir erreichen können, wenn wir den Aufbruch wagen. Der weite Pazifik voller neuer Abenteuer liegt vor uns und wir wissen, dass wir uns auch über etwas waghalsigere Pläne und Routen stürzen können, wenn wir wollen.

Und so bin ich heute überzeugt, dass ich nicht grundlegend mutiger oder belastbarer bin wie viele andere Menschen auch. Der einzige Unterschied zwischen mir und Menschen, die behaupten nicht so mutig zu sein wie wir, liegt nur darin, dass ich den Mut zum ersten Schritt hatte: Den Mut zum freien Leben. Alles weitere kommt von selbst!

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2 Kommentare

  1. Moin Claudia und Jürgen !
    …den Mut zum freien Leben…

    ja, manchmal fehlt nicht viel
    Danke für den Vortrag gestern ! es hilft !

    wenn es die Gelegenheit gibt sie zu erleben geht`s hin ! Klasse !

    Ahoi !

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