Noch zeigen die Wetterprognosen 30 bis 35 Knoten aus West vor Kap Horn, ein kleines, lokales Tief, das relativ schnell durchziehen sollte. Selbstverständlich mit ruppiger, steiler See, schlechter Sicht und eisiger Luft.
Kein Problem für eine Yacht wie SANTA MARIA AUSTRALIS. Aber doch ein etwas harter Einstieg in die Drake Passage für alle an Bord. Doch wir müssen unsere Optionen sorgfältig abwiegen. Segeln wir heute noch in diesem Wetter los, werden wir voraussichtlich bei abnehmenden Winden die gefährliche Passage meistern können. Und wir werden bei schönem Wetter und ruhiger See in der Antarktis ankommen. Wenn wir jedoch abwarten, bis das Tief bei Kap Horn durchgezogen ist, riskieren wir, den nächsten anziehenden Sturm im südlichen Teil der Drake Passage abzukriegen.
Ein Sturm, der zumindest auf den Wetterkarten alles andere als harmlos aussieht. Dann hätten wir nicht nur mit rauer See und kaltem Wind zu kämpfen, sondern auch mit schwer zu sichtendem Eis. Denn dieser Sturm würde uns erst im antarktischen Ozean und dem Treibeisfeld der Antarktis erreichen.
Damit steht der Beschluss schnell fest: Lieber ein „Stürmchen“ bei Kap Horn, als ein richtiger Sturm im antarktischen Ozean!
Wir werden noch heute Nachmittag ablegen zur Königsklasse des Fahrtensegelns. Wir segeln über die Drake Passage bis in die Antarktis.
Vorbei an Kap Horn, durch die „Furiosen Fünfziger“ bis in die „Schreienden Sechziger“. Wir werden noch heute aufbrechen, um unser gemeinsames Abenteuer mit Wolf und unseren Expeditionsteilnehmern zu beginnen.
Schnell ist das Mittagessen gekocht. Ich koche Cremesuppe aus frischem Gemüse. Frei nach dem Motto: „Easy in – easy out!“ Noch denken unsere Mitsegler, dass ich scherze. Mir aber scheint, dass einige an Bord nicht ganz wissen, worauf sie sich eigentlich eingelassen haben.
Noch vermutet der eine oder andere, dass die letzte Nacht vor Anker in der Bucht von Lenox Insel herausfordernd war. Noch wissen sie nicht, dass schwere Böen, die das Boot in Schräglage drücken und hart am Grundgeschirr einrucken lassen, Frühlingsalltag in einer Ankerbucht bei Kap Horn ist. Macht aber nichts, wir wollen ohnehin nicht länger in Patagonien verweilen und bald schon wird allen klar sein, was „Segeln über die Drake Passage“ heißt.
Das Lichten des Ankers wird langwieriger als erwartet.
Wir haben einen verlorenen Stockanker der Fischer aufgenommen und haben eine liebe Mühe, unseren Anker frei zu bekommen. Nur durch die starke Ankerwinde und akrobatische Übungen von Wolf am Bug schaffen wir es eventuell, uns selbst zu befreien. Dann binden wir zwei Reff ins Großsegel und setzten die Fock.
SANTA MARIA AUSTRALIS nimmt Fahrt auf. Kurs Süd. Mir tanzen vor Freude die Schmetterlinge im Bauch.
Dann haben wir den letzten Schutz durch Land hinter uns gelassen. Steile Graubärte rollen auf uns zu, glänzen metallisch unter kaltem, grauen Himmel. Drei Schwestern werfen die große Yacht wie Spielzeug umher. Der Wind ist schneidend kalt, immer wieder ziehen Schneeschauer durch. Kappsturmvögel spielen über der Gischt.
Die Drake Passage in all ihrer bestechenden Schönheit. Unbändig, wild und frei. Großartig und fordernd.
Nicht jedem an Bord fällt diese Schönheit auf. Das Zuckerlecken ist vorbei! Die Belastung verlangt ihren Zoll von der Crew. In der Kajüte ist es ruhig geworden, fast jeder hat sich mit grüner Nase und einem Pütz fest im Arm in die Koje verkrochen. Nur Christoph mit dem eisernen Magen bleibt entspannt.
Wir Segelcrew an Bord wechseln uns bei der Wache ab. Doch auch alle, die bisher nicht gesegelt sind, kommen pflichtbewusst den Niedergang hoch, wenn ihre Teilnahme an der Wache eingeteilt ist. Ich ziehe meinen Hut vor ihnen. Kann ich mir doch vorstellen, wie schwer es fallen muss, aus der Koje zu kriechen – ohne warmen Expeditionsklamotten, übel vor Seekrankheit und sicherlich auch verängstigt von der puren Gewalt des Südmeers.
Wie versprochen lässt das Stürmchen irgendwann am Nachmittag des zweiten Tages nach. Irgendwann höre ich Jürgen nachts die Fock zu bergen und den Yankee ausrollen. Bemerke im Dämmerschlaf, dass ein Reff aus dem Großsegel geschüttelt wird und der Besan ausgerollt wird. Dass die Bewegungen moderater werden und das Gefühl von Erleichterung durchs Schiff zieht.
Mittlerweile wird es auch in meiner Wache zwischen 0 und 3 Uhr morgens nicht mehr völlig dunkel.
Schade nur, dass das fahle Dämmerlicht das nächtliche Spektakel des aufgehenden Vollmondes etwas an Kraft nimmt.
Wie dunkle Schatten ziehen immer wieder Albatrosse an uns vorüber. Die Nacht ist hell genug, um Graukopf-Albatrosse zu beobachten. Auch der beeindruckende Wanderalbatross gleitet mühelos an uns vorüber. Im anmutigen Segelflug, ohne auch nur einen Flügel zu schlagen.
Nicht nur Albatrosse begleiten uns. Winzige Sturmvögel wirken beinahe verloren auf dieser gnadenlosen, sich in allen Himmelsrichtungen streckenden, erbarmungslosen Wasserwelt. Unvorstellbar, wie diese kleinen Gesellen auf diesem stürmischen Nichts überleben können.
Aber welchen Unterschied macht Größe schon? Was spielt es bei diesem endlosen Südmeer schon für eine Rolle, ob die Flügelspanne dreieinhalb Meter oder eben nur achtzig Zentimeter beträgt? Und sind es nicht die Kleinen unter den Meeresvögeln, die wirklich unfassbare Leistungen vollbringen?
Auch die extremsten unter den Seevögeln werden wir hier noch treffen: Die arktischen Seeschwalben! Sie sind es, die in der Arktis brüten, um dann die längste Migration der Welt zu starten. Die durch alle Klimazonen der Welt kreuzen und alle auch noch so wüsten Seereviere passieren. Nach dem Brüten in der Arktis fliegen sie den ganzen Weg bis in die Antarktis!
Dann stirbt der Wind. Beständig hält unsere Yacht Kurs Süd, die beiden Dieselmotoren brummen vor sich hin.
Plötzlich ertönt Jürgens Ruf von draußen: EISBERG!
– Waaasss? Jetzt schon????
Tatsächlich: Erhaben treibt unser erster gesichteter Eisberg auf 59°19 Süd an uns vorüber – und macht uns klar: Ab sofort müssen wir extrem wachsam bleiben, eine Kollision mit Eis auf See wäre für jede auch noch so stark gebaute Yacht ein Desaster!
Bald wird das Eis mehr, bald berichtet jede Wache von Eissichtungen. Am vierten Morgen kann ich auf meiner Wache das Wasser keine Minute mehr aus den Augen lassen. Manchmal ist es so viel, dass ich am Bug stehe und meiner Wachpartnerin per Handzeichen die sichere Durchfahrt durch ein Meer voller Grawler und Eisberge anzeige. Und doch ist diese letzte Wache auf See, diese Hundewache um drei Uhr morgens, das Schönste, was mir passieren konnte:
Denn während die aufgehende Sonne ihr rotes Feuer über den Himmel mahlt, kann ich meinen Augen fast nicht trauen. Meine Muskeln entspannen, die Kälte habe ich längst vergessen. Ich öffne den Niedergang und jauchze ins Boot: LAND IN SICHT! ANTARKTIS VORAUS!
Erneut haben wir die Hölle überquert und sind unversehrt in einer magischen Welt angekommen. Die magische Anziehungskraft des schwer Erreichbaren! Zwischen Eisberge laufen wir Deseption Insel an!
Großartig! Wir schwitzen in Langkawi, da erscheinen die Eisberge manchmal sehr verlockend. Das Foto vom Sonnenaufgang ist preisverdächtig.
Das Layout Eurer Homepage ist übrigens wirklich gut gelungen.
Habt Ihr Starlink, weil das Internet so gut funktioniert?
toller Bericht!!! schöne Festtage wünsche ich euch.
LG aus Gresten, Walter
Erhaben treibt unser erster gesichteter Eisberg auf 65°11 Süd an uns vorüber
Ist das möglich?
Hallo Otto, ja, hatten heuer bei der ersten Fahrt ziemlich viel Eis in der Drake Passage… Schöne Grüße, Claudia
Das Eis glaub ich dir sofort. Aber bei 65 Grad. Und da seid ihr noch nicht mal bei der Déception Island. Hast Du dich da nicht vertan?
Hallo Otto, du hast recht, ich hab einen Fehler gemacht. Es war 65°W, und das spannende war, dass der Eisberg auf 59°19S war! Sorry für den Fehler!
Ja, bin dann selber drauf gekommen – entschuldige. Dummerweise sind beide Koordinaten möglich. Weiterhin gute Fahrt.