Mitte April 2024 – Kilometer 0. Wir sind am Main, haben den kraftvollen Rhein hinter uns gelassen. Gemächlich schiebt uns der Steuerbordmotor gegen den Strom. Bei 6 km/h Fahrt haben wir sozusagen alle Zeit der Welt, jeden einzelnen Baum am Ufer zu bewundern.
Wir haben keine Eile, werden so oder so bald schon zum Stillstand gezwungen.
Bereits 3km weiter erreichen wir die erste von 57 Schleusen, die uns bis zur europäischen Wasserscheide hochheben und wieder bis ins Donaubecken nach unten befördern werden.
Lange warten müssen wir in Kostheim nicht, dürfen gleich hinter zwei Frachter einfahren und werden zu Berg geschleust. Es sind die letzten Frachter, die wir die nächste Zeit am Main fahren sehen. Noch ist eine weite Strecke am Main und der gesamte Main-Donau-Kanal wegen Wartungsarbeiten gesperrt. Noch tummeln sich die Berufsschiffe auf anderen Flüssen.
Immer wieder versteckt grünes Buschwerk das Land hinterm Ufer, erfüllt uns mit der Illusion, mitten in unberührter Natur zu sein. In Wahrheit jedoch dampfen wir über den regulierten Fluss durch geschäftige Vororte von Frankfurt, erreichen schließlich einen der größten Industrieparks Deutschlands. Doch auch der Hafen von Höchst liegt ruhig.
Nach der letzten Brücke von Hafengebiet entdecken wir eine Spundwand, an der eine abgetakelte Segelyacht liegt. Der Platz ist nicht schlecht, am Beginn eines kleinen Stadtparks am Rande von Frankfurt. Wozu also den Yachthafen ein Stück weiter anlaufen?
Wir machen fest.
Die Warnung von Segler Norbert, dass ein Festmachen an Absperrungen oder Geländer in Deutschland illegal sei, schießen wir in den Wind. Immerhin gibt´s hier weder Poller noch Ringe an der Spundwand, und die Leinen quer über den Radweg zu den kleinen Bäumen zu spannen scheint ja auch etwas übertrieben. Dem massiven Geländer können wir mit unseren paar Tonnen schon nichts anhaben, das wird wohl auch die deutsche Polizei so sehen.
Denken wir. Und vergessen dabei ganz die deutsche Gründlichkeit!
Aber zunächst mal haben wir andere Sorgen. Es ist saukalt geworden und obwohl wir eine neuwertige 9KW Gebläseheizung an Bord haben, bleibt es kalt.
Denn wir haben keinen Strom!
Die neue Lichtmaschine am Steuerbordmotor hat ihren Dienst gekündigt. Und mit 150 PS und der verbleibenden 35A Backbord-Lichtmaschine die Batterien zu füllen ist vergebliche Liebesmühe und tut in der Seele weh!
Sicherlich kann der Bosch-Dienst von Höchst helfen, wir packen unsere kaputte Lichtmaschine in den Rucksack und marschieren durchs Industriegebiet. Doch der Bosch-Dienst pfeift uns eins, will weder uns noch unsere Lichtmaschine sehen. Nach dem Motto: Ohne Auto kein Service. Und Boote interessieren ihn schon überhaupt nicht. Aufspannen und überprüfen, oder uns eine neue Lichtmaschine verkaufen, sicher nicht!
Na, dann bringen wir unser Geld eben nicht dem heimischen Fachfirmen, sondern verpulvern´s im Internethandel. Ist eh billiger und schneller. Sorry, aber wir haben es versucht!
Segler Norbert unterstützt uns mit seiner Adresse und wir leben uns in Höchst ein.
Zu tun haben wir nicht viel. Endlich kommt die Sonne raus und wir wärmen unsere kalten Knochen in den Campingstühlen auf Deck. Lassen die Seelen baumeln, mit einem Bier in der Hand.
Dabei wecken wir ein bisschen die Neugierde der Spaziergeher. Woher? Wohin? Was kostest so ein Boot? Hat man da denn Platz zu drauf leben? Lässt sich damit Reisen?
Nach kurzen Gesprächen verabschieden sich die Leute immer mit denselben Wahrnungen:
Passt auf. Abends treiben sich Drogenhändler und stehlende Jugendliche hier herum. Das ist keine gute Gegend.
Woher die Frankfurter ihre negative Meinung von der Jugend haben, bleibt uns allerdings ein Rätzel. Wir erleben das Gegenteil: Werden höflich und nett von der ansässigen multikulti Jugend vor ihrem beliebten Treffpunkt empfangen.
Klar, der Parkplatz unter der Brücke ist ein idealer Treffpunkt für Kids mit ihren ersten Autos und Motorrädern. Junge Lebensfreude und ein bisschen fast&furios gehört dazu und ist lustig zu beobachten.
Ist doch gut so, wenn die Jugend Pulver hat! Und Lebensfreude beißt sich ja nicht mit guter Erziehung: Wir werden manierlich von den Jungsters gefragt, ob es für uns ok sei, dass sie heute Abend Party am Parkplatz feiern! Hey, das ist eure Stadt, wir sind nur Gäste. Natürlich haben wir nichts gegen eure Parties!
Klar, hier und dort wird auch geraucht und wir riechen nicht nur Shisha-Tabak und Nikotin. Höflich und in Sie-Form (echt jetzt, sind wir wirklich schon so alt?) werden wir über unsere Meinung zur Legalisierung in Deutschland gefragt. Legalisierung, welche Legalisierung? Zuerst stehen wir auf der Leiter, wissen nicht, worum es geht. Nach der Aufklärung spiegelt unsere Antwort wohl doch unser Alter: Haben wir nicht mitbekommen und ist uns in Wahrheit auch völlig schnuppe.
Klar, vom gut besuchten Skaterpark nebenan dröhnt bis in die Abendstunden laute Musik. Aber darüber freuen wir uns, haben wir selbst doch zu wenig Strom für Musik. Dafür freuen sich die Skater und BMX-ler, dass ich brav nachfrage, ob ich von ihnen und ihren Graffiti ein paar Fotos machen darf.
Am 2. Tag beehrt uns die Schifffahrts-Polizei mit einem Besuch.
Beim netten Gespräch stellt sich heraus, dass die beiden Beamten uns von der öffentlichen Spundwand nicht vertreiben können. Aber es stellt sich auch heraus, dass wir nicht an Geländer festmachen dürfen. Auch nicht an Leitern, an Bäumen oder an Steinen.
Diese Regeln seien eigentlich für die großen Berufsschiffe gemacht worden, aber unsinnigerweise sind im Gesetzestext keine Ausnahmen für die Kleinen formuliert.
‚Ihr könnt zwar hier nichts kaputt machen, aber Gesetz ist eben Gesetz.‘ So die Meinung der freundlichen Polizisten.
OK. Aber wenn wir nicht am Geländer hängen, dürfen wir hierbleiben?
‚Da sehe ich kein Problem, außer, hier gibt´s ja nichts zum festmachen. Die Bäume dürft ihr nicht nützen.‘ So der Freund und Helfer.
Die eiserne Spundwand hat Löcher, wir holen ein paar Ringschrauben aus dem Boot und montieren unsere eigenen Festmacher. Der Polizist lacht: Am besten wäre es, wir legen uns ein paar Erdanker zu, dagegen gibt´s nämlich kein Gesetz. Und damit können wir störrischen Österreicher praktisch überall in Deutschland festmachen!
Die Erdanker stehen schon auf unserer Einkaufsliste. Nun lachen wir alle vier.
Aber da wäre noch eine Kleinigkeit. Immerhin lagen wir am Gelände verholt, als die Polizei gekommen war.
‚Ist es ok für euch, wenn ich euch 35 Euro Strafe dafür verhänge?‘
Nun schauen wir dumm aus der Wäsche. Noch nie sind wir gefragt worden, ob wir eine Strafe haben möchten! Was ist das überhaupt für eine Frage?
‚Ja, ist das jetzt Verhandlungsbasis, wie wäre es dann mit 5 Euro?‘ Meint Jürgen. Aber nein, fünf Euro Strafe gibt´s „nur“ auf freihändiges Fahrradfahren, werden wir aufgeklärt.
Ganz ernst war die Frage wohl nicht gemeint und am Schluss verlassen uns die beiden Polizisten mit unseren 35 Euro in der Tasche. Wir allerdings haben hier nun sozusagen unsere Hafengebühren bezahlt und können in aller Ruhe und ohne weitere Unterbrechungen auf unsere neuen Lichtmaschinen warten.
Hallo Ihr momentanen Binnenschiffer,
Danke fuers Update. Ich wuensche Euch eine gute Reise rueber zur Donau und ab dann runter. Jetzt seid Ihr gar nicht so weit von meiner alten Heimat entfernt. LG Nehaj-Susanne
Hallo Susanne, wie schön von dir zu hören! Schöne Grüße nach Horta, oder raus in den weiten Ozean, wo auch immer du dich gerade mit deiner NEHAJ herumtreibst!