Die Wahl fällt nicht schwer. Wir tummeln uns, Österhamn zu erreichen. Auch wenn das heißt, dass wir Mr. Perkins für einen Teil der Fahrt einspannen müssen. Aber Eile ist angebracht, das Sturmtief Hans rückt stündlich näher.
16° Höchsttemperatur, 0.5mm Niederschlag, Wind 9 Beaufort aus Süd, schwere Gewitter möglich. So die Vorankündigung für Sturmtief Hans.
Zwei Yachten liegen vor Anker, ein paar Yachten haben sich mit Einsatz des Heckankers an den Gästesteg verholt. Wir laufen in die Mitte der Bucht und lassen unser Grundgeschirr ausrauschen.
Wenige Stunden später ziehen schwere Gewitter durch. Es rauscht in den Wäldern an den Ufern. Von draußen ist das Rauschen von Sturm und Meer zu hören. LA BELLE EPOQUE zieht an ihrer Kette, wiegt sich in einzelnen Windböen.
Wir liegen sicher, bestaunen das Spektakel. Im Sekundentakt leuchten die Wolken über uns. Blitze fahren zwischen ihnen, erreichen hin und wieder irgendwo einen unglücklichen Fleck Erde. Unsere Ankerflotte bleibt verschont. Die Insel nicht.
Anstelle von Schäfchen zähle ich die Sekunden zwischen Lichtblitze und Donner. Wenn überhaupt welche dazwischen liegen. Schlafen funktioniert diese Nacht nur zwischendurch.
Frühstück bei absoluter Ruhe. Kein Windhauch erreicht uns. Die Sonne blinzelt zwischen Wolken hervor, der Morgen duftet frisch gewaschen, das Rauschen des Meeres bleibt in weiter Ferne.
Den Kaffee trinken wir neben dem Laptop. Betrachten die Wettervorhersagen und besprechen uns. „Hans“ hat uns noch gar nicht erreicht. Letzte Nacht war nur Vorspiel. Der Sturm selbst arbeitet sich langsam die Ostsee hoch. Wir liegen in seiner Zugbahn. Und beschließen, zu bleiben.
Österhamn ist umgeben von bewaldeten, flachen Schäreninseln. Dazwischen zwei schmale Ausfahrten,versperrt von weiteren kleinen Inseln und Felsschären. Nichts gibt einem Schiff besseren Schutz als Wald und flaches Land. Die Bäume fangen den Wind, desto dichter wir an ihnen liegen, desto besser. Das flache Land erzeugt keine Fallwinde, keine Verstärkungen. Die vorgelagerten Inseln sperren den Seegang aus. Natürlich bleiben wir!
Aber wenn die Vornacht des Sturmes schon schwere Gewitter bringt, dann bleiben wir misstrauisch.
Wir wollen maximalen Schutz und nicht einfach nur vor Anker liegen. Wollen nicht warten, was da kommen wird.
Mittlerweile ist der Kaffee kalt, aber der Plan steht. Wir starten den Motor, ziehen den Anker hoch. Manövrieren dicht unter Land, der vorhergesagten Windrichtung entgegen.
Mit den neuen Headsets stehen wir in Verbindung, doch es bedarf kaum Worte. Das „Patagonische Ankermanöver“, das folgt, sitzt immer noch.
Ich drehe das Heck in Richtung Land. Der Anker fällt, langsam gebe ich rückwärts. Nach und nach rauscht die Kette aus. Ich stelle auf Neutral, Jürgen legt den Kettenstopper ein. Ich den Rückwärtsgang. Dann kommt Spannung auf die Kette, der Anker ruckt ein, LA BELLE EPOQUE stoppt knapp unter Land. Ich erhöhe den Druck, gebe mehr und mehr Gas. Der Anker hält.
Ich bleibe auf niedriger Dehzahl rückwärts, Jürgen spring ins Beiboot. Rudert mit dem Ende der Landleine zum Felsbuckel siebzig Meter hinter uns. Ich sehe an der Leinentrommel am Heck und achte darauf, dass sich die Landleine nach und nach ausrollt.
Irgendwann wurde ein stabiler Stahlring in den Felsbuckel einbetoniert. Von Fischern, Frachtseglern oder für Yachtcrews, wer weiß das schon so genau. Nun hält der Ring unserer Landleine.
Ich stelle den Motor ab. Wir sind bereit. Jetzt kann der Sturm kommen.
Die folgenden zwei Tage wird sich herausstellen, dass wir eine gute Wahl getroffen haben. Im Schutz der Bäume wird uns der Sturm nie erreichen. Während Hans das Meer aufpeitscht und Küstendörfer in ganz Skandinavien malträtiert, Bäche über seine Ufer zwingt und Straßen vermurt, Häuser abdeckt und Bäume entwurzelt, verbringen wir zwei entspannte Tage vor „Patagonischen Anker“.