Fahrtensegeln

Diffus, konturlos, undurchsichtig, nebelartig. Dann wieder hoch auftürmend, blendend weiß, phantastisch geformt. Zwischendurch bedrohliche dunkle Walzen. 

Im schwedischen Spätsommer ist der Himmel nur selten wolkenlos, tiefblau. Lediglich zwischendurch kann die Sonne mit voller Kraft das Deck aufwärmen, die Felsbuckeln ums Schiff zum Leuchten bringen.

Fast perfektes Sommerwetter. Zumindest für uns, die wir weder Sonnenstich noch endlose Badestunden suchen. Wir, die lieber in langen Hosen und T-Shirts durch die Wälder streifen und Pilze suchen als an Deck in der prallen Sonne braten. Selbst Regenschauer und erster Herbstnebel können uns nicht weiter stören.

Fast perfekt, wäre da nicht der anhaltende Südwind. Ein konstanter Gegenwind, der uns immer wieder zum Warten zwingt. Immerhin wollen wir nicht die ganze Strecke in den Süden als Motorsegler bestreiten. Und so warten wir, während die Spinnenweben an Deck wachsen.

Warten auf Segelwetter
Warten auf Segelwetter!

Zwischendurch heben wir den Anker aus dem Schlamm, ziehen die Segel hoch – und starten doch irgendwann wieder den Motor. Oder verziehen uns in die nächste Bucht, um den Südwind zu entkommen.

Passt der Wind, gibt es kaum was schöneres als Schärensegeln. 

Tausende Insel sperren den Seegang aus. Enge Fahrwasser werden zu breiten Sunden. Offene Wasserflächen erinnern eher an Seen, als ans Meer. Die Ostsee glitzert unter uns, und scheint doch erst außerhalb der Schären zu beginnen.

Boote und Schiffe in jeder Art und Größe kreuzen unseren Kurs. Von segelnden Kanus bis zu einlaufenden Kreuzfahrtschiffen, von Seilfähren bis zu Speedbooten, von Ruderbooten bis zu stolzen Traditionsseglern.

Wasserflugzeug
Sogar Flugzeuge kreuzen unseren Kurs!

Die Auswahl an Nachtplätzen könnte nicht größer sein: Millionen an Buchten laden zum Verweilen. 

Worauf haben wir heute Lust? Einsamer Ankerplatz beim Naturschutzgebiet, oder doch lieber Stadthafen mit geschäftiger Promenade? Insel mit Steg und Sauna, oder Liegen am warmen Felsen in einer einsamen Bucht? Ankern im „Ententeich“ vorm herrschaftlichen Schloss, oder Besuch im kleinen Fischerdorf auf den Schären? Außenschären oder tief ins Land schneidender Fjord?

Ankerplatz vorm Schloss
Ankerplatz vorm Schloss

Langsam fühlen wir uns wieder wie Fahrtensegler. Zeitlos, grenzenlos, frei. 

Ohne großen Plan und dennoch stetig vorwärtstreibend. Zufrieden im Jetzt und trotzdem ständig neugierig auf Veränderung.

Die Gespräche an Bord drehen sich immer intensiver um unseren Lebensweg. Auch das trägt dazu bei, dass wir wieder zurück ins Fahrtenseglerleben finden.

Fahrtenseglen
Ruhige Ankerplätze geben uns Zeit, über unseren Lebensweg nachzudenken.

Seit wir von unserer zehnjährigen Langfahrt zurückgekommen sind, haben wir versucht, an Land erneut Fuß zu fassen. In der Absicht, ein Zuhause an Land zu haben, ohne dabei auf unser Leben als Reisende verzichten zu müssen.

Ein Leben zwischen Stabilität an Land und Abenteuer auf See. Ein Doppelleben, für das wir gewillt sind, mehr zu leisten. Denn Landleben zusätzlich zu Seereisen heißt, höhere Ausgaben tragen zu können. So haben wir die letzten Jahre damit verbracht, dieses Doppelleben aufzubauen, haben unsere Mietwohnungen erneut verbessert und massiv in unser Haus investiert. Und ins Boot.

Wir haben Rückschläge mit ehemaligen Mietern eingesteckt und überwunden. Und zusätzliche Einkommensquellen aufgebaut. 

Und wir haben versucht, uns in das Leben an Land erneut einzugliedern. Zum Teil hat das auch ganz gut geklappt. Wir haben neue Freunde gewonnen und mehr Zeit mit der Familie verbracht. Und manchmal haben wir es sogar geschafft, uns freizuschaufeln und ein paar Tage in den Bergen zu verbringen.

Doch im Grunde lügen wir uns auch an. Je mehr wir das Landleben versucht haben, desto mehr ist auch schiefgelaufen. Dabei sind alte Freundschaften zerbrochen und Erwartungen zerschmettert worden. 

Und so ist uns klar geworden, dass wir noch einmal unsere Lebenspläne umkrempeln müssen. Das unser Versuch, ein fixes Leben an Land aufzubauen, gescheitert ist. Uns ist klar geworden, dass wir einiges loslassen müssen. Dass wir zwar weiterhin eine Homebase in Österreich erhalten werden, aber in untergeordnetem Maß.

Glück heißt eben nicht immer, alles zu erreichen. Manchmal heißt es auch, rechtzeitig zu bremsen und einer Kollision auszuweichen.

Segel setzen
Wir setzen die Segel

Plötzlich scheint alles klar. Selbst der Wind gibt sein Einverständnis. Dreht auf West und bringt herrliche Segeltage.

Und so führt unser Weg in diesem abwechslungsreichen, kleinen aber feinen Segelrevier langsam zurück. Zurück auf Südkurs und zurück zur deutschen Küste. Aber auch zurück ins Fahrtenseglerleben. Und zurück an einen neuen Reisestart.

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2 Kommentare

  1. Wen der Reisebazillus mal erfasst hat, die große Welt, die Freiheit, der zerbricht, wenn er wieder ein Zahnrad im Getriebe sein soll.
    Kann Deine Gedanken nachvollziehen, nachempfinden, mir geht Ähnliches durch den Kopf.

    Ganz liebe Grüßle
    Tom, SySarai

  2. Danke Euch Beiden, dass Ihr so ehrlich Eure Entwicklung mit uns teilt. Wir fangen gerade erst wieder an mit der Freiheit und es ist nicht gerade immer einfach mit all den Möglichkeiten, die einem bei grenzenloser Zeit offenstehen. Sich Zeit zu nehmen für Nachdenken, Ausprobieren und Neue Wege gehen, dass lebt Ihr uns gut vor.
    Gabi auf SY ALUA, derzeit fast an der Stelle, wo wir Euch 2019 kennenlernen durften und seitdem beeindruckt sind. Ich freue mich auf jeden neuen Post von Euch.

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