Ostseesommer

Verträumte Ruhe. Grün glitzert die Ostsee im gleißen Sonnenlicht, hoch am leichten Wind segeln wir unter vereinzelten, weißen Schönwetterwolken. Das Ruder festgelascht hält La Belle Epoque seit Stunden Kurs, ohne von uns korrigiert zu werden. Das tut gut, denn Selbststeueranlage haben wir auf dieser Fahrt keine: Mis. Aries liegt abmontiert in der Vorkoje verzurrt und der elektrische Autopilot hat vor einem Jahr seinen Dienst quittiert. 

Weißes Tuch im Wind. Einmal mit Besansegel, dann wieder ohne Besansegel. La Belle Epoque ist es egal. Hoch am Wind und über eine glatte Ostsee fährt sie ihren Kurs alleine. Und das, obwohl ihre Segel alt und bauchig geworden sind. Marodes Tuch, das es nach tausenden Seemeilen durch die wildesten Seegebiete längst verdient hätte, zu hübschen Taschen und Jacken genäht zu werden.

Alte Segel im Wind der Ostsee

Vielleicht versuche ich mich nächsten Winter ja an der Nähmaschine. Wäre es nicht eine Freude, in Zukunft eine Jacke zu tragen, deren Tuch mich sicher und unbescholten durch die „Brüllenden Vierziger“ bis in die Antarktis und zurück gebracht hat? 

Neue Segel sind ja mittlerweile beim Segelmacher bestellt. Aber die werden erst kommendes Jahr uns gehören.

Querab ist längst die Insel Fehmarn in Sicht. Direkten Kurs können wir nicht legen. Es wird wohl noch ein oder zweimal Aufkreuzen nötig sein, bis wir in die große Bucht von Orth vor Anker gehen können. Bei diesem Kurs und mit unseren gemütlichen 4 Knoten Fahrt werden wir den Ankerplatz vermutlich nicht mehr bei Tageslicht erreichen können. Auch wenn es hier bis in die tiefen Abendstunden hell bleibt.

Der Leuchtturm von Fehmarn begrüßt uns

Aber manchmal kommt doch alles anders als geplant. Wir haben die Rechnung ohne dem Ostseewind gemacht. Wie jeden Abend schläft der Wind etwas ein. Noch bläst er lau genug, um ein Boot antreiben zu können, aber La Belle wird von ihren bauchigen Segeln bald nur noch seitlich verdrückt. Dann also Motor an, Segel runter und ran ans Steuer. Eine Stunde später fällt der Anker.

Wir sind nicht nur der Insel wegen nach Fehmarn gekommen. Hier besuchen wir das Gästehaus Sulsdorf von Ilja und Stefan, zwei Weltumsegler, die wir zum letzten mal in Neuseeland gesehen haben. Viel Zeit mit den beiden bleibt allerdings nicht. Nach ihrem Segeltörn haben sie sich das alte Gästehaus gekauft und arbeiten nun rund um die Uhr daran, Urlauber zu begrüßen und dem alten Haus einen neuen Glanz zu geben.

Sommer in Fehmarn. Wir verwerfen den Plan, eine ausgedehnte Radtour zu unternehmen. Unbarmherzig sengende Sonne und Temperaturen von über 30 Grad laden uns eben nicht zu ernsthaften Aktivitäten ein. Anstatt des Radsports liegen wir faul im Cockpit unterm Bimini. Spannen Handtücher für mehr Schatten und schmieren Sonnecreme auf nackte Haut. Ein Buch in der Hand, der gelegentliche Hüpfer über die Seite.

Wie lange ist es her, seit wir „Sommerurlaub“ am Boot machten. So ganz, ohne etwas zu tun? Ohne wenigstens zu Tauchen oder zu Schnorcheln. Aber wie lange hält man das auch aus? Ein Tag reicht. Vor allem schon auch deshalb, weil wir in Fehmarn von den Mücken überfallen werden. Trilliarden an Insekten schwirren über dem Boot. Wie Fischschwärme bilden sie Bälle und Formationen in der Luft. Das Deck ist überzogen mit ihren winzigen Körpern. Ihre stechende Verwandtschaft ist zum Glück an Land geblieben. Aber Plage genug sind auch die harmlosen Mücken.

Mückenplage an Bord

Die kühlere Abendzeit nützen wir, um doch noch etwas in Fehmarn herumzuwandern. Zum Leuchtturm und entlang der Naturschutzgebiete. Durch das winzige Ferienörtchen Orth und entlang der riesigen Weizenfelder, die gerade geerntet werden. Bis uns die Stechmücken zurück an Bord jagen.

Auch nach Travemünde können wir nur halbe Strecke Segeln. Oder vielleicht ist die Fahrt mit dümpeln, treiben, driften und leichtwindsegeln besser beschrieben. Zwischendurch hilft nur der Motor, um nicht an die Brückenpfeiler der Fehmarn-Brücke getrieben zu werden und schließlich auch, um irgendwann in die Mündung der Trave einlaufen zu können.

Ein Stück flussauf finden wir einen hübschen Ankerplatz, lassen den Anker ausrauschen und genießen ein Ankommen-Bier. Hier wollen wir ein paar Tage bleiben und doch noch unsere Fahrradtour starten.

Fahrradtour zur Hansestadt Lübeck

Aber zuerst steht mein heuriges Geburtstagsgeschenk an: den Besuch der PASSAT. Ein altes Segelschiff der berühmten P-Liner. Ein Schiff, das 39 mal die gefährliche Strecke um Kap Hoorn gesegelt ist. Ein Schiff, das unglaubliche viermal die Weizenregatta gewonnen hat. Ein waschechter Kap Hoornier, der dazu beigetragen hat, aus dem Kap der Kaps einen Mythos der Seefahrt zu machen und das es geschafft hat, dem größten Schiffsfriedhof der Welt immer wieder zu entkommen. 

Ich stehe an Deck, überwältigt von dem Gefühl, was dieses Schiff geleistet hat. Stolz darauf, mir ein wenig vorstellen zu können, was es geheißen haben muss, diese Gewässer unter diesem beeindruckenden Schiff zu teilen. Als Kap Hoornier am Deck eines Kap Hoorniers. Gut, zugegeben, wir sind bisher noch nie nonstop um das südlichste Kap gesegelt. Aber wir haben es auch nicht auf Tagestouren erlebt. Wir haben es umrundet während unserer Fahrt über die Drake Passage in den Süden. Keine leichte Fahrt, aber immerhin mussten wir nicht ein riesiges Segelschiff an der chilenischen Küste hoch gegen die vorherrschenden West- und Nordweststürme prügeln. Auf Segelreisen, die nicht gefährlicher sein könnten. Und das alles nur, um Salpeter für Sprengstoff und Düngemittel zu hohlen.

Auf Deck der PASSAT

Schade nur, dass die PASSAT zur Zeit renoviert wird. So können wir nur auf einen Teil des Decks herumlaufen, ihre Technik unter Bord wird unserem Blick verwehrt.

Anschließend ein Picknick vom Feinsten: Frischen Matjes und Räucherfisch direkt aus der Räucherei, Gebäck und Süßspeise aus der Bäckerei und ein kühles Bier aus Bayern – sorry, aber das mit dem Bier haben die Norddeutschen einfach nicht so ganz drauf – und ab an die Wasserfront. Dort setzten wir uns unter einem Baum auf die Wiese und genießen die Leckereien in der Überzeugung, besser als die Restaurantgäste nebenan zu speisen.

Denn schade eigentlich, aber etwas negativ fällt auf: die Kultur von kleinen Fischrestaurants, frischem Räucherfisch direkt vom Kutter und Märkten mit lokalen Lebensmittel geht auch hier verloren. In jedem Küstendorf, an jeder Wasserfront finden wir dieselben Restaurantketten, das gleiche Einerlei. Deutsche Fischbrötchen und dänisches Eis a´la amerikanischen Franchise. Bedauerliches Urlaubs-Einerlei anstelle hochqualitativer Essenskultur. Aber gegen manches kann man sich nicht wehren. Selbst die lokale Fischräucherei kann heute nicht mehr mit frischen Wildfisch dienen, sondern bietet geräucherten Aal und Lachs aus Aquakultur. Macht nichts, wir greifen ohnehin lieber zum Hering!

Leckereien aus der Fischräucherei

Dann ein gemütlicher Abend: Wir werden von Axel zum Strandgrillen eingeladen. Ein Abend, der uns wie ein Willkommensgeschenk zurück in der Ostsee ist. Denn Axel und Marion waren es, die uns vor zehn Jahren mit dem Grillen am Strand von Lyø willkommen in der Ostsee geheißen haben. Und nun, nach unserer großen Fahrt rund um Amerika sind es die Beiden, die uns erneut zurück in der Ostsee zum Grillen einladen. An einem winzigen und einsamen Strandabschnitt vorm Hafen von Niendorf stellen wir den Griller in den Sand und verbringen einen schönen Abend. Wenn auch nur mit Axel alleine, aber Marion wird schon morgen zurück an Bord sein und dann wird auch noch zu viert gefeiert. Ein schönes Gefühl, von Freunden zurück empfangen zu werden!

 

Was davor geschah…

Strandkorb

Segeln im Land der drei Jahreszeiten

Endlich los. Aber wohin soll es eigentlich in Zeiten von Corona gehen? Dänemark lässt uns nur rein, wenn wir mindestens sechs Hafennächte vorab reserviert haben. Schweden ist gesperrt. Südnorwegen, da waren wir erst letztes Jahr. Warum nicht endlich jenes Land bereisen, in dem wir uns ohnehin fast zuhause fühlen. Ein Land, das wir viel zu wenig kennen und das uns immer aufs neue mit seiner Schönheit überrascht.

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Ein Kommentar

  1. Wie immer schön geschrieben. Euch noch eine schöne Zeit an der Ostsee.
    Thomas und Christine ( Sy NOE)

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