An der Eiskante

Es ist erstaunlich, welchen sicheren Tritt Moschusochsen haben müssen. Wir folgen den ausgetretenen Pfaden dieser urtümlichen Tiere und wundern uns immer wieder, über welche Steilhänge uns ihre Wege führen.

Wir sind zu fünft unterwegs, wandern gemeinsam mit der Segelcrew von TEDDY über die Hänge entlang des Harefjords, tief im Scoresby Sund Grönlands.

Grönland Expedition
Gemeinsam mit der Crew der Yacht TEDDY wandern wir über die Hügeln

Ein Sund, der uns mit seinen Ausmaßen schier beeindruckt. Über 250 Kilometer Luftlinie hat uns dieses Fjordsystem tief ins Inland von Grönland gebracht, bis and die grönländische Eiskappe und ihren großen Gletscherzungen, die tausende Jahre altes Eis in die Fjorde kalben.

Wir wandern über ein Land, das von diesem Eis geformt wurde. 

An der flachen Küste um unseren Ankerplatz sprießen Beerensträucher und Moose zwischen den Steinen. Sumpfige Wasserlachen sind im Flachland über den Permafrostboden zurückgeblieben, mit Büschen an Wollgras und Glockenblumen. Wie Findlinge liegen große Felsbrocken in der Landschaft verstreut. 

Grönland Küste
Vom Eis geformte Landschaft.

Dahinter steigen die rundgeschliffenen Steinhänge in die Höhe. Erheben sich zu bis 2000 Meter hohe Berge. Die Gipfel dieser Berge sind allerdings dem Auge verborgen, begraben unter einer tonnenschweren Schneedecke. 

Zwischen den Bergen hängen gefrorene Bäche und Flüsse aus Eis. Einige dieser Gletscherzungen erreichen die Täler, andere reichen nur ein Stück weit und enden in unerschöpflichen Wasserläufen, die sich irgendwo ins Meer ergießen.

Wir wandern nur ein Stück weit hoch. Genießen den Ausblick bereits auf 3- 400 Meter Höhe. Ein Ausblick über den stillen Harefjord und seinen großen Gletscher am Fjordende. Ein Gletscher, der sich seinen Weg um einen 1400 Meter hohen Berg gesucht hat und ihn an drei Seiten wie ein Wasserlauf umschlingt und mit Eis einkreist. Aus dem Berg Proppen hat der Harefjord-Gletscher eine von Eis umschlungene Insel geformt. Mit zwei großen Gletscherzungen kalbt der Gletscher zu beider Seiten von Proppen sein Eis ins Fjordwasser an der vierten Seite des Berges. 

Gletscher Grönland
Erster Blick auf den Harefjord Gletscher

Wir wollen diesen „Doppelgletscher“ näher kennenlernen.

Mittlerweile ist unser Zeitgefühl ziemlich durcheinander. Der arktische Tag verlangt kein Leben nach der Uhr. Wir werden abends nicht müde und schlüpfen lange nach Mitternacht in die Koje. Verschlafen den nächsten Vormittag und frühstücken zu Mittag.

Was macht das schon? Es bleibt hell und oft genug taucht das Abendlich die gefrorene Welt in so beeindruckende Farben, dass wir ohnehin lieber Abends und Nachts unterwegs sind!

So gehen wir auch nun erst mittags Anker auf, verlassen unseren guten Ankerplatz im Harefjord und segeln die paar Seemeilen tiefer in den Fjord bis wir die Gletscherzungen des Doppelgletschers erreichen. 

Gletscher Aarefjord
Wir erreichen den Gletscher.

Wir treiben vor der größeren der Gletscherzungen, heben das Dingi ins Wasser.

Nutzen den ruhigen Nachmittag zum Fotografieren und um per Dingi noch näher an die Grawler heran zu kommen.

Wir werden begleitet von Pelzrobben. Neugierig kommen sie zu LA BELLE EPOQUE und zum Dingi näher. Verwundert drehen sie ihre Köpfe, während ich zu ihnen spreche. Sie verschwinden mit einem flotten Flossenschlag, sobald ich mich im Dingi etwas bewege. Nur um anschließend erneut näher zu kommen und das Spiel von vorne zu beginnen. 

Pelzrobbe
neugierige Pelzrobben

Der Grund vor Proppen steigt langsam an, wir gehen vor Anker und beschließen, die Nacht zu bleiben. Leichter Wind kommt von den Gletscherzungen und treibt die einzelnen Eisberge aus dem Fjord. An diesem Ankerplatz droht keine Gefahr, dass uns das Eis der Gletscher erreicht, obwohl wir direkt zwischen den Gletscherzungen liegen.

Der Morgen grüßt uns mit Hochnebel am Gletscher, während uns selbst an seinem Fuß die Sonne erreicht. Der Nebel verbreitet eine geheimnisvolle Stimmung. Die Stille der gefrorenen Welt umgibt uns. Nur ab und zu grummelt eine der beiden Gletscherzungen: Stöhnt bei der harten Arbeit, den gefrorenen Fluss bis ins Fjordwasser voranzutreiben.

Wir sind wie gefangen im magischen Zauber Grönlands. 

In aller Ruhe lichten wir den Anker und laufen dicht an die Gletscherzunge. Jürgen bringt unsere Drohne in die Luft und fliegt über die Eismassen. Fasziniert beobachten wir den Film auf den kleinen Bildschirm, bewundern die Formen und Strukturen.

Segeln zum Gletscher
Wir wagen uns näher an den Gletscher

Als der Gletscher direkt neben LA BELLE EPOQUE lautstark zum Leben erwacht.

Ein riesiges Eisstück bricht von der Gletscherwand, fällt krachend ins Fjordwasser. Mit Entsetzen beobachten wir, wie sich direkt neben LA BELLE EPOQUE eine meterhohe Flutwelle steil aus dem Wasser hebt. 

Ich springe ans Ruder, lege den Vorwärtsgang ein und gebe Vollgas. Jürgen ruft noch „Bug in die Welle“, während ich bereits das Heck dem Gletscher entgegen drehe. Da wir leicht schräg mit dem Heck in Richtung Gletscherzunge lagen, bleibt mir nicht genug Zeit, den Bug rechtzeitig in die Flutwelle zu drehen. Ich würde beim Versuch nur riskieren, von den Wassermassen breitseits erwischt zu werden. 

Deshalb habe ich mich noch vor Jürgens Ausruf für das Heck entschieden.

Auch wenn ich so riskieren, dass das Heck von dem anrollenden Eiswasser überspült wird und sich die Flutwelle über uns ins Cockpit ergießt. 

Meine Reaktion kam schnell genug: Ich halte das Heck dem Gletscherabbruch entgegen und dampfe mit Vollgas der Welle davon, wärend diese mit atemberaubender Geschwindigkeit hinter uns herjagt und dabei länger und runder wird.

Mit Wucht klatscht die erste Welle gegen die Yacht, hebt das Heck an und bringt LA BELLE EPOQUE vor sich zum Surfen. Die Welle bricht dabei in sich zusammen, und läuft endlich gurgenlnd und schäumend unter dem Boot durch. Ein paar weitere Wellen heben und senken die rote Yacht, ohne Schaden zu machen.

Dann ist es wieder ruhig.

Nur wenige Sekunden hat die Gefahr gedauert, doch wir stehen mit klopfenden Herzen und weichen Knien im Cockpit.

Jürgen holt die Drohne zurück, die immer noch irgendwo über dem Gletscher filmt und auf neue Fluganweisungen wartet. Ich motore ein Stück von der Eiskante, um keine weitere nahe Gletscherkalbung zu riskieren.

Gespannt sehen wir uns später die Drohnenaufnahmen an. Doch ist von unserem Erlebnis nichts zu sehen: Die Kamera hat gerade in eine andere Richtung gefilmt!

Gletscher Aarefjord

Nach Tagen im Harefjord wird es Zeit, den Øfjord in Richtung Osten zu nehmen.

Wir haben noch lange Segelschläge bis zum Ausgang des Scoresby Sund vor uns. Auch wollen wir noch ein paar weitere Ankerplätze besuchen, bevor das Ende der Saison zur Eile treibt.

Vor einer leichten Brise segeln wir langsam entlang der Milliarden Jahre alten Gebirgszüge von Grönland. Wir erreichen Bjørneøer – die Bäreninseln, suchen uns eine Durchfahrt zwischen den Untiefen bis in eine ruhige Ankerbucht der Inselgruppe und lassen unseren schönsten Segeltag im Scoresby Sund bei einer Tasse Tee und selbstgebackene Zimtschnecken ausklingen.

Bäreninsel Grönland
Ankern an den Bäreninseln in Grönland

Von hier aus können wir sehen, dass sich mittlerweile das Sundwasser in Nebel gehüllt hat, obwohl wir selbst im Licht der Mitternachtssonne baden.

Der Nebel will sich auch die kommenden Tage nicht lichten und so heben wir unseren Anker aus dem Schlamm und setzten die Segel trotz Nebel.

Es wird ein anstrengender Segelschlag bis zur Küste des Arktischen Ozeans. 

Gegen alle Wettervorhersagen dreht uns Starkwind auf die Nase und zwingt uns zu Umwegen durch die hartnäckigen Nebelbänke. Bald laufen wir unter gerefften Großsegel und Motorkraft, um unseren Ziel wenigstens etwas näher zu kommen.

Die vielen Eisberge und letzten Packeisstücke sind nur auf dem Radarschirm zu sichten und zwingen uns zur höchsten Aufmerksamkeit. Während Strömungen LA BELLE EPOQUE immer wieder vom Kurs drücken und Wellen die Fahrt beinahe stoppen.

Nebel in Grönland
Nebel deckt den Scoresby Sund

Doch auch wenn sich die arktische Welt gegen uns stellt und uns in ihren Elementen gefangen hält, gibt es immer wieder Momente des glücklichen Staunens.

Am Radarschirm blinkt ein großer Eisberg voraus. So groß, dass wir weit abfallen müssen, um ihn zu umrunden. Neugierig steuert Jürgen einen knappen Kurs an die Südseite des eisigen Giganten, bis uns seine Kälte frösteln lässt.

Plötzlich hebt sich der Nebel ein klein wenige im kalten Hauch des schwimmenden Berges und gibt den Blick frei.

Eisberg im Nebel
Eisberg im Nebel

Groß wie ein ganzer Häuserblock ist der Koloss, schimmert anmutig weiß und blau aus dem Nebel und treibt selbstbewusst weiter. Lässt uns verblüfft staunend zurück. 

Wir verlieren den Kampf mit Wind und Strömung.

Als sich der Nebel endgültig lichtet und ich genug freies Wasser ums Schifferl sehen kann, drehe ich bei und stelle den Motor aus. Genug ist genug. Wir kommen ohnehin nicht weiter und ein paar Stunden rasten und auf günstigeren oder wenigstens schwächeren Wind zu warten ist jetzt eine verlockende Alternative.

An Bord kehrt Ruhe ein. Abwechseln gehen wir Wache, blicken gelegentlich aus den Steuerhausluken und vergewissern uns, dass kein Eisberg zu nahe kommt. 

Nebel in Grönland
Wir treiben Beigedreht zwischen Eisberge und Nebelbänken

Als der Wind nach Stunden endlich etwas an Stärke nachlässt laufen wir die letzten Seemeilen bis zur Siedlung von Ittoqqortoormiit.

Im Dorf herrscht Hochstimmung: Das Versorgungsschiff ist da.

Zweimal jährlich kommt das Schiff an diese Küste und bringt alles, was das Inuitherz begehrt. Über Tage wird abgeladen: Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände, Baumaterial, Kajaks, Schneeschlitten. Der einzige Kaufladen im Dorf läuft auf Hochtouren. Jedes Kind auf der Dorfstraße hat ein Lachen im Gesicht und Süßigkeiten in den Händen. Mit ATVs karren die Erwachsenen Junkfood und Kartoffelchips fürs nächste halbe Jahr nach Hause. Und abends wird mit einem Feuerwerk gefeiert.

Nicht nur das Versorgungsschiff aus Nuuk liegt vor Reede. Fünf Yachten und ein kleines Kreuzfahrschiff ankern ebenfalls in der offenen Bucht vor der größten Inuitsiedlung von Scoresby Sund.

Expeditionsyacht in Grönland
Yachten ankern vor Scoresby Sund. Doch die Ruhe trügt. In der kommenden Nacht sollten wir Sturm in Scoresby Sund erleben.

Zumindest für die Yachten sollte die kommende Nacht schwierig werden. Ein schweres Tiefdrucksystem vor der Küste jagt Sturmböe von den Berghängen und der schlechte Ankergrund gibt uns den Rest: Bald schon treibt eine Yacht nach der anderen hinter einem nutzlosen Anker. 

Fünfmal müssen auch wir in dieser Nacht umankern. Immer wieder verfängt sich unser Anker in alten Trossen und Müll am Meeresgrund. Keine Chance, in diesem Mist sicher zu halten. Schließlich finden wir einen Platz dicht unter der Küste, wo sich unsere beiden Anker genug eingraben, um LA BELLE EPOQUE auf ihren Platz zu halten.

Yachten in Grönland
Und wieder verschluckt uns der Nebel.

Übermüdet laufen wir bereits am nächsten Morgen aus.

Wir wollen nicht noch eine stürmische Nacht hier verbringen und suchen uns eine Durchfahrt zwischen den Untiefen vor Fox Havn. Eine rundum geschützte Ankerbucht, von der wir gelesen haben. 

Nicht ganz leicht ist es, die Bucht und vor allem die Einfahrt zu finden, haben wir doch nur eine grobe Position, wo die Seekarte weit und breit Land zeigt und nicht einmal die Idee einer Bucht gibt.

Endlich verholt, liegen wir sicher wie in Abrahams Schoß. Um auch wieder ordentlich aus der Bucht zu gelange, lassen wir das Dingi ins Wasser und loten mit dem Handlot die Bucht und die Ausfahrt aus. Machen eine Skizze und notieren uns den tiefsten Weg aus der Bucht in unseren elektronischen Seekarten. 

Fox Havn wird unser letzter Ankerplatz in Grönland sein.

Hier feiern wir in aller Ruhe meinen 45. Geburtstag und beschließen, das nächste Wetterfenster in den Süden zu nehmen.

Mitternachtssonne in Grönland
Unsere letzten Nächte in Grönland.

Ein langer Weg nach Europa liegt vor uns und wir wollen nicht zu spät in den Herbst geraten. Wollen die Winterstürme dieser Region nicht kennenlernen. Auch wissen wir, dass zuhause bereits wieder einiges an Arbeit auf uns wartet und uns bald die Zeit davonläuft.

Und so verabschieden wir uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge von Grönland. Ein weinendes Auge, da die Zeit in Grönland nie ausreicht, um dieses Naturjuwel zu erfassen. Viel lieber als abzulegen würden wir noch unzählige magische Plätze Grönlands anlaufen.

Und ein lachendes Auge, weil die Wetterkarten einen guten Segeltörn versprechen. Weil eine spannende Hochseeetappe vor uns liegt. Weil wir uns doch schon etwas reif nach ein wenig wärmeren Wetter fühlen. Und weil wir wissen, dass wir bald eine unserer liebsten Sommerküsten erreichen können: die Südküste Norwegens.

Tschüß Grönland, hoffentlich sehen wir uns wieder!

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