Eine frische Brise faucht aus West-Südwest gegen uns. Wir halten – so hoch wir können – gegen den Wind. LA BELLE EPOQUE zeigt stolz ihr Vollzeug, schüttelt sich in den Böen hin und wieder, hält stoisch Kurs und zieht ihr Seitendeck unter Wasser. Es macht Spaß, ihr zuzusehen. Jung und fit scheint sich die die alte Stahllady zu fühlen.
Wir sind nicht alleine. Die Segelsaison in Schweden geht ihrem Ende zu und viele deutsche und polnische Yachtcrews nützen das sonnige Wetter, um ihre Heimreise anzutreten. Es macht den Eindruck, als liege vor allen Yachten dieselbe Destination: Südschweden und anschließend Bornholm.
Und genau das ist auch unser Plan.
Der Wind nimmt zu, doch die Küste von Schweden ist zum Greifen nahe und hält die See ruhig. Dann erreichen wir die Kardinaltonne vor der Insel Långörens, und damit den Kanal in die Inselwelt von Südschweden. Wir rollen die Genua ein, starten den Motor und biegen ein. Hoffen, die laut Seekarten versprochenen 2,9 Meter Wassertiefe auch wirklich zu finden!
Der Hafen von Torshamn ist winzig, aber, wie vermutet, beinahe leer. Die Idee, außerhalb des Hafens zu ankern ist schnell verworfen, die Bucht ist bei diesen Windverhältnissen viel zu exponiert. Im Hafen drückt uns der Wind schon gegen den Steg, das Ablegen hier wird wohl eine kleine Herausforderung.
Kaum angekommen, packen wir schon die Motorräder aus. Der Tag ist traumhaft und wir haben einiges vor. Die über Brücken verbundene Inselwelt lockt, und außerdem werden wir Karlskrona besichtigen. Und dort zufällig zu einem Oldtimertreffen kommen. Nördlich von Torhamn gibt´s die Felsmalereien von Horsahallen zu sehen und einen Abstecher zum Hafen von Sandhamn haben wir auch noch geplant.
Tage später verlassen wir die schwedische Küste.
Entscheiden uns, die kleine Insel Utklippan links liegen zu lassen und direkten Kurs auf Bornholm zu halten. Wieder fegt frischer Westwind über die Ostsee, wieder sind wir nicht alleine. Eine Yacht nach der anderen taucht auf, zuerst am AIS, später in Sicht. Sie alle kommen aus verschiedenen Ankerbuchten und Häfen von Südschweden: Von Sandhamn oder Utklippan, von Karlskrona oder aus dem Kalmasund. Wieder halten alle auf dasselbe Ziel zu: auf die Erbseninseln vor Bornholm.
Gegen alle Regeln lassen wir aber auch diese „must-see“ der Ostsee außenvor, wollen nicht vom zunehmenden Wind über Tage in einem kleinen, teuren Hafen eingesperrt werden. Für uns ist es besser, gleich bis an die Ostküste Bornholms durchzuziehen. Dort können wir für die Nacht in der Bucht von Nexø ankern und uns etwas Hafengebühren sparen, bevor wir am nächsten Morgen doch noch an den Steg gehen und die Mopeds auspacken.
Geplant, getan. Nach einem schönen Segelschlag fällt der Anker in Nexøbucht.
Weitläufig und flach ist die Bucht, umgeben von einem weißen Sandstrand. Dahinter dunkle Kiefernwälder. Es ist warm, viel wärmer, als wir um diese Jahreszeit vermutet haben. Sommerstimmung im September. Nach den kühlen Monaten in Finnland und Schweden fühlen wir, als hätten wir erst jetzt den Sommer wirklich erreicht. Nur die Ostsee selbst kämpft etwas mit den warmen Temperaturen. Sie ist hoffnungslos veralgt und voller Quallen. Überdüngt und heißgelaufen liegt sie halbtot in der Sonne.
Vor Anker wandern die Polster ins Cockpit. Noch schnell ein paar Oliven, getrocknete Tomaten und den letzten Rest an Käse auf den Tisch und… genießen! Die Abendsonne taucht den Himmel in ihren warmen Schimmer, färbt die Ostsee und den Sandstrand rosarot und legt auf die Kiefern einen dunklen Schatten. Wir lassen uns von der Schönheit der Natur verzaubern, zweifeln daran, ob es wirklich nötig ist, die kommenden Tage schon nach Deutschland weiterzuziehen. In Österreich watet einiges an Arbeit auf uns und der kommende Winter wird nur kurz sein. Doch müssen wir deshalb jetzt schon stressen?
Am nächsten Vormittag laufen wir in den Hafen ein. Zwar liegen die günstigen Häfen Schwedens mit ihren tollen Service hinter uns, aber zwei Nächte wollen wir dennoch den Hafen bezahlen, um die Insel per Motorrad zu umrunden.
Zwei traumhafte Tage und zwei eMails überzeugen uns, länger auf Bornholm zu bleiben.
Per Motorrad besuchen wir die arbeitende Windmühle von Årsdale und tuckern an den Touristen in Gudhjem vorüber. Besuchen die Klippen von Helligsdom und den Leuchtturm von Hammerode. Wir düsen an die Südküste und bestaunen die weißen Sandstrände. Fahren kreuz und quer durchs Farmland und gönnen uns ein Eis in Ronnø. Und das alles, während unsere treue LA BELLE im Hafen auf uns wartet.
Aber wollen wir nicht eigentlich in Bornholm auch segeln gehen? Unbedingt. Und auch wenn der Wetterbericht einen besonders schönen Segelschlag bis Polen prophezeit, wir bleiben in Bornholm. Denn Alessandra und Martin haben sich gemeldet: Die WINGGIS 42 ist am Weg nach Bornholm. Und noch am selben Tag kommt eine email von der deutschen SENJA: Auch Julia und Jens sind am Weg nach Sandvik in Bornholm!
Wir betrachten Seekarten. Die Wetterlage ist perfekt für eine Umrundung von Bornholm, der Wind wird den kommenden Tag über Nord nach Ost drehen. Was also besser, als den Wind an die Südspitze zu nützen, dort einen Tag bei Nordwind ankern, und bei Ostwind langsam die Ostküste hoch bis Hammerhavn und weiter zu einem passenden Treffpunkt zu ziehen.
Tage später steht mit Sandbukta der Treffpunkt fest.
Der Ostwind soll in sich zusammenbrechen und die kleine Ankerbucht im Nordosten von Bornholm ist für alle gut erreichbar.
Mittlerweile ist uns der Spätsommer Bornholms schon fast zu Selbstverständlichkeit geworden. Wir betrachten keine Wetterdaten mehr, erwarten uns, morgens von den Sonnenstrahlen geweckt zu werden, mittags unter freiem Himmel zu speisen und abends mit einem leichten Pullover bekleidet im Cockpit zu relaxen.
Umso überraschter sind wir also, als uns plötzlich an der Nordspitze von Bornholm eine dicke Nebeldecke einhüllt. Kalt und unfreundlich ist es, grau in grau. Sind wir jetzt denn schon komplett verrückt? Was machen wir hier eigentlich? Den halben Tag schon haben wir diese Nebelwand vor der Küste gesehen, und jetzt fahren wir hinein, um unsere Freunde zu treffen?
Wir haben Internetverbindung und schon geht meine What´s App hinaus: Planänderung. In Hammerhavn scheint die Sonne, nördlich und an der Ostküste dichter Nebel. „Neuer Treffpunkt – wir ankern vor Hammerhavn und freuen uns auf euch!“
Die Antwort von Julia und von Alessandra lässt nicht lange warten: „Dichter Nebel an der ganzen schwedischen Küste entlang und über die Ostsee. Haben den ganzen Tag noch keinen Horizont gesehen. Klar kommen wir nach Hammerhavn!“
Die nächsten Tage werden wie Urlaub. Vormittagskaffee auf einer der Yachten, gefolgt von langen Wanderungen über die Insel. Am frühen Abend ein Bier und Bootsgespräche, gemeinsames Kochen und lange Nächte in Gesellschaft. Es ist ein krönender Abschluss unserer heurigen Skandinavienreise.
Doch irgendwann müssen wir weiter. SENJA bricht als Erste auf. Gemeinsam mit WINGGIS 42 umsegeln wir kurze Zeit später noch einmal halb Bornholm, gehen für die letzte gemeinsame Nacht in Nexø vor anker und verabschieden uns schließlich.
Unter Segel gehts in den Süden.
Wir wechseln uns ab, kreuzen Schifffahrtslinien, treiben LA BELLE EPOQUE voran. Laufen gegen die Uhr. Wollen noch vor der Dunkelheit in Świnoujście ankommen, da unsere Positionslampe ihren Dienst verweigert und die Sicherung laufend durchbrennt. Vermutlich müssen wir unserem Topicht vorm nächsten großen Aufbruch neue Kabel gönnen.
Bei Sonnenuntergang laufen wir ein. Ziehen dicht an einem Baggerschiff vorbei, während uns die große Ozeanfähre überholt. Lassen prompt den quirligen Hafen hinter uns und finden ein Stück weiter in einem Seitenarm einen passenden Ankerplatz. Die letzten Meter gehts unter Anker-, Decks- und Motorlicht, wollen wenigstens irgendwelche Lichter zeigen, auch wenn die Nacht noch nicht ganz zugeschlagen hat.
Polen streifen wir nur kurz. Holen uns einen ersten Eindruck.
Und dieser erste Eindruck gefällt. Das Stettiner Haff mit seinen seichten Wasserwegen und schönen Ankerplätzen. Ein Tankstopp mit verhältnismäßig „billigem“ B0-Lagerdiesel, wo wir vom Tankwart eine Trage Bier dazu geschenkt bekommen. Abstecher im Haff in seichtere Gebiete, wo wir zwischen Stellnetze beinahe in Verhängnis kommen. Wasserwege, auf denen wir Flusskreuzfahrern, Ozeanfrachtern, Segelyachten, Motorbootreisenden, Kajakpaddlern und allem dazwischen begegnen. Irgendwann werden wir zurückkommen, und Polen besser kennenlernen. Denn das Revier verdient eine längere Reise als nur unseren kurzen Tankausflug.
Dann sind wir zurück in Deutschland. Ziehen durch die Klappbrücke von Strahlsund und sind zurück im Bodden. Zurück in Barth.
Noch einmal geht LA BELLE EPOQUE in Ramin´s Werft an Land, doch dieses mal nicht, weil sie es nötig hätte. Zwar kommt unsere Schiffschraube noch einmal zurück zum Hersteller für eine letzte Überarbeitung und Miss Aries wird abgebaut, damit wir sie zuhause in der Werkstätte wieder einmal etwas überholen. Ich mache mir ein paar Skizzen für Näharbeiten und Jürgen wechselt kurzerhand noch die neue aber undichte Klopumpe aus. Aber im Grunde genommen stellen wir LA BELLE EPOQUE nur aus einem einzigen Grund für diesen Winter an Land: Wir haben diesen Winter keine Zeit für einen Segeltörn auf ihr.
Vor uns liegt ein Segelwinter der anderen Art!
Und dieser spannende Segelwinter beginnt schon in wenigen Wochen. Und das heiß, dass nun alles Schlag auf Schlag geht: Sobald LA BELLE gut versorgt an Land steht, gehts nur kurz nach Österreich zum Heimspiel. Wir freuen uns, noch im Oktober beim Yachtclub Austria mit unserer Geschichte zu Gast zu sein, wo wir in Linz unsere Reiseeindrücke zeigen. Gefolgt von einem Nachmittag in Dresden, wo wir im Saal in Schauburg unsere Reiseendrücke zeigen dürfen und bereits jetzt nur noch wenige Plätze frei sind.
Ja und im Anschluss daran…
…brechen wir zum Flughafen auf.
Vor uns steht der lange Flug bis an die südlichste Spitze von Südamerika, bis zum südlichsten Dorf, dem stürmischen Kap der Welt. Vier verschiedene Flugzeuge werden wir benötigen, um nach Tagen Puerto Williams im Süden von Chile zu erreichen. Und welche Segler wären wir, wenn wir nicht zum Kap der Kaps fliegen würden, um dort ein Segelboot zu besteigen! Aber Kap Hoorn wird nicht zum südlichsten Punkt unserer kommenden Fahrten werden. Es ist nicht das Sehnsuchtsziel, dass uns erneut lockt und in seinen Bann gezogen hat.
Es ist die Antarktis, die uns ruft.
Und so werden wir die kommenden Monate die Chance nützen, die sich uns eröffnet hat. Wir werden an Bord von SANTA MARIA AUSTRALIS gehen, um gemeinsam mit Wolf und Jeannete mehrere Fahrten in die Antarktis und zurück zu bestreiten!