Es ist mir kaum noch aufgefallen.
Kann es sein, dass man sich an einen Alltag so schnell gewöhnt, nur weil er Bequemlichkeiten mit sich bringt? Das man in einen Trott verfällt und dabei beinahe vergisst, wie wunderbar die kribbelnde Aufregung von einer neuen Herausforderung ist?
Ja, beinahe ist es mir kaum noch aufgefallen. Aufgefallen, wie die Zeit verläuft. Wie sich die tägliche Routine wiederholt. Wie meine Lebensgeister in einen dämpfenden Nebel an Bequemlichkeit versinken und wie selbstverständlich das zurückgezogene Leben im corona-restringierten Österreich geworden war.
Nicht, dass es uns hart erwischt hat. Nein, überhaupt nicht. Unsere Familien, unsere Freunde und wir selbst sind gesund und wohlauf. Wir leben am Land, umgeben von einem großen Garten und davor einer herrlichen Natur. Während unserer Reisejahre haben sich viele Arbeiten zuhause angesammelt, die uns nun während der Ausgangsbeschränkungen durchgehend beschäftigen. Direkte Langweilig kann da eigentlich nicht erst aufkommen.
Und doch hat sich eine kaum merkliche Lustlosigkeit eingeschlichen. Bis sich das unbestimmte Gefühl, etwas zu vermissen langsam aber deutlich in mir regte. Bis mir klar wurde, dass wir seit vielen Monaten kaum noch einen Tag für uns selbst genützt haben. Aber das lässt sich ändern.
Wie aber schüttelt man eine Lustlosigkeit am einfachsten ab? Klar, mit einer Herausforderung. Und weil wir eben wir sind, muss diese Herausforderung wenigstens ein klein wenig mit Reisemöglichkeiten oder zumindest mit Ausflüge zu tun haben.
Wie es der Zufall so will, läuft mir diese Herausforderung mittels eines unschlagbaren Angebots einer Hardenduro über den Weg.
Richtig gelesen. Einer Hardenduro.
Und weil Jürgen kein Kind der Traurigkeit ist und generell für jeden Blödsinn zu haben ist, ist unser Fuhrpark also plötzlich um meine alte Yamaha größer. Ein echter Bock.
Das zieht natürlich einen Rattenschwanz mit sich. Immerhin sind zwei Reifen für zwei Personen etwas zu wenig. Einen kurzen Sonntagnachmittag-Ausflug später kam also eine alte Schwedin ins Haus. Eine Schwedin, die allerdings nichts Feines an sich hat – Jürgens Husaberg. Ab sofort also gibts Jürgens Büffel zu meinem Bock. Um eine kleine Draufgabe gab´s dann noch den passenden Motorradanhänger dazu und mit etwas Spucke in den Händen ist Anfang Juni unser frisch restaurierter Camper-Van startklar.
Habe ich etwas von Langeweile oder Bequemlichkeit geschrieben. Von Alltagstrott, gefüllten Geschirrspülern, immer gleichen Kaffeepausen oder vom Fensterputzen? Das ist ab sofort wieder graue Geschichte. Denn das Kribbeln in der Magengegend ist zurück. Aber bin ich dieses mal vielleicht einen Schritt zu weit gegangen? Mit über 40 noch das Hardenduro-Fahren anzufangen.
Aber nicht doch. Ich bleibe ja mit der Kirche im Dorf. Mich ruft ja nicht gleich der Erzberg. Und wie spannend ist es doch, gleich mal auszutesten, ob das auch wirklich Spaß macht.
Während ich T-Shirts, Lebensmittel, Helme, Protektorweste, Knieschützer, Stiefel, Handschuhe, extra Socken, Fotoausrüstung, Badezeug, Lesebücher, Mineralwasser, Bier und was sonst noch alles zu einem MX-Wochenende so dazugehört, in den Camper packe, flucht Jürgen in der Werkstätte herum. Die alte Schwedin weigert sich, ihr bequemes neues Zuhause schon wieder zu verlassen. Sie will per du nicht anspringen und damit wird klar, dass sie nicht mitkommt.
Was solls, besser ein funktionierendes Motorrad als keins, wir können ja teilen. Anstelle des zweiten Motorrads kommen also die Fahrräder auf den Anhänger und schon rollen wir in Richtung Autobahn. Seit wenigen Tagen sind die Grenzen wieder offen. Ungarn, wir kommen!
Nagycenk heißt unser erstes Ziel. Und wir sind mehr als positiv überrascht. Unser neues Hobby ist günstiger als erhofft: gratis Campingplatz im Fahrerlager, Streckenkosten per Tag zwischen 10 und 20 Euronen. Dazu kommen 10 Liter Sprit für den Bock.
Und der Spaß? Der lässt nicht lange auf sich Warten. Zwar stehe ich noch wie der erste Mensch auf meinem Bike und brauch das eine oder andere Mal sogar die Hilfe eines netten MX-Fahrers, um mir den Bock wieder von einem Hügel runter zu heben oder aus einer verzwickten Lage zu fahren. Noch fahren mir kleine Kinder um die Ohren und meine größten Feinde nennen sich Spurrillen, nasse Löcher und wegversperrende Steine. Aber am ersten Tag am Moped geht´s eh nicht um Können. Hauptsache immer wieder Aufsteigen, auch wenn bald schon ein gezerrtes Knie schmerzt, der Daumen zwetschkenblau anläuft und ungeahnte Muskeln stechen.
Etwas geärgert hab ich mich hin und wieder über meine Feigheit, nicht doch mehr Gas zu geben, nur zwei von sechs Gängen zu benützen, nicht ordentlich zu springen und den einen oder anderen Steilhang auszuweichen. Aber ich verspreche, mich zu bessern. Immerhin träume ich jetzt schon davon, irgendwann ein paar geschotterte Alpenpässe zu erklimmen oder Bock und Büffel irgendwie in die Vorkoje zu stopfen und über die Ostsee nach Finnland und Schweden zu segeln. Wer sagt denn, dass man Abenteuer nicht verbinden kann? Und außerdem habe ich beschlossen, dass meine bisherigen Wünsche, eine Waschmaschine in die Vorkoje zu bauen, von mir überbewertet waren.
Um das lange Wochenende auch noch gebührend zu beenden, parken wir die letzte Nacht beim Neusiedlersee, hohlen uns eine Flasche Wein beim Heurigen und verbringen den lauen Abend am Strand, bis wir ins nächtliche Strandbad eingeschlossen werden und uns einen Weg zurück zum Camper erklimmen müssen. Was für ein schönes Wochenende, um die Freiheit von den Ausgangsbeschränkungen zu feiern! Schade nur, dass unsere kleine Segeljolle nicht auch noch am Anhänger gepasst hat!