Kalaallit Nunaat

„Was ist da draußen los“. Wellen plätschern gegen den Rumpf. Ein sehr nahes Motorengeräusch zieht mich langsam aus den Tiefschlaf.

Dann ist der Augenblick verstrichen, die Verwirrung des Aufwachens gewichen. Ich lasse das Reich der Träume hinter mir und erkenne, dass das Motorengeräusch nicht von außen kommt, sondern von Mr. Perkins. Verstehe, dass unser eigenes Fahrwasser am Rumpf plätschert. Erinnere mich, dass wir unterwegs sind.

Wie schnell habe ich mich daran gewöhnt, stationär zu liegen. 

Über drei Wochen haben wir im Hafen von Husavik verbracht. Und es ist gut, wieder unterwegs zu sein. Unterwegs zu spannenden Ufern. Am Weg zum größten Fjordsystem dieser Erde. Einen der letzten Fjorde, die wir noch nicht besegelt haben. Den Scoresby Sund in Grönland.

Grönlandsegeln
Unterwegs an die Ostküste von Grönland

Heute Vormittag haben die neuen Eiskarten grünes Licht gegeben. 

Und haben damit frischen Wind in die kleine, wartende Flotte von Husavik gebracht. Eine Flotte aus wenigstens drei Yachten: Die französische NORTHABOUT mit einem Team aus acht Segler- und Kletterinnen, die seit Tagen hinter unserem Heck festgemacht hat. Die irische DANÚ OF GALWAY, deren Crew ebenfalls ins Klettern nach Grönland segeln will. Und unsere LA BELLE EPOQUE. Gemeinsam sind wir eine fröhliche Runde Segler und Abenteurer, die in diesen endlosen Sommertagen jede Erinnerung an die Nacht vergessen haben.

Gönlandsegler
Nicht alleine, in Island lernen wir Segelcrews kennen, die wir in Grönland wieder treffen sollten!

LA BELLE EPOQUE ist als Erste aufgebrochen. Kaum hat sich der Nordwind in der großen Skjálfrandi Bucht gelegt, haben wir ihren Bug in den Norden gedreht. Ein früher Start, der uns ermöglicht, zumindest die halbe Strecke segeln zu können, wenn der gemeldete Südwestwind einsetzen wird.

Doch so einfach wie gedacht wird die Segelreise nicht.

Während am zweiten Tag langsam der erwartete Südwestwind auffrischt, bildet sich eine ungewöhnliche Kreuzsee aus dem Norden. Nirgends auf der Wetterkarte kann ich die Ursache für diese ungewöhnliche See finden. Der Ostgrönlandstrom muss Schuld für sie sein. Die ruppige Kreuzsee bleibt niedrig, ungefährlich. Aber dennoch fies!

Zu meiner Überraschung werde ich prompt vom schlimmsten Dämon aller Seefahrer – der Seekrankheit – heimgesucht. Prompt übergebe ich meinen Mageninhalt wiederholt der Toilette. Manchmal kann Segeln aber auch wirklich keinen Spaß machen!

Segeln im Arktischen Ozean
Segeln im Arktischen Ozean

Weit vor der Küste setzt Nebel ein und die ersten Eisberge sehen nicht wir, sondern unsere Instrumente. Wieder einmal sind wir froh um unser Radar. Es warnt uns aber nicht nur vor Eisbergen, es hilft uns, in den Roemerfjord südlich von Scoresby Sund zu unserem ersten Ankerplatz einzulaufen. Denn wieder einmal sind die Seekarten nicht nur ungenau, sondern völlig versetzt und damit falsch.

Am nächsten Morgen lichtet sich endlich der Nebel. 

Es tut gut, nach so vielen Jahren Grönland wieder zu erblicken! 

Und doch bin ich über den Anblick erstaunt. Dunkles Vulkangestein hebt sich aus dem Fjord, Berge aus brüchigem Basalt reihen sich aneinander. Am Ufer steigt hier und dort Dampf auf. Dampf von heißen Quellen, die aus dem vulkanischen Gestein sprudeln.

Zaghaft zeigen sich wenige grüne Flecken zwischen den felsigen Ufern, es sind arktische Weiden, die ihren Kampf ums Überleben seit Jahrhunderten auf dem Boden von Grönland führen. Bäume, die keinen Stamm haben, nicht in die Höhe wachsen. Nur so können sie die Winterkälte unter einer schützende Schneedecke überleben.

Ankunft Ostgrönland
Es tut gut, noch einmal in Grönland zu sein.

Auch jetzt, im Hochsommer, hängen einzelne Schneefelder bis ans Ufer. Manche Schneefelder machen den Eindruck, mehrere Jahre alt zu sein. Ein kleines Nebelfeld hält sich tapfer am Nordufer.

Nur kurz gehört uns der Fjord alleine, dann rasseln neben uns Ankerketten aus. Neben DANÚ OF GALWAY und NORTHABOUT überrascht uns die Ankunft der irischen Yacht TEDDY. Wir haben Nick vor über elf Jahren bei unserer ersten Reise nach Grönland kennengelernt.

Wir müssen so schnell als möglich weiter.

Noch bevor der gemeldete Starkwind aus Nord die Küste erreichen wird, wollen wir uns tief in das Fjordsystem von Scoresby Sund verkriechen. Hier, auf den von Fallwinden geplagten Ankerplatz zu bleiben, ist die schlechtere Variante. Wir wollen nicht für die ganze kommende Woche vom Wetter hier festgenagelt werden.

Ankern Ostgrönland
Ankunft in Ostgrönland

 Allerdings zeigen die Satellitenbilder immer noch viel Eis im Sund.

Die Buchten direkt vor der Ansiedlung von Ittoqqortoomiit sind immer noch voller Packeis. Auch bieten diese Buchten nur mäßigen Schutz für ankernde Boote bei Starkwind. Vor allem, wenn auch Eis in den Buchten treibt. 

Der beste Ankerplatz liegt weit im Inland des Fjordes. Die beinahe geschlossene Bucht von Hekla Havn hat eine schmale Einfahrt. Tief genug für Schiffe, aber zu seicht für Eisberge. Sie stranden bereits vor der Einfahrt und können keine ankernden Schiffe bedrohen. 

Hekla Havn liegt an der Südküste der kleinen Danmark Ø – der Dänemark Insel. Eine flache Insel, ohne Eiskappe und ohne Steilhänge. Hier können sich auch bei Starkwind keine Fallwinde bilden. Aber in der Regel erlebt Denmark Ø ohnehin nicht die schweren Wettersysteme der Küste. Sie liegt weit genug im größten Sundsystem dieser Erde, die Tiefdrucksysteme des arktischen Ozeans ziehen nicht weit genug ins Inland um diese Insel zu bedrohen.

Hekla Havn ist also der besten Ankerplatz, den wir wählen können. Allerdings liegt er nicht gerade um die Ecke. Hundertvierzig Seemeilen liegen zwischen uns und dieser sicheren Ankerbucht.

In jedem anderen Seegebiet würden wir nun mit einer Fahrt von etwa 24 bis 28 Stunden rechnen. 

Eis Ostgrönland
Eis und Wetter in Grönland können eine Etappe von wenigen Seemeilen zu einer tagelangen Fahrt machen.

Doch hier in Grönland kann so eine Fahrt viel länger dauern.

Kommt Nebel auf, können wir nur mit äußerster Vorsicht und reduzierter Fahrt zwischen den vielen Eisbergen vor der Küste navigieren. Und Nebel ist hier kein seltener Gast. Im Scoresby Sund selbst kann uns das Packeis zu weiten Umwegen zwingen. Durch die Eisfelder selbst geht es ohnehin nur in Schlangenlinie. Müssen wir uns durch zusammengeschobene Packeisstücke brechen, können viele Stunden für nur wenige Seemeilen draufgehen. 

Aber gibt es keine Ersatzankerplätze, die wir anlaufen könnten, keinen Plan B also, falls uns das Eis nicht durchlassen will. Scoresby Sund ist riesig, aber seine Ufer sind nicht von sicheren Ankerplätzen gesegnet. Wie auch, sie bestehen aus schneebedeckten Berghängen, aus steilen Klippen, die von Gletscherzungen unterbrochen sind.

Küste Grönland
Die kalten Berge an Grönlands Küste bieten nur wenige Buchten zum Ankern

Damit ist der Versuch, Hekla Havn vor dem Starkwind zu erreichen, riskant. 

Dessen sind wir uns bewusst. Aber Grönland ist eben nichts für schwache Nerven. Es ist kein Land für Halbherzige. Kein Land der Geborgenheit und Leichtigkeit. Kalaallit Nunaat – das „Land der Menschen“ ist in Wahrheit ein Land der Naturgewalt. Ein Land, dass sich nicht vom Menschen unterjochen lässt, sondern an das sich der Mensch anpassen muss.

Bartrobbe
Kein Land der Menschen, sondern Heimat von perfekt angepasste Lebewesen an extreme Bedingungen

Nach einem kurzen Zwischenstopp in Turner Sund lichten wir den Anker. 

Neue Eiskarten geben uns Hoffnung: Die Fahrt entlang der Küste sollte einfach werden. Im Sund warten noch dichte Eisfelder mit bis zu 80 Prozent Eisbedeckung. Doch sollten dazwischen offenere Passagen mit 40 Prozent Eisbedeckung zu finden sein. Wir müssen nur schnell genug sein, diese leichteren Eisfelder zu erreichen, bevor Wind und Strömung die Eisfelder durcheinander wirbeln.

Gegen Mitternacht laufen wir aus Turner Sund. Stetig tuckert Mr. Perkins, wärmt die Kajüte dürftig mit seiner Abwärme und schiebt LA BELLE EPOQUE langsam hinaus auf den spiegelglatten arktischen Ozean. 

Eisberg Mitternachtssonne
Wir laufen aus, in einen spiegelglatten Ozean, beleuchtet von der Mitternachtssonne

Jürgen ist zu seiner Freiwache in die Koje verschwunden. Ich habe es mir im Steuerhaus gemütlich gemacht. Leise Musik unterstreicht die atemberaubende Stimmung, die sich mir bietet.

Die „Weiße Nacht“ ist alles andere als weiß!

Die Mitternachtssonne steht im Nordwesten. Leuchtet in intensivem Orange hinter den kalten Bergen von Grönland. Taucht den klaren Himmel in intensive Rottöne und lässt die gewaltigen Eisberge vor der Küste in ihren kalten Blau erstrahlen. 

Phantastische Eisformen ziehen am Boot vorüber. Eisstücke und Eisberge erstaunen mit ihren Formen, ihren Farben, ihren Strukturen. Eine Parade aus Vielfältigkeit und doch Gleichklang. Aus Kälte, die im warmen Licht strahlt.

Grönland Ostküste
Herrliche Lichtstimmungen während der „weißen Nacht“

Die Welt des Nordens ist unglaublich. Atemberaubend. Herrlich. Und unbeschreiblich. Sie ist jede beschwerliche Meile hierher wert. Jede kalte Stunde ist vergessen, jeder schwere Windstoß ist Geschichte, jeder endlose Regen und Nebel unwesentlich. 

Ich wünschte, diese Nacht vor der Küste von Grönland würde nie enden.

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2 Kommentare

  1. Hallo Claudia und Jürgen, vielen Dank für diesen faszinierenden Bericht. Er macht wirklich Lust, dieses Abenteuer selbst zu erleben. Alles Gute und weiterhin schöne Erlebnisse!

  2. Die Fotos sind unglaublich schön. Eure eindrücklichen Erlebnisse sind mit Wort und Bild wunderbar deutlich dargestellt. Beneidenswert!

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