Update from the Mast!

Kap Brewster leuchtet im warmen Licht der Morgensonne. Die See ist spiegelglatt, majestätische Eisberge treiben gemächlich in den Süden. Der Ostgrönlandstrom wird sie bis in die gemäßigten Breiten bringen. Bis sie im warmen Wasser ihren Stolz verlieren und später in der Vergesslichkeit der Zeit verschwinden.

Manche dieser kalten Giganten werden aber einen längeren Weg einschlagen. Sie werden um das gefährliche Kap Farvell im Süden von Grönland ziehen, werden die Westküste von Grönland erreichen und dort in den Hohen Norden treiben. 

Hoch bis Ellismeer Insel. Hoch bis kein Weg mehr weiterführt. Wo das ewige Eis Nordgrönlands alle Wasserwege erstarren lässt.

Kap Brewster
Eisberge vor Kap Brewster am Eingang zu Scoresby Sund

Dort müssen sie abermals ihre Reiserichtung ändern. 

Sie werden mit dem abgekühlten Wasser die kanadische Inselwelt erreichen, nur um erneut in den Süden abzubiegen. Sie werden die Sunde Labradors verstopfen und ihre kalte Erinnerung bis Neufundland bringen. Und irgendwann werden sie sich in ihren mitgebrachten Nebelbänken auflösen und ihr Jahrtausende altes Frischwasser in die großen Klimabände der Ozeane spülen.

Nun aber, am südlichen Kap von Scoresby Sund, am Kap Brewster mit seinen herausragenden Klippen und seinen schneebedeckten Bergen, versetzt uns jeder einzelne Eisberg in Erstaunen. Jeder Einzelne ist ein Unikat, speziell und außergewöhnlich. Gleichmütig und doch im ständigen Wandel.

Eisberg und Expeditionsyacht
Eisberge versetzen uns stets in Staunen. Die Fotografin Ramona an Bord der NORTHABOUT will es genauer wissen und klettert in den Mast.

Ruhig und friedlich treiben sie an uns vorüber, verbergen die Gewalt und Macht, die in ihnen steckt. Denn jeder Einzelne von ihnen könnte uns von diesem Ozean fegen, uns und unsere kleine Nussschale versenken. Könnte uns mit einem einfachen Abbruch von einem Stück Eis, oder einer simplen Drehung im Wasser, mit einer Flutwelle überspülen.

Und dennoch strahlt jeder dieser Eisgiganten einen Frieden aus, wie es nur eine gefrorene, stille Welt vermag.

Mittlerweile sind wir nicht mehr alleine. 

Wir werden von zwei außergewöhnlichen Yachten begleitet. Unser irischer Freund Nick mit seiner TEDDY wird sich bald von uns verabschieden, wird seinen eigenen Weg durch das zerbrochene Packeis im Sund suchen. Aber die unglaublich seegängigen Mädels von NORTHABOUT haben eingeplant, die Etappe voraus an unserer Seite zu segeln.

Segelyachten in Grönland
TEDDY und NORTHABOUT in unserem Kielwasser

Bereits in Island haben wir die waghalsige und aufgeweckte Frauen-Crew kennengelernt. Längst haben wir die acht Abenteuerinnen ins Herz geschlossen. Unterwegs auf einer gecharterten Expeditionsyacht haben die vier Seglerinnen und die vier Kletterinnen alle Hände voll zu tun: Die Yacht wurde kurz vor Charterbeginn von einem neuen Eigner gekauft und ein paar Wartungsrückstände scheinen vom Voreigner zurückgeblieben zu sein.

Damit kommen zur anspruchsvollen Routenplanung, der kniffeligen Navigation und den harten Segeletappen für die Seglerinnen an Bord immer wieder unvorhersehbare Instandsetzungsarbeiten dazu.

Zusätzlich setzt die internationale Klettercrew an Bord alles daran, auch über wochenlangen Bordalltag kein Grämmchen Fett anzusetzen und bei hartem Training fit zu bleiben. 

Denn während die Segelcrew sicherstellt, dass die Klettercrew zu ihrer Destination gelangt, liegt es doch an den Letzteren, die Expedition „Via Sedna“ zum Erfolg zu führen: 

Durch die mehrtägige Erstbesteigung einer „Bigwall“ nördlich von 70°Nord – im Scoresby Sund.

Mit unbeschreiblichem Teamgeist kommen die acht Mädels Etappe für Etappe weiter. Und das, obwohl sie nicht einmal eine wirkliche gemeinsame Sprache an Bord haben. Gestartet aus der Heimat der weltbesten Segler – der Bretagne – kommt die Crew aus Argentinien, Frankreich, den Canaren, der Schweiz und aus Österreich. Die Bordsprache ist damit ein Mix aus Französich, Englisch, Spanisch und Deutsch. 

Espedition Via Sedna
Auch die Kletterinnen helfen beim Segeln: Caro am Ruder.

Aber nicht nur Teamgeist ist an Bord der NORTHABOUT angesagt.

Eine Mischung aus hoher Seemannschaft, überlegtem Handeln und der weiblichen Fähigkeit, den Erfahrungen Anderer zuzuhören und diese für sich zu nützen, bringt die NORTHABOUT sicher ihrem Ziel entgegen.

Und da wir die kommenden 100 Seemeilen zwischen 40% und 60% Packeis vor dem Bug haben werden, hat sich diese Crew aus abenteuerlichen Mädels dazu entschieden, sich LA BELLE EPOQUE anzuschließen. Unsere Erfahrung mit Packeis zu nützen, um gemeinsam einen Weg durchs Eis zu finden.

Am Weg zum Packeis
Gemeinsam am Weg zum Packeis. © Ramona Waldner

Langsam mischen sich einzelne Packeisschollen zu den Eisbergen.

Anders als die Eisberge stammen sie nicht von den großen Gletschern, nicht von der Jahrtausende alten Eiskappe Grönlands.

Ihr Eis ist nur ein einziges Jahr alt. Sie stammen vom letzten Winter in Scoresby Sund und sind aus gefrorenem Meereis. Sie sind aufgebrochen durch die Kraft der Sommersonne und treiben vor Wind und Strömung ihrem schnellen Untergang entgegen. Aus einzelnen Schollen werden Felder aus Eis.

Dann ändert sich das Bild voraus: Eine weiße Wand begrenzt den Horizont. 

Packeis voraus
Packeis voraus. Von der Ferne sieht Packeis immer wie eine geschlossene weiße Fläche aus. © Ramona Waldner

Wir haben sie also erreicht – die Packeisgrenze.

Es ist Zeit, dass Jürgen Posten am Bug einnimmt. Hinter uns an Bord der NORTHABOUT hängt die Schweizer Kletterin Caro bereits im Masttop. Die Skipperin Marta berät sich mit mir am Funk.

Jetzt heißt es, Geduld zu zeigen. Es ist unnütz, weit vor einer Eiswand Hals über Kopf den Kurs zu ändern und auf Irrfahrt nach einer Öffnung zu gehen. Erst unmittelbar vor dem Packeis werden wir sehen, ob es eine Durchfahrt gibt. Abdrehen und offenes Wasser zu suchen hat keinen Sinn, denn vom Fernen sieht Packeis immer undurchdringlich aus.

Wie eine weiße Wand eben.

TEDDY ist unser Vorstoß bis zur Packeisgrenze nicht geheuer. Die drei Segler an Bord suchen sich lieber einen eigenen Weg um das Eis und hoffen auf bessere Bedingungen weiter im Norden.

Sie verabschieden sich und drehen ab.

Doch Marta versteht unseren Kurs und bleibt am Gashebel. Jürgen entdeckt die erste Öffnung im Eis, setzt ein breites Grinsen auf und gibt mir Handzeichen von seiner Position am Bug. 

Schon meldet sich Caro per Handfunke vom Masttop der NORTHABOUT: Sie hat den Weg durchs Packeis entdeckt und beschreibt aufgeregt die Passage vor uns.

Öffnung im Packeis, Expeditionsyacht
Erst nahe am Eisfeld lässt sich eine Öffnung im Packeis entdecken. © Ramona Waldner

Nein, gänzlich offenes Wasser sieht sie noch lange nicht, aber eine Passage, die sich wie eine Schlange mit Kurven und Serpentinen immer weiter in den Westen zieht. 

Nun müssen wir Geschwindigkeit in den Yachten halten. Denn langsamer zu werden heißt, Manövrierbarkeit einzubüßen, und flinke Beweglichkeit ist unsere wichtigste Waffe im Eis. Das muss ich mit Marta erst gar nicht besprechen. Sie zaudert nicht und ungebremst prescht NORTHABOUT mit fünf Knoten Fahrt hinter LA BELLE EPOQUE ins Eis.

Herrlich, deshalb sind wir hier!

Mit jedem Meter durch das Packeis, mit jeder neuen Öffnung voraus und mit jedem unglaublich schönen Anblick der beiden Yachten im Eis erhöht sich die Stimmung auf beiden Booten. 

Längst weiß ich, welche Hochgefühle schwierige Passagen durch Packeis bei Jürgen und mir auslösen können. Zu erleben, wie dieses Hochgefühl auch über eine zweite Yacht schwappen kann, macht noch mehr Freude.

Yacht im Eis
Mit flotter Fahrt geht es durchs Packeis. © Ramona Waldner

Tiefer und tiefer schieben wir uns ins Packeis. 

Anfänglich sind die Beschreibungen von Caro am Mast noch zurückhaltend. Sie weiß, dass sie von ihrem Posten den besten Überblick hat, doch sie will nicht taktlos sein und uns Anweisungen geben.

Was sie nicht weiß: ihre Richtungsvorschläge decken sich stets mit Jürgens Handzeichen und die beiden zusammen dirigieren uns wie ein eingespieltes Team durch ausgedehnte Packeisfelder. Obwohl sie jeweils die Anweisungen des Anderen nicht höhren können.

Nach und nach merkt Caro, dass es mir eine Freude ist, mit ihr zusammenzuarbeiten und bald kommen die „Updates from the Mast“ mit humorvollem Ton.

Dann meldet sich Marta über Funk: „Wenn wir jetzt noch einen Eisbären sehen, dann kann ich glücklich sterben!“ 

Aber jetzt mal halblang! 

Seit einiger Zeit laufen wir bereits an einem riesigen Eisfeld entlang. Einem Eisfeld, dass sich über viele Seemeilen bis zur Südküste des Sundes streckt. „Wenn ihr einen Eisbären sehen wollt, dann haltet die Augen offen“, richte ich Marta über Funk von Jrügen aus, „Auf so einem großen Packeisfeld sind sicherlich ein paar Bären zuhause. Vor allem, weil wir auch schon Robben gesichtet haben!“

Es dauert nicht lange, und wir hören acht aufgedrehte Stimmen schreien:

POLAR BEAR!

Tatsächlich. Ein gut genährter Bär pirscht sich am Eis an eine Robbe an.

Eisbär auf Packeis
Wir sichten einen Eisbären am Packeis!

Sofort stoppen wir LA BELLE, nutzen eine Öffnung im Eis, um zu drehen und dichter an die Packeiskante zu manövrieren. Jürgen hat längst den Fotoapparat an den Bug geholt und auch an Bord neben uns arbeitet die Tiroler Fotografin Ramona auf Hochtouren.

Abgelenkt von den beiden Yachten hat der Eisbär die Robbe vergessen. Sie hat noch einmal Glück gehabt. Nun kommt der Eisbär neugierig zu uns näher. 

Eisbär Grönland
Langsam kommt er etwas näher.

Wir haben kein schlechtes Gewissen, ihn von der Jagd unterbrochen zu haben, denn der Bär ist stattlich und beinahe fett. Er wird den Verlust leicht verschmerzen können und wir freuen uns, ihn vom sicheren Deck aus, ein bisschen besser sehen zu können.

Nach einer halben Stunde entscheide er sich leider doch zum Rückzug. Nach ein paar aufmerksamen „Schnüfflern“ in allen Himmelsrichtungen dreht er sich gemächlich um und trottet Richtung Küste, bis er am Eis aus unserem Sichtfeld verschwindet.

Wie verzaubert von dieser Begegnung nehmen auch wir langsam wieder Fahrt auf.

Viele Stunden dauert unsere gemeinsame Fahrt durchs Packeis noch. Bis wir die Eisberge des großen Bredelgletschers erreichen. Und bis wir Kap Stevenson runden und die rauchenden Klippen von Tænderne erblicken. Bis wir die niedrigen Felsen von Danmark Ø im kalten weißen Nachtlicht vor uns sehen.

Rauchende Klippen Grönland
Die rauchenden Klippen.

Ausgekühlt und übermüdet, aber glücklich erreichen wir unseren ersten Ankerplatz in Scoresby Sund.

Es ist die gut geschützte Bucht von Hekla Havn im Süden von Danmark Ø – der Dänemarkinsel. Eine beinahe herzförmige Buch. An ihrer Spitze mit einer Einfahrt flach genug, sodass keine großen Eisberge in die Bucht gelangen können.

Hekla Havn, Ankerbucht Grönland
Vor Anker in Hekla Havn auf der flachen Dänemarkinsel. Dafür mit Blick auf die Berge vom Grönländischen Festland.

Einzig die Seekarten lassen zu wünschen übrig. Sie zeigen die Insel hunderte Meter neben ihrer wirklichen Position und mit unklaren Umrissen und keiner Bucht. Aber mit schlechten Seekarten haben wir ohnehin in diesem Gebiet gerechnet.

Lachend stelle ich fest, dass wir die ambitionierte Klettercrew ausgerechnet zum flachesten Inselchen des Scoresby Sundes geführt haben. Doch jetzt denkt ohnehin niemand ans Klettern.

„Kommt rüber, wir feiner unsre Ankunft hier mit Champagne. Und ihr seid unsere Ehrengäste!“

Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Und aus einer weißen Nacht wird ein kalter Morgen. Doch lange bevor wir erschöpft in die Kojen kriechen, wird uns die Sonne des folgenden Tages aufwärmen!

Bordfeier
Bis in den nächsten Morgen geht unsere fröhliche Feier an Bord. © Ramona Waldner

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4 Kommentare

  1. Wunderbare Texte und Bilder, chapeau!⚓️⚓️

  2. Ich bin Begeistert von deinem Bericht Chlaudia und den schönen Bildern ich werde deinen Bericht weiter verfolgen alles gute und kommt gut voran Grüße aus Wels

  3. Sebastian Kummer

    Vielen Dank für den wunderschönen Bericht!

  4. Big hug from La Rochelle 🙂 You are part of the bunch of nice people we meet on our way.
    I hope you are both doing fine , and hope to see you soon either here in LR either in Austria.
    Sol, from Via Sedna

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