Meer und mehr!

Leise wiegen sich die braunen Äste der großen Trauerweide im Wind. Sattes Grün schimmert vom Feld hinterm Garten durch. Die Sonne lässt den Wald dahinter in ihrem warmen Licht strahlen. Es ist ungewöhnlich warm draußen. Würden die Bäume Blätter tragen, wäre nichts vom Jänner zu bemerken.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, hier im Zimmer vorm Laptop zu sitzen, anstelle diesen herrlich schönen Tag draußen zu genießen. Auf See, an einer Küste, vor Anker oder in einem Hafen würde ich den Laptop in seine Ecke packen und für den Moment vergessen. Wir wären draußen, würden segeln, wandern, entdecken, auf Fotosafari gehen, mit dem Beiboot herumziehen oder auf irgend eine andere Weise diesen Tag genießen. Ich würde meine Arbeiten nach hinten verschieben, alle Termine vergessen und meine Gedanken fliegen lassen. Aber ganz so läuft das Landleben eben nicht. Und das hat auch seine schönen Seiten. Wir sind erneut in der Phase angekommen, in der wir an unserer Zukunft arbeiten.

Ja, es scheint so, als wechselt unser Leben immer zwischen zwei Phasen: frei zu leben und Abenteuer zu bestreiten – und an den nächsten Ideen zu arbeiten: Vorbereitungen für die Zukunft zu treffen. Nun planen wir erneut unsere nächsten Reisen. Versuchen, aus unseren unzähligen Ideen einen Plan für die nächsten Jahre herauszufiltern und Hand anzulegen, um diesen Plan Schritt für Schritt umzusetzen.

„Träume nicht nur, mach aus deinen Träumen Visionen, denen du folgen kannst!“ Hat mein Vater mir mein halbes Leben lang gelehrt. Und er hatte recht, ein Traum bleibt nur ein Traum, solange aus ihm kein Bild für die Zukunft gemalt wird. Solange aus ihm kein Plan entsteht, der sich nach und nach in die Realität umsetzen lässt. Wie recht er doch hatte – wie sich das Leben ändert, sobald ein Plan geschmiedet ist! Freilich musste niemand erst Jürgen von diesen Lebensweisheiten überzeugen. Er lebt sein Leben ohnehin nach der Regel: Überleg dir, was du wirklich willst, und dann arbeite daran.

Und so kommen wir langsam erneut in die Phase, wo unsere Träume reale Gestalt annehmen. Wir kommen in die Phase, in der wir wissen, wie es weitergehen soll und in der wir alle nötigen Aufgaben strukturieren und abarbeiten, um zu unserem Ziel, unserer Weiterreise, zu kommen. Eine Weiterreise, die zuerst vor lauter Möglichkeiten kaum noch zu Überblicken war. Das klingt jetzt komisch, ich weiß. Aber ich hatte eine Zeit lang das Gefühl, ich sehe sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäume nicht. Das kommt davon, wenn man seine Grenzen immer weiter steckt. Wenn man sich auf Reisen begibt, die einem herausfordern, anstrengen, weitertreiben. Und die mit unglaublichen Eindrücken beschenken. Die einem zeigen, dass Abenteuer nicht Schnee von Gestern ist. Abenteuer sind nicht an die alten Helden gebunden, an Nansen, Amundsen, Shackleton, Cook und Slocum. Die Welt ist voller Abenteuer, auch heute noch, auch für uns.
Ich weiß, dass mich unsere Reisen verändert haben. Ich habe viel dazugelernt. Über die Welt und über mich selber. Und etwas, was ich dabei gelernt habe, ist, dass ich immer noch meine Grenzen weiter stecken kann. Dass es da draußen weit mehr zu entdecken und erleben gibt, als ich mir irgendwie vorstellen kann. Die Welt ist nicht wie in Fernsehen, bis ins Detail entdeckt und mit Stereotypen belegt. Es gibt nach wie vor nichts Schöneres, als sich selber ein Bild von ihr zu machen.

Und ich habe gelernt, dass wir vor Ideen sprühen können und dass wir als Westeuropäer in der glücklichen Lage sind, viele dieser Ideen auch umsetzen zu können.

Ja, ich fühlte mich beinahe überfordert von all den Ideen, die zwischen uns beiden dahingesponnen werden:
Neue Arktis-Fahrten, vielleicht Spitzbergen. Auf jeden Fall ein Besuch der Ostküste Grönlands. Grönland sowieso. Thule. Eventuell rund Island? Jan Meyen will ich auch noch sehen. Und vielleicht noch einmal unsere Freunde in Alta besuchen?

Kanada. Ja, Kanadas Ostküste muss unbedingt noch sein. Labrador. Neufundland. Nova Scotia. Oder gleich weiter: endlich rein in den St. Lawrence River und ab zu den Großen Seen. Aber wenn wir zu den Großen Seen segeln, dann will ich unbedingt die Reise zum Mittelpunkt des Kontinenten nochmal machen: die Familienfarm meiner Brüder besuchen. Und eigentlich möchte ich ja die kanadische Arktis auch über Land erneut sehen. Wie wäre es, einen Van zu kaufen und zum Großen Sklavensee aufzubrechen. 2800 Kilometer durch Kanada, von Altona nach Yellowknife. Aber wieso in Yellowknife stoppen: Sollte die Straße nach Tuktoyaktuk mittlerweile nicht fertig sein? Wir könnten die Inuit-Familie besuchen, die uns während unseres kurzen Aufenthalts 2013 in Tuk zu Rentiersuppe einlud. Über 6000 Kilometer plus Rückweg, lässt mich Google wissen. Spannend! Sieh an, jetzt zeichnen wir schon wieder Jahre auf die Landkarte.
Und wollten wir nicht auch einmal mit einem Kanu den Yukon River befahren? Alaska – auch so ein niemals ausgeträumter Traum. Ein Land, das einem nur tiefer in seinen Bann zieht, sobald man eine Ecke davon erlebt hat. Natur, Tierwelt, Wildniss, Einsamkeit, extreme Berge, unzählige Inseln. Täler, Buchten, Gletscher, Borealwälder, Tundra. Einzigartige Menschen, großartige Gemeinschaft aus weltoffene Eigenbrötler, Abenteurer, Goldgräber, Trapper, Fischer, Aussteiger, Zivilisationsflüchtlinge. Ein Schmelztegel der anderen Art: indianische Stämme, Aleuten, Inuit, Russen, Amerikaner. Ein Land, unverdorben und doch voller spannender Geschichten.

Aber es gibt ja nicht nur die Hohen Breiten. Lange schon träumen wir davon, Europa und sein Umland besser kennenzulernen. Man stellt sich vor, ich war noch nie in Süditalien. In Griechenland. In Südfrankreich. „Wein, Weib und Gesang“, würde jetzt Jürgen schwärmen.

Dann gibt es da immer noch das schönste aller Segelreviere, das von uns näher bereist werden muss: die Ostsee. Die Reise in das Baltikum: Polen, Estland, Lettland, Litauen und Russland. Und natürlich Skandinavien. Immer wieder Skandinavien. Mit dem Boot und über Land.

Oder, wie wäre es damit: mit dem Boot durchs Land. Europa lockt mit seinen vielen Flüssen. Wir wissen nur zu gut, wie schön das Flussreisen auf diesem Kontinent ist. Eine Flussreise ist für uns ohnehin noch Pflichtprogramm: die Vollendung unserer Donaufahrt. Einfach die Masten legen und die Flüsse runter, bis ins Schwarze Meer und übers Mittelmeer zurück in den Atlantik. Zurück in die Nordsee und weiter in die Ostsee, dorthin, wo wir am Wasser zuhause sind. Einmal Europa rund, sozusagen.

Und wenn wir die Küste wieder überdrüssig werden, wartet das ultimative Hochseeabenteuer auf uns: Im Hintergrund, aber nicht in Vergessenheit, schlummert die schwer bezwingbare Route – vom Nordatlantik in den Süden, rund ums Kap der Guten Hoffnung und weiter durch den südlichen Indischen Ozean. Über die hohen Wellen der Brülllenden Vierziger rund um den halben Globus. Mit nur wenigen Stopps – St. Helena, vielleicht sogar die Kerguelen. Ein Reisetraum der anderen Art. Mit La Belle Epoque in das letzte der sieben Weltmeere, das sie noch nicht unter ihrem Kiel teilen durfte.

Wie es auch weiter geht, wir wissen, dass Segeln für uns zwar das ultimative Abenteuer bleibt, aber niemals die einzige Art des Reisens war und wird. Bei all unseren Reiseideen gibts nicht nur das Boot als Reisegefährtin. Wir waren schon früher auf andere Weise unterwegs. Und so haben wir auch jetzt wieder aufgerüstet. Haben uns einen alten, ausgebauten Kastenwagen angelacht und begonnen, ihn wieder auf Schwung zu bringen. Dazugekommen sind außerdem zwei gebrauchte Fahrräder, die hoffentlich unseren Radius weiter vergrößern werden. Und nachdem wir immer noch überzeugt sind, die kommenden Winter in Österreich zu verbringen, gab´s eine Überholung unserer alten Snowboards und die Idee von Tourenski.

So viel also zu den Ideen und Möglichkeiten. Aber ich habe ja geschrieben, dass wir langsam wieder in die Phase kommen, in der aus den Ideen konkrete Pläne werden. Wir haben den Überblick gefunden, uns durch unsere Wunschziele gewühlt und die Ergebnisse mit praktischen Überlegungen und Notwendigkeiten zusammengefügt. Wir sind in der Phase angelangt, in der wir die Träume zu Visionen gemacht haben und an ihrer Umsetzung arbeiten. Und es gibt wirklich ganz praktische Erfordernisse, die uns einen roten Faden gelegt haben und die unsere kommenden Reisejahre beeinflussen werden. Wie gesagt: Ein Schritt nach dem anderen!

Die wichtigste Notwendigkeit: La Belle Epoque muss in die Werft. Das Schifferl war zuletzt im Frühjahr 2016 an Land. Genauer gesagt, in Neuseeland. Seither hat sie mehr als viel mitmachen müssen. Das Eis der Antarktis hat ihr Lackkleid zerkratzt, am Rumpf sind hier und da Schramen von unachsamen Anlegern, verzwickten Situationen und wilden Erfahrungen. Auf Deck sind Roststellen, kaputte Hölzer, reparaturbedürftige Stellen. Dazu kommen rostige Püttinge, bauchige Segel, ausgemergelte Winden, verschlissene Persenninge. Außerdem haben wir das Boot zehn Jahre nonstop bewohnt. Vieles ist abgenützt, verbraucht, vergilbt, abgewohnt. Im Inneren bedarf es Schleifarbeiten, neue Lackschichten, einige Umbauten. Und wie immer, auch einige Verbesserungen. Damit ist also klar: Sobald der Großteil der deutschen Yachten im Frühling zurück im Wasser ist, wird es Zeit für La Belle Epoque, für ein paar Monate an Land zu gehen. Wir werden schleifen, flexen, schneiden, rausreisen, schweißen, umbauen, reinbauen, überholen. Wir werden diesen Frühsommer irgendwo in Deutschland, Dänemark oder Polen auf einem Werftgelände verbringen. Noch wissen wir nicht, wo genau wir an Land können, noch sind wir auf der Suche. Auf der Suche, nach einem Platz, der nicht zu teuer ist, wo wir Strom haben können, mit unserem Camper neben dem Boot parken dürfen und selbst am Boot Hand anlegen dürfen. (Alle Tipps sind willkommen…)

Diese Notwendigkeit, das Schiff auf Vordermann zu bringen, beeinflusst natürlich geradewegs unsere Reisepläne. Denn wir wissen nicht, wie lange wir für alle anstehenden und eingebildeten Arbeiten benötigen. Wir werden deshalb diesen Sommer zu einer Reise in die Ostsee aufbrechen: Zu unserem „Baltic Adventure“! Mehr und mehr nimmt diese Reiseidee ihre Gestalt an. Meer und mehr! Baltikum und Skandinavien, mit Boot, Camper, Fahrrad und zu Fuß! Ein Jahr lang, vielleicht zwei. Unterbrochen von einem Winter in den Alpen – mit Standheizung und Snowboards.

Und um das baltische Jahr auch standesgemäß zu beginnen, haben wir den ersten Schritt bereits gemacht: Wir haben die Segelsaison 2020 eröffnet! Natürlich mit einem Segeltörn in der Ostsee. So haben wir Silvester in Flensburg verbracht, haben im kleinen Kreis mit Freunden gefeiert und gleich am Neujahrstag die Trossen gelöst. Wir sind eine Runde durch die dänische Südsee gezogen und haben die Schlei besucht. Und wir haben die traumhafte Ostsee bei frischem Wind genossen.

 

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