Ostsee bei Nacht

Noch schnell eine Thermoskanne Tee kochen, dann bin ich soweit. Schon sitze ich im Steuerhaus, eine Hand am Steuerrad, in der anderen der Becher Tee. Die kleine Bluetooth-Soundbox trägt mich in die Welt von Muse davon, während meine Augen den beinahe dumper werdenden Horizont absuchen.

Es ist zehn Uhr abends Bordzeit. Meine Nachtwache zur dritten Nacht auf See hat gerade begonnen. Und es sieht gut aus. Erneut flüstert die Ostsee mit ihrem ruhigen Auf und Ab das Versprechen, uns sanft durch die Nacht zu bringen. Erneut wird der Horizont nicht mehr ganz dunkel, egal was die Uhr sagt. Und auch diese Nacht werden wir nicht alleine hier draußen wachen.

Nachtwache auf See. Routine. 

Und doch kommt mir der Gedanke, wie sich laufend alles verändert. Vor 13 Jahren, als wir zum ersten Mal die Nächte auf der Ostsee verbrachten, ist mir der viele Verkehr hier draußen aufgefallen. Dazumal wie heute kreuzten wir laufend Schifffahrtsstraßen, sahen jede Nacht Lichter am Horizont. Abseits der Straßen aber schien vor 13 Jahren noch alles ruhig, einsam. Ein Trugschluss, wie ich nun weiß.

Schiff am Horizont
Wir sind nicht alleine!

Denn heute lässt mich das AIS wissen, das dieser Eindruck täuscht. Hier auf der Ostsee ist es nie ruhig. Ich bin fast etwas erstaunt darüber, wie viele Schiffe im Dunklen bleiben. Wie wenige ich eigentlich erspähen kann. Wie viel Verkehr da draußen auf See eigentlich unterwegs ist.

Tanker, Frachtschiffe, Fähren. Schlepper, Versorger und Arbeitsschiffe. Marineschiffe. Kreuzfahrer, Traditionsschiffe, Segelyachten. Nur eines fehlt: Fischkutter. Wir treffen drei Tage und vier Nächte lang tatsächlich auf keinen einzigen Fischkutter. Auch das lässt mich unser AIS wissen.

Doch es ist nicht nur die Elektronik an Bord, die sich geändert hat. Auch am Wasser hat sich einiges verändert und ich bin froh über die neuen Seekarten. Wegen der vielen Windparks zum Beispiel, die sich in unseren Weg stellen und uns zu nächtlichen Umwegen zwingen.

Mittlerweile hat der Wind abgeflaut.

Langsam zieht LA BELLE EPOQUE in den Norden. Steuerbords liegt die Insel Gotland im Dunklen. Die Lichter der Stadt Visby sind von Weitem zu sehen. Doch ändere ich den Kurs nicht, lasse die Insel rechts liegen.

Den Plan, die Fahrt wetterbedingt in Gotland zu unterbrechen, können wir verwerfen. Denn der Südwestwind bleibt erstaunlich konstant. Auch heute Nacht muss ich kaum raus, um an den Segeln zu trimmen.

Um viertel nach zwei Uhr scheint es, als hätte plötzlich jemand einen Knopf gedrückt. So abrupt übernimmt das Morgenlicht. Zuerst in Grautönen, erst viel später wird sich die Sonne mit einer Show aus warmen Farben am Himmel zeigen. Noch halte ich durch, sitze im Steuerhaus und beobachte LA BELLE bei der Arbeit. 

Fahrtensegeln
Vor dem Wind in den Norden

Um vier Uhr früh habe ich genug. 

Auch wenn das Tageslicht beim Kampf gegen die Müdigkeit hilft, muss ich einsehen, dass ich diesen Kampf langsam verliere. Ich wecke Jürgen zu seiner Wache. Er dankt mir das Morgenlicht mit einem besonderen Geschenk: Er wird mich so lange schlafen lasse, wie ich will.

Im Halbschlaf höre ich, dass der Wind zugelegt hat. LA BELLE jagt in voller Fahrt dahin. Die See rauscht laut an meinem Ohr an der Bordwand vorüber und ich fühle, dass wir mittlerweile übertakelt laufen. Warte darauf, zum Reffen an Deck geholt zu werden. Und schlafe doch bei dem Gedanken bald an Deck zu müssen ein.

Bald holt mich erneut das Wetter aus dem Tiefschlaf. Strömender Regen trommelt auf Deck. Gut, Jürgen im trockenen Steuerhaus zu wissen, ich treibe erneut in die Welt meiner Träume ab.

Stunden später wache ich zum dritten mal an diesem Vormittag auf. Die Luke über meinem Kopf ist geöffnet und die Sonne lacht mir ins Gesicht. Fröhlich rauscht die Bugwelle. Nur die heftigen Bootsbewegungen im immer noch hochgehenden Seegang erzählen von dem verschlafenen Morgenwetter. 

Segeln
Ich wache bei Sonnenschein auf.

Frühstück zu Mittag.

Nachdem wir beide ausgeschlafen sind, gehört das gemeinsame Frühstück zu den schönen Bordroutinen. Es ist „unsere Zeit“, die Zeit der Zweisamkeit zwischen einsamen Wachen. Vor allem aber ist es die Zeit der Besprechung und Entscheidung.

Während Jürgen noch eine Stunde geschlafen hat, habe ich die Wetterdaten heruntergeladen. Beim gemeinsamen Frühstück im Steuerhaus sehen wir diese Wetterberichte durch. Überprüfen, ob wir unseren geplanten Kurs auch weiterhin halten können. Überdenken, wenn nötig, ob wir besser ein neues Ziel suchen, einen Plan B folgen.

Heute lässt uns der Wetterbericht wissen, dass wir unser Ziel ohne Umwege erreichen werden: Der Südwestwind bleibt uns treu, wir können wie geplant die Ålandinseln anlaufen. Allerdings passt mir unsere Geschwindigkeit nicht.

Rauschefahrt
Rauschefahrt auf der Ostsee.

Jürgen ist die letzten Stunden so flott gesegelt, dass wir mitten in der Nacht die Schäreninseln erreichen werden. Selbst wenn es hier im Norden nicht mehr stockdunkel wird, gefällt mir das ganz und gar nicht. Wir müssen bremsen!

Gemeinsam binden wir zwei Reffs ins Großsegel, rollen auch die Genua zwei Reffstufen ein. LA BELLE EPOQUE bleibt vorerst ziemlich unbeeindruckt und vermindert ihre Geschwindigkeit um einen halben Knoten. Eine Unart, die wir längst kennen: Einmal in Fahrt, will sie eben nicht mehr bremsen.

Später flaut der Wind etwas ab und schließlich funktioniert unser Plan: LA BELLE EPOQUE verliert Geschwindigkeit.

Am folgenden Morgen laufen wir gegen sechs Uhr Bordzeit geschlaucht aber glücklich auf unserm ersten Ankerplatz auf den Ålandinseln ein!

Angekommen
Angekommen auf den Alandinseln

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7 Kommentare

  1. Helmut Buchbauer

    Ich liebe die Ostsee bin einmal rund um,auch mit St Petersburg.
    LG aus Kärnten

  2. Viel Spaß in der Ostsee und schöne Segelgrüße aus Vanuatu von Kerstin und Martin. http://www.sailing-Infinity.net.

  3. Herrlicher Bericht, wir kommen bei deinen Worten ins schwärmen

    Hoffentlich bis bald am vereinbarten Treffpunkt, Gestern haben wir den Lager Schlüssel abgegeben und haben somit alles gepackt.

    Liebe Grüsse von der Winggis 42

    Martin und Alessandra

  4. Viel Spaß Euch weiterhin und lasst es Euch gutgehen . Wir sind zur Zeit auf Hanö, sind aber auf dem Weg nach oben. Wer weiss, vielleicht kreuzen sich unsere Wege. Liebe Grüße, Micha und Sarah
    http://www.TheNorthStory.de

    • Toll, bleiben wir in Kontakt, dann werden sich unsere Wege schon kreuzen. Wir liegen gerade in Uusikaupunki (finnisches Festland) und werden von hier aus langsam über die Aalands zurück nach Schweden und in den Süden ziehen. Fair winds und bis dann, Claudia und Jürgen

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