La Belle Epoque rauscht mit sieben Knoten Fahrt durchs glatte Wasser. Zügig gehts um die nächste Tonne, Jürgen holt das Großsegel dicht, ich drehe das Heck durch den Wind. Schon rauschen wir auf neuem Kurs den finnischen Schären entgegen.
Unser erster Abstecher zu den Alandinseln war kurz.
Ein Sonnentag auf der hübschen Insel Kökar und ein paar Abende vor Anker in verschiedenen Schärenbuchten. Der erste Eindruck verlangt nach mehr: entspanntes Segeln, ruhige Buchten, hübsche Dörfer und leichte Wanderungen über Granitbuckeln, durch Birken- und Kiefernwälder und zu den höchsten „Bergen“ einer flachen Welt.
Jetzt aber wollen wir den Wind nützen und das finnische Festland erreichen. Ein leichtes, denn seit unserem Reisestart vor zwei Wochen haben wir konstante Südwestwinde erlebt.
Uusikaupunki voraus.
Der Name klingt in meine Ohren wie Phantasien aus einem Kinderbuch. Die Ansteuerung der Stadt lässt diesen Gedanken aber schnell vergessen. Auf der äußeren Schäre der Stadt qualmt eine große Düngermittelfabrik, die nächste Schäre hatte offensichtlich vor einiger Zeit einen Waldbrand erlitten. Traurig zeigen dürre und tote Baumstämme in den Himmel, darunter erstes frisches Grün.
Wir biegen in den Hafenkanal ein und schon ist der abschreckende erste Eindruck vergessen. Der hübsche Fjord ist gefüllt mit Yachten und unter den Terrassentischen des Cafés strecken finnische Paare die Füße aus. Wir fangen uns eine Heckboje ein, dampfen den Bug an den Steg heran, betreten zum ersten Mal in unserem Leben das finnische Festland.
Uusikaupunki ist freundlich, aufgeräumt und nichts Besonderes. Eine finnische Kleinstadt eben. In Wahrheit sind wir nach „Neustadt“ – wie Uusikaupunki wörtlich übersetzt heißt – gekommen, um eine besondere Altstadt zu besuchen: die Altstadt von Rauma. Diese drittälteste Stadt Finnlands liegt etwa 50 Kilometer weiter im Norden und lockt mit der einzigen erhaltenen hölzernen Altstadt Finnlands. Eine Besonderheit, die es sogar in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes geschafft hat.
Erstaunt beobachten uns die Cafébesucher beim Auslanden.
Mit dem Fall heben wir ein Motorrad nach dem anderen an Land. Smartphones werden gezückt, Fotos von unseren Ladearbeiten geschossen. Ein Finne kommt näher und ist begeistert von unserer Segelboot-Motorradkombi.
Die Finnen scheinen benzinaffin. Das wundert auch nicht. Nicht, weil hier in Uusikaupunki die nördlichste Automobilfabrik der Welt beheimatet ist. Sondern, weil das Hobby Schrauben sicherlich optimal über die langen Winter hilft. Restaurierte Oldtimer von der Ente bis zum Amischlitten sollten die kommenden Tage zu unserer Normalität zählen.
Immer noch ziehen Regenschauer durch.
Wir wollen trotzdem los. Rollen langsam durch die dichten Wälder, vorbei an einzelnen Holzhäusern und durch verstreute Siedlungen. Absichtlich haben wir den Weg abseits der Schnellstraße gewählt: Auf Asphalt sind wir nur langsam unterwegs und wollen nicht mit Trucks konkurrieren. Außerdem sind uns die Schilder von kreuzenden Elchen eine Warnung.
Es dauert nicht lange, läuft der erste Elch direkt vor Jürgen auf die Straße. Ich bin erstaunt über sein rehbraunes Fell, habe ich bisher (in Norwegen und Alaska) nur dunkelbraune Tiere gesichtet.
Zwei Regenschauer später erreichen wir Rauma. Es ist bereits Abend und die Straßen der Altstadt sind leer. Wir schlendern durch die verlassene Holzstadt. Fühlen uns fast ein bisschen in einer Wildwest-Stadt. Lassen den etwas abgerissenen Charme dieser gealterten Diva auf uns wirken.
Dann müssen wir einsehen, dass uns das Regenradar belogen hat. Nass und fröstelnd erreichen wir bei Dämmerung Uusikaupunki, wo die heiße Sauna im Gästehafen wartet.
Das Wetter bleibt wechselhaft.
Aber zumindest der Wind bleibt unser Verbündeter: Mit Rückenwind haben wir Uusikaupunki erreicht, mit Rückenwind verlassen wir es wieder.
Wieder ziehen wir zu den Alandinseln, und werden etwas übermütig. Wir verlassen die betonnten Fahrwasser und kürzen ab: zwischen Felsbuckeln und Inselchens geht´s immer weiter in den Westen. Selbst ein graues Feld in den Seekarten kann uns nicht aufhalten, wir manövrieren dicht an dieses „Unsuveyed Area“ – dieses nichtvermessene Gebiet, wie uns die Seekarten wissen lassen.
Allerdings zürnt der Wind ein wenig über unsere Frechheit. Er braust auf, schiebt uns mit stürmischen Böen immer tiefer in die Schären und lässt uns kaum Zeit, hastig unsere Segel zu kürzen.
Dann meldet sich auch noch das Echolot. Die Zahlen purzeln, LA BELLE schießt mit 6 Knoten Fahrt über eine Untiefe. Ein halber Meter unterm Kiel bleibt, während mein Herz einen Schlag aussetzt. Dann steigen die Zahlen wieder, wir sind durch.
Mit dem Schrecken davongekommen steuere ich demütig ins betonnte Fahrwasser zurück.
Noch einmal laufen wir einen Hafen an.
Es ist fast so etwas wie eine Ehre, in dieser Bucht der Segelseefahrtsgeschichte einzulaufen:
Die westliche Bucht von Mariahamn war einst Heimathafen der berühmten Cap Horn Windjammer. Von hier aus segelten die anmutigen Großsegler immer noch, als die Welt bereits von Dampfschiffen versorgt wurde. Hier her fuhren sie ihre Gewinne, machten eine Insel aus Bauern zu einer Insel aus Reedern und Seefahrern.
Und um ihre Risiken zu minimieren und Kapital für den Schiffsbau- und kauf zu generieren, boten die Redereien dem Volk Schiffsanteile an. Bald gab es kaum eine Familie auf dem Archipel, die nicht Mitbesitzer von zumindest einem Schiff war.
„Die wichtigsten Besitztümer eines jeden Aaländers sind: seine Kaffeekanne und eine Anleihe auf ein Schiff“, heißt es.
Ging alles gut, konnte ein Schiffsanteil einen Knecht zum eigenen Hof verhelfen.
Oder einen einstigen Kajütjungen zum „König der Segelschiffe“ wachsen lassen. Gustaf Erikson arbeitet sich hoch bis zum Kapitän, kaute Anleihen von Schiffen und investierte seine Gewinne sofort. Er kaufte am internationalen Markt die nicht mehr gefragten Großsegler zu Spottpreisen auf, setzte sie in Stand und schickte sie auf große Fahrt.
Bald kreuzten mehr als drei Dutzend Großsegler unter seiner Flagge, um Getreide von Australien nach England, Salpeter aus Chile nach Europa und Holz nach Südamerika zu bringen. Die niedrigen Investitions- und Betriebskosten der segelnden Drei- und Viermaster ließen diese stattlichen Schiffe lange mit der dampfenden Konkurrenz mithalten.
Rekorde wurden aufgestellt: bei den berühmten Getreiderennen rund ums Kap Hoorn.
Schon von weitem begrüßt uns der Stolz der Aaländer: Die POMMERN liegt friedlich an ihrem angestammten Hafenplatz vor dem Seefahrtsmuseum.
Heute verlässt sie diesen Platz freilich nicht mehr, aber sie lädt auf und unter Deck ein, lässt sich bis in den letzten Winkel, bis nach unten zu ihrem Kielschwein, bestaunen. Was natürlich auch wir nützen, nachdem LA BELLE EPOQUE stolz in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft stillliegt und insgeheim über das kleine Treffen der Kap Hoorner lächelt.
Mariahamn selbst beeindruckt uns nicht sonderlich.
Umso mehr allerdings bestaunen wir die Schönheit der gesamten Insel.
„Festland“ nennen die Åländer ihre größte Insel. Festland ist allerdings so klein, dass wir in zwei Tagen beinahe alle Straßen der Insel kennengelernt, den höchsten Berg mit immerhin knapp 100 Meter befahren, Schlösser besichtigt, Grotten begutachtet, Wanderwege bestritten, Saunas besucht, historische Wehranlagen fotografiert und Küstenpicknicks genossen haben.
Zurück bleibt der beste Eindruck von diesem kleinen Küstenparadies. Und dann ist es Zeit, die Leinen zu lösen und die kleine, autonome Inselwelt im Kielwasser zu lassen. Doch es ist nicht weit, bis wir wieder in eine Welt der Schären eintauchen. Vorm Bug liegt der schwedische Schärengarten.
Liebe Claudia, DANKE für diesen ausführlichen, sehr interessanten beeindruckenden Bericht über die Geschichte, Natur und die Menschen Alands! Ich war vor vielen Jahren mal im Februar in Rauma, eingeladen in eines der bunten Häuser, eine tolle Begegnung war das. Eure Fotos sind auch wieder ganz phantastisch, vielen lieben Dank für‘s teilen eurer genialen Erlebnisse!!! Bleibt schön fröhlich, gesund und munter bis hoffentlich ganz bald 😉 Liebe Grüße von Christine und Peter, zz. aus den Spanischen Rias
Liebe Claudia,
ja, ja die Schären … wie schön, dass es euch gut geht! Ich bewundere euch um eure Energie, wir sind manchmal zu faul, dass Beiboot ins Wasser zu werfen und ihr packt immer wieder 2 Motorräder aus 🙂 Melde dich doch mal wieder per Mail. Wir gehen morgen aus dem Wasser und fliegen nach Hause.
Ganz liebe Grüße
Claudia und Fritz