Das Telefon klingelt und wieder bemerke ich, dass ich mich einfach nicht an dieses Geräusch an Bord gewöhnen will. So viele Jahre haben wir ohne Telefon gelebt. Einmal abgesehen vom Satellitentelefon, dessen Nummer aber niemand kannte und das die meiste Zeit ohnehin nicht angemeldet war. Geläutet hat das Satellitentelefon daher eigentlich nie, wir hatten es ausschließlich in extremen Revieren als Backup für den Empfang von Wetterdaten verwendet.
Nun aber befinden wir uns in keinem extremen Revier, wir segeln in der sanften Ostsee und entdecken erneut die Langsamkeit. Corona hat uns gezwungen, jegliche weitreichende Pläne fallen zu lassen und anstelle langer Segelschläge in den Norden kurze Nachmittagstörns entlang dieser schönen deutschen Ostseeküste zu unternehmen. Anstelle von Wetterberichte über Kurzwelle und Satellitentelefon zu empfangen, beachten wir die Wetterentwicklung eigentlich kaum noch. Seit Wochen brennt die Sommersonne auf uns. Leichte, östliche Winde blasen so stetig, dass wir beinahe vergessen, hin und wieder einen Wetterbericht zu betrachten.
Das Telefon klingelt und schon verschieben sich meine Realitäten. Gerade eben noch stand ich im Schein der Morgensonne im Cockpit, löste die Trossen der längsseits gelegenen MUTJE und winkte Marion und Axel zum Abschied.
In der nächsten Sekunde aber katapultiert mich der Anruf zurück nach Österreich, zurück in eine andere Realität. Thomas, unser Freund und Helfer zuhause hat einiges mit uns zu besprechen und noch während dem Telefonat wird mir bewusst, dass wir nicht mehr viel Zeit haben. Unser Besitz in Österreich verlangt uns zurück.
Nein, wir müssen nicht unverzüglich zurückkommen, zwei Wochen kann es doch noch dauern. Meint zumindest Thomas. Aber was sind schon zwei Wochen an Bord eines Blauwasserseglers und wohin sollten wir noch in aller Ruhe segeln, wenn wir plötzlich wieder die Wochentage zählen müssen. Außerdem kann der sommerliche Ostwind nicht ewig halten. Die Wetterberichte für nächste Woche zeigen bereits frische westliche Winde. Trödeln wir jetzt herum, wird die Rückfahrt bis nach Flensburg ungemütlich. Und Zeit genug bleibt uns auch so nicht, um Rügen und sein Umland genauer kennenzulernen. Da scheint es doch besser, einen gemütlichen Rückzug in Richtung Westen zu machen, solange noch der Ostwind bläst. Etwas Zeit bleibt uns ja noch. Wir müssen ja nicht durchziehen, können noch ein paar Ankerplätze anlaufen, während wir einfache Tagesetappen in Richtung Flensburg segeln.
Jürgen hat meinem Wunsch, besser umzudrehen, nichts entgegenzusetzen. Er sieht ein, dass es eigentlich gescheiter ist, in aller Ruhe zurück zu segeln, LA BELLE EPOQUE erneut für ihren langen Hafentage ohne uns vorzubereiten und anschließend langsam mit dem Kastenwagen ins Binnenland zu rollen. Auch wenn uns beide eigentlich das Herz blutet, dass wir nicht doch noch zumindest die restliche Küste Deutschlands erkunden können.
Unter Motor laufen wir aus der Trave, dann gehen die Segel hoch und LA BELLE legt sich schnaubend und schäumend gegen den Wind. Der Wind frischt auf und schon stehe ich am Bug, die Genua 1 auf die etwas kleinere Genua 2 zu wechseln. Obwohl ich mich in der kurzen See etwas konzentrieren muss, um nicht seekrank zu werden, wird mir bewusst, dass ich diese Arbeit vielleicht nur noch wenige male machen werden. Es wir nicht mehr viele Segeltage geben, die wir an Bord unserer LA BELLE ohne Rollreff-Genua fahren werden. Zuhause liegt bereits ein Pappkarton gefüllt mit einer neuen Profurl-Anlage, die darauf wartet, montiert zu werden. Auch neue Segel sind bestellt.
Kurzerhand beschließe ich, jeden einzelnen Handgriff des Segelwechsels zu genießen. Lache über die Gischt, die mir vom Bugsprit entgegengeschleudert wird und mich mit der kalten Ostsee verbindet. Ich fühle mich wohl wie ein Fisch im Wasser, im untrüglichen Gefühl, genau da zu sein, wo ich hingehöre. Gleichzeitig freue ich mich über die zukünftige Veränderung, die einfachen und unspektakulären Handgriffe, welche mit Hilfe der Rollanlage diese nasse und schwere Arbeit am Vordeck ablösen werden.
Geduldig kreuzen wir aus der Mecklenburger Bucht. Der Wind frischt weiter auf und bald refft Jürgen das Besansegel. Trotz altem Antifouling und mittlerweile starkem Bewuchs hält sich LA BELLE tapfer und läuft trotzig ihren Kurs. Ich sitze am Steuer, bereit, per Hand das Boot am Kurs zu halten. Denn unser elektrischer Autopilot hat letztes Jahr seinen Geist aufgegeben und Miss Aries liegt demontiert in der Vorkoje. Doch LA BELLE EPOQUE benötigt keine Hilfe am Ruder.
Wir lassen die Idee, einen Abstecher nach Wismar zu machen, fallen. Stattdessen bleibt die Wismar Bucht rechts liegen und wir kreuzen auf. Die anfänglich vielen Segelboote haben sich bald alle in die Häfen rundum verschanzt und wir fühlen uns, als gehöre uns die Ostsee und der frische Gegenwind alleine.
Plötzlich kracht es im Rigg und das Großsegel hängt in Fetzen. Na ja, auch ein neues Großsegel ist eigentlich schon bestellt. Jürgen springt an Deck und bindet ein Reff ein. Dann müssen wir eben von hier an mit gerefftem Großsegel arbeiten.
Irgendwann wird das Wasser ruhiger, der Wind schwächer. Der Himmel färbt sich in warme Rottöne und ein einzelner Fischkutter zieht an uns vorüber. Gelb leuchtet die sandige Küste Deutschlands im warmen Licht der tiefstehenden Sonne. Wir erreichen den Fehmarnsund, fallen ab und drehen in den Kanal. Langsam schiebt sich LA BELLE der Brücke entgegen, doch es geht ihr beinahe die Kraft aus. Der Wind ins zu einer schwachen Brise verkommen.
Wir lassen uns Zeit, werden den Ankerplatz von Heiligenhafen ohnehin erst im Dunklen erreichen. Mit unserem gesamten Dasein schwelgen wir im Schauspiel der anziehenden Nacht. Das Land zu beider Seiten ist zu Schatten geworden, dunkel glitzert das Meer vor uns und der Sternenhimmel versteckt sich hinter dem Schein der bewohnten Küstenregionen.
Zwei Segelyachten zeigen ihre Motorlichter und ziehen eilig unter der Brücke durch. Wir treiben vor dem kaum noch spürbaren Wind unserem Ziel entgegen. Folgen dem Licht des Sektorenfeuers von Heiligenhafen, bis wir die ersten Tonnen der Einfahrt erreichen, die Segel streichen und den Anker vorbereiten.
Heiligenhafen empfängt uns mit guter Laune und Urlaubsstimmung. Wir schlendern durch die große Hafenanlage, leisten uns Fischbrötchen im Fischerhafen, gehen auf Fotosafari und stecken abends mit einer Flasche Bier in der Hand die Füße in den Sand.
Tags darauf beschenkt uns die Ostsee erneut mit einem traumhaften Segelschlag. Bei kaum merklichen Wellen, jedoch mit genügend Rückenwind um uns sogar mit dem gerefften Großsegel vorwärts zu treiben, ziehen wir über die Schifffahrtsstraßen, vorbei an der Kieler Bucht und der Eckernförde Bucht. Wir kreuzen den Kurs des historischen Feuerschiffes ELBE 1.
Wieder steht die Sonne tief, als wir platt vorm Laken in die Schleimünde einlaufen um hier noch einmal eine Nacht vor Anker zu verbringen. Der Ankerplatz ist gefüllt mit Yachten, aber groß genug, um auch uns noch bequem Platz zu geben und so klaren wir im letzten Licht des Abends das Deck auf, während LA BELLE EPOQUE träge vorm Anker schwoit.
Wir verzichten auf einen Landgang in Masholm, kennen das Dörfchen bereits und wollen lieber noch eine Nacht in der Flensburger Fjorde verbringen, bevor der Westwind einsetzt. Wir sind nicht alleine, eine wahre Parade an Booten zieht in beiden Richtungen zwischen der Schlei und der Flensburger Fjorde durch. Wie fühlen uns wie auf einer Autobahn der Yachten und beobachten die unterschiedlichen Vehikel rund um uns. Von schicken Tradtitionsseglern über polierte Serienyachten, von eiligen Regattaschiffen bis zu kleinen, schmucken Holzkuttern bewegt sich hier alles unter deutscher und dänischer Flagge.
Auch die gezeigten Segeltücher könnten nicht unterschiedlicher sein. Die einen laufen unter Spinnaker, die anderen unter ihren Standardsegeln. Gaffelkutter zeigen ihre traditionell roten Tücher und eine Yacht ist sogar noch mit einem Trifter unterwegs. Auch wenn ihr dieses riesige Tuch keine besonderen Vorteile zu bringen scheint. Unter gerefftem Segel ist eigentlich nur LA BELLE EPOQUE unterwegs und wir sind erstaunt darüber, dass wir dennoch mit einigen Yachten mithalten können, wenn auch andere an uns vorüberziehen.
Wir laufen einer Verabredung entgegen. An der Küste der dänischen Halbinsel Kegnæs wollen wir uns mit Andi und seiner Crew an Bord der SLISAND LADY treffen, um einen gemeinsamen Abend zu verbringen. Doch hält der Ankerplatz eine Überraschung für uns bereit: Zwischen all den weißen Rümpfen vor Anker sichten wir eine rote Yacht. „Wär doch lustig, wenn das die SOL wäre“, mutmaße ich und steuere auf die Yacht zu. Und tatsächlich, bald schon können wir die drei Buchstaben am Heck unter der dänischen Flagge ausmachen. Kim und Kerstin in ihrem Heimatrevier zu besuchen ist für uns etwas besonderes, haben wir sie doch zum letzten Mal vor vielen Jahren an der Küste von Grönland getroffen, nachdem wir den Winter im Eis verbracht haben.
Groß ist das Hallo, fröhlich die Seglerrunde und selbst als SOL am Abend ablegt, bleiben wir noch lange im Cockpit der SLISAND LADY hängen.
Tags darauf gehts zurück nach Flensburg. Und was für eine Überraschung, in der Nachbarbox liegt eine Yacht mit österreichischer Flagge am Heck. Das Linzer Eignerpaar ist gerade von Holland hier hoch gesegelt um die Ostsee besser kennenzulernen. Wir verstehen uns auf anhieb und schlagen uns gemeinsam eine Nacht um die Ohren.
LA BELLE EPOQUE wird winterfest gemacht und einen letzten Abend verbringen wir am Wohnboot des Hafenmeisters Lutz. Auch hier treffen wir Österreicher: die beiden Grazer haben eine der wunderschönen Scarla-Yachten aus der Schlei gechartert und können ihr Glück garnicht fassen, eine derart hochwertige Yacht als günstige Charteryacht ausfahren zu dürfen. So etwas haben sie bisher noch nie gesegelt.
Dann ist unsere Auszeit unter Segel vorüber. Wir schleppen unsere sieben Sachen in den Kastenwagen, schließen alle Luken, kontrollieren zum letzten Mal die Trossen und rollen aus der Stadt. Noch stecken wir unseren Kurs nicht direkt nach Österreich. Noch haben wir genug Zeit für Umwege und so fahren wir nach Barth, wo unser Freund Wolf mit seinem liebenswerten Sohn Daniel an Bord ihrer SANTA MARIA angekommen sind. Angekommen von einer Fahrt von Grönland über Schottland bis nach Deutschland. Angekommen, um hier die treue SANTA MARIA an Land zu stellen und die kommenden Wartungs- und Reparaturarbeiten zu erledigen, während Wolf zurück zu den Falkland Inseln zu seiner größeren Yacht SANTA MARIA AUSTRALIS fahren wird, um hoffentlich bald wieder Chartergäste bis in die Antarktis und nach Süd Georgien zu bringen.
Wie immer hat Wolf die Fahrt bis in die Ostsee problemlos geschafft und wie immer küren wir ihn mit dem – von befreundeten Seglern in Galizien einst erworbenen – Ehrentitel „Glückswolf“. Doch zieht sich eine kleine Sorgenfalte über die wettergegerbte Stirn des Extremseglers. Noch bevor er zurück zu seinem Boot und seinem Leben im Tiefen Süden fliegen kann, muss er nach München um sich einer Knieoperation zu unterziehen. Und schon der Gedanke an ein Krankenhaus bring den alten Haudegen ins schwanken! Wir aber können so wenigstens hoffen, Wolf bald wieder zu sehen, liegt doch München nicht besonders weit von Oberösterreich entfernt!
was davor geschah:
Ostseesommer
Verträumte Ruhe. Grün glitzert die Ostsee im gleißen Sonnenlicht, hoch am leichten Wind segeln wir unter vereinzelten, weißen Schönwetterwolken. Das Ruder festgelascht hält La Belle Epoque seit Stunden Kurs, ohne von uns korrigiert zu werden. Wir haben Sommer in der Ostsee…
Ihr macht tolle Sachen und es ist noch schöner, dass alle anderen Interessierten daran teilhaben dürfen.
Schade finde ich, dass es doch recht viele Rechtschreib- und auch Grammatikfehler auf Euren Seiten gibt, zumal eine/r von Euch so gern schreibt.
Viele Grüße, Angelika
NUR wer die Beiden schon sehr lange verfolgt und liest,
der weiß, WARUM das so ist.
Es hat seine Gründe (!)
lG